Die Gorillaz begegnen der Gletscherschmelze in der Arktis gelassen mit Speiseeis: "We’re all in this together until the end."

Foto: Warner

Heutzutage wird zwar im Zeitalter der dauernden Erregung laut Redensart gern sofort auf alles und jeden gepfiffen. Vor allem im Fußball und im Freibad wird man damit ständig konfrontiert. Dort verwendet man allerdings Hilfsmittel – und das Pfeifen vom Schiri oder Badewaschl wird grundsätzlich als unangenehm empfunden. Als musikalische Praxis im 21. Jahrhundert ist das Pfeifen allerdings längst zu einem Nischendasein verdammt.

Mit Ausnahme des heute auch als Kunstpfeifer aktiven österreichischen Puppenspielers Nikolaus Habjan muss man schon zurück zu den Fernsehshows der 1970er-Jahre gehen und Namen wie Ilse Werner oder Roger Whittaker abrufen, wenn es darum geht, die Ausläufer dieser Kunstform zu erleben. Ja, wie, das Pfeifen, mit dem die Scorpions in Wind of Change 1990 den zügigen Zerfall der UdSSR einleiteten? Wir kennen keine Scorpions!

Darauf wird gepfiffen

Auch Damon Albarn ist in seinem neuen Song Silent Running laut Text wieder einmal irgendwo hinter dem Horizont beim Sonnenaufgang auf der "Suche nach einer neuen Welt". Seine wehmütig-fröhliche, seit 1998 bestehende virtuelle Band Gorillaz mit ihm als einziger Konstante schippert seit dem Album Plastic Beach von 2010 dank Klimawandels und Anstiegs des Meeresspiegels sehr gern in einem postapokalyptischen Szenario land-unter dahin.

Gorillaz

Das funktioniert vor allem über die innovativen aktuellen 3D-Hologramm-Liveshows und State-of-the-Art-Videoclips. Aktuell setzt der Comic-Figuren-Verein Gorillaz dabei neben modernster Technik auf hübsch nostalgisch, schön mollig abgemischtes, also nicht allzu alarmistisches Pfeifen. Neben dem Singen und Jodeln gilt Pfeifen von Berg zu Berg als älteste und vielleicht am meisten positiv besetzte kreative Kommunikationstechnik.

Auch die anderen Stücke des neuen Albums der Gorillaz, das sich Cracker Island nennt, beschäftigen sich ganz allgemein und nebulös mit einer letzten möglichen Welt als Rettung vor dem Untergang. Irgendwie muss man dafür leider seine Seele verkaufen und einem dunklen religiösen Kult beitreten. Indiana Jones, Tempel des Todes, diese Abteilung. Der oberste Kultkoordinator wird dann seine Mitglieder irgendwann eh auch ans Licht führen. Völlig überraschend dauert das aber noch ein Eichterl. In der Zwischenzeit heißt es brav sein, Augen zu und durch. Ein "Cracker" steht übrigens im US-Südstaaten-Slang für eine "dumme weiße Unterschichtsperson".

Gorillaz

Deshalb raunt und schnoferlt Damon Albarn seine Lieder, wie schon bei seinen Projekten The Good, The Bad & The Queen und Rocket Juice & The Moon sowie zuletzt solo recht erschöpft auf dem Album The Nearer the Fountain, More Pure the Stream Flows und heuer noch mit den großes Live-Comeback feiernden Britpoppern Blur mit lebensmüde (oder bekifft) nach unten hängenden Mundwinkeln ins Mikrofon. Dabei tritt auch dank einer recht geschmeidig flutschenden Musik ein paradoxer Effekt ein. Die Gorillaz machen gute Laune. Lustig geht die Welt zugrunde.

Der Chef raunzt selbst

Nach Song Machine, Season One: Strange Timez, dem Allstar-Album der Gorillaz von 2020 mit Robert Smith von The Cure, I’m-a-Loser-Baby-Beck, St. Vincent, Peter Hook von New Order, dem unvermeidlichen Elton John oder Rapper Slowthai wirken die neuen Songs mit ihren kurz für einen Gesangsbeitrag vorbeischauenden Gästinnen relativ bescheiden. Das unauffällig und beinahe wohltuend am Ohrwurm vorbeischrammende Material hat zwar mit Latin-Superstar Bad Bunny und einem flauschigen Reggaeton-Song namens Tormenta und Stevie Nicks von Fleetwood Mac auf dem nach deren Rumours in der HipHop- und House-Disco klingenden Stück Oil die erste Liga zu bieten. Auch Tame Impala und Thundercat sind nicht zu verachten.

Meterware wie das Social Media kritisch betrachtende The Tired Influencer muss der Chef aber selbst raunzen. Gemeinsam mit seinem alten Slacker-Buddy Beck geht es schließlich mit Possession Island ins Finale: "We’re all in this together – until the end." (Christian Schachinger, 24.2.2023)