In der Jahn-Turnhalle in Ried im Innkreis schmähte FPÖ-Chef Herbert Kickl Bundespräsident Alexander Van der Bellen und andere Politiker.

Foto: APA / Manfred Fesl

Wie scharf darf die Wortwahl im Rahmen des politischen Diskurses eigentlich sein? Und wann sind die Grenzen zur verbotenen Beleidigung erreicht? In der Vergangenheit beschäftigte das schon oft die Gerichte. Jüngste beleidigende Äußerungen im Rahmen einer "Aschermittwoch-Rede" von FPÖ-Chef Herbert Kickl vor zwei Tagen bieten Anlass genug, um sich erneut mit diesen Rechtsfragen auseinanderzusetzen.

Im Rahmen des politischen Diskurses sind die Grenzen des Erlaubten gegenüber Politikern viel weiter gesteckt, als viele vielleicht zunächst annehmen würden. Aber kann es wirklich erlaubt sein, den Bundespräsidenten als Mumie zu bezeichnen, die senil in der Hofburg hocke?

Anders als Privatpersonen

Politikerinnen und Politiker können sich in ihrer Wortwahl in der öffentlichen Diskussion mehr erlauben und müssen gleichzeitig mehr einstecken. Das ist einerseits gerechtfertigt, da Politikerinnen und Politiker, anders als Privatpersonen, sich freiwillig in das politische Rampenlicht begeben und somit der öffentliche Auseinandersetzung stellen. Sie müssen daher ein größeres Maß an Toleranz zeigen und mehr Kritik dulden.

Andererseits ist das auch notwendig, denn die Freiheit der politischen Debatte bildet einen Grundpfeiler des Konzepts einer demokratischen Gesellschaft. Und politische Debatten leben nicht nur von einem sprachlich niveauvollen, zurückhaltenden Austausch, sondern auch von überspitzten Formulierungen, sarkastischen Bemerkungen und heftiger Kritik.

Sogar "Lüge" kann gerechtfertigt sein

So können selbst verletzende, beunruhigende, schockierende, sogar beleidigende Äußerungen noch gerechtfertigt sein, wenn sie auf einer ausreichenden faktischen Grundlage beruhen und einen Beitrag zum öffentlichen Meinungsaustausch bieten können. Die Grenze ist jedoch dort erreicht, wo es nur noch um substratlose Beschimpfungen geht, bei denen die persönliche Diffamierung im Vordergrund steht.

Ein plakatives Beispiel ist der Vorwurf der Lüge, der an sich wahrlich beleidigend ist. Doch was gilt, wenn der politische Mitbewerber einer Politikerin oder eines Politikers unter dem Hinweis auf nicht erfüllte Wahlversprechen der Lüge bezichtigt? Gerade im Wahlkampf sind die Äußerungen von Politikerinnen und Politkern nicht auf die "Goldwaage" zu legen. Wenngleich der Begriff "Lüge" hier nicht gerade das sprachliche Florett ist, kann auch diese Wortwahl im Gesamtzusammenhang somit doch gerechtfertigt sein, so die Gerichte.

Was Gerichte erlaubten und was sie verboten

Weitere Beispiele aus der politischen Auseinandersetzung in Österreich gefällig, die ihren Weg zu Gericht fanden? Gerne.

"Herr Bundespräsident, bitte in einem Bereich, in dem wir vielleicht kein Erinnerungsproblem haben."

"Der politische Ziehvater und Ideologe des rechtsextremen Terrorismus heißt Jörg Haider."

"Dreckskerle"

"Trottel"

"Das ist doch nicht H.-C. Strache, das ist doch ein Arsch mit Ohren!"

"Fuck Strache"

Es mag überraschen, aber alle diese deftigen und größtenteils an sich beleidigenden Äußerungen wurden von den Gerichten schlussendlich als durch die freie Meinungsäußerung gerechtfertigt eingestuft. Entscheidend war jeweils, dass die Äußerungen im Gesamtkontext einen ausreichenden Sachbezug aufwiesen.

Kurt Waldheim hatte zu seiner Kriegsvergangenheit bestenfalls geschwiegen und sich falsch geäußert, was die entsprechenden Interviewfragen von Peter Rabl und Hans Benedict 1988 rechtfertigte.

Peter Pilz erachtete das Werfen von Brandsätzen auf ein Asylantenheim 1992 als Resultat der Politik von Jörg Haider.

Paulus Manker kritisierte 2018 mit "Dreckskerle" die Kulturpolitik der Regierung und die daraus resultierende prekäre finanzielle Situation Kulturschaffender.

Mit "Trottel" wählte Gerhard Oberschlick 1990 bewusst eine provokative Antwort auf Jörg Haiders provokative Ulrichsberg-Rede und legte dar, dass es ihm darum ging, aufzuzeigen, wie unlogisch, unvernünftig und gefährlich Jörg Haiders Worte am Ulrichsberg waren.

Beim "Arsch mit Ohren" handelte es sich um eine Bildgeschichte aus dem Jahr 2006, die einen erkennbaren satirischen Bezug zur politischen Tätigkeit von H.-C. Strache und der von ihm repräsentierten politischen Partei aufwies.

"Fuck Strache" als Grenzfall

"Fuck Strache", das 2017 in einem Protestvideo angesichts der sich abzeichnenden Regierungsbeteiligung der FPÖ geäußert wurde, war im Gesamtkontext als eine politische Kritik daran, wofür Strache als Obmann der FPÖ politisch steht und wie er politisch handelt, und nicht als bloße, gegen seine Person gerichtete Diffamierung zu verstehen.

Die letzte Entscheidung stellt sicher einen Grenzfall dar. Das zeigt auch eine Gerichtsentscheidung ein Jahr zuvor, wonach es unzulässig war, Heinz-Christian Strache in einem Facebook-Kommentar als "Arsch" zu bezeichnen. Dieser Kommentar erging, so die Gerichte, ohne jeden satirischen oder künstlerischen Anspruch und ohne Äußerung konkreter Kritik zu dem Foto einer Teilnehmerin einer FPÖ-Demonstration gegen die Flüchtlingspolitik der damaligen Regierung.

Keine politische Kritik, sondern nur Beleidigung

Zurück zum Anlassfall dieses Artikels. Die Beschimpfung als senile Mumie ist keine politische Kritik, sondern erschöpft sich in einer bloßen Beleidigung, die keinen schutzwerten Beitrag zum politischen Diskurs leistet. Man könnte nun noch ins Treffen führen, es wäre Kickl mit einem humoristischen Beitrag lediglich um die Belustigung des Publikums gegangen. Das wird aber nicht funktionieren.

So hatte schon Jörg Haider vor den Gerichten argumentiert, um die in seiner "Aschermittwoch-Rede" 2001 über Ariel Muzicant getroffene Äußerung, er verstehe nicht, wie einer, der Ariel heiße, so viel Dreck am Stecken haben könne, zu verteidigen. Jörg Haider meinte, es habe sich lediglich um eine Scherzerklärung im Rahmen einer Polit-Kabarett-Veranstaltung gehandelt. Das sahen die Gerichte anders. Die "Aschermittwoch-Rede" ist eine politische Rede und daher nicht an den Grenzen der Kunstfreiheit zu messen.

Die Grenzen der erlaubten Wortwahl im politischen Diskurs sind schon aus Gründen der Demokratiesicherung weit gesteckt. Sie werden jedoch dort überschritten, wo die Beleidigung im Vordergrund steht und somit keinen Beitrag zur Demokratiesicherung leisten können. Das ist vor zwei Tagen geschehen. (Sascha Jung, 24.2.2023)