"Das RSO ist ein fantastischer Klangkörper. Aber es hat mit dem ORF gar nichts zu tun. Hier ist letztlich die Landes- und Bundespolitik gefordert", sagt Medienmanager Gerhard Zeiler.

Foto: Robert Newald

Gerhard Zeiler war in den 1990ern ORF-Generalintendant, er führte danach den privaten TV-Konzern RTL Group und verantwortet heute das internationale Geschäft des US-Fernsehriesen Warner Bros. Discovery. Im STANDARD-Interview betont er die Notwendigkeit eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks – und der Bereitschaft, dafür zu zahlen.

STANDARD: Die Medienministerin hat sich zu einer Richtungsentscheidung durchgerungen: Der ORF soll künftig statt der GIS durch eine Haushaltsabgabe finanziert werden. Macht das Sinn?

Zeiler: Es macht Sinn, weil es die Finanzierung des ORF sicherstellt. Das ist für mich die oberste Priorität. Wir müssen uns entscheiden, ob wir einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollen. Und ich bin hundertprozentig der Meinung, dass wir in unseren Gesellschaften, und insbesondere in Österreich, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den ORF benötigen. Ich bin ein Anhänger des dualen Systems, weder eines ORF-Monopols noch eines allein privaten Rundfunks. Die Kleinheit Österreichs macht es sehr wahrscheinlich, dass rein privates Fernsehen in erster Linie von deutschen Eigentümern getragen wäre. In ganz Europa und auch in Österreich ist es notwendig und gut, dass es einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt.

STANDARD: Wie erklärt man den Menschen, dass es einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht?

Zeiler: Diese Aufgabe kommt hat nicht nur die Regierung, sondern in erster Linie der ORF selbst. Der ORF muss durch seine täglichen Programme beweisen und die Menschen davon überzeugen, dass es richtig ist, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu haben. Das hat er etwa in der Pandemie getan. Eine Mehrheit will auf den ORF nicht verzichten, zeigte zuletzt eine "Kurier"-Umfrage.

STANDARD: Und wie erklärt man den Menschen, dass sie dafür zahlen sollen, auch wenn sie ihn nicht nützen – wie bei einer Haushaltsabgabe?

Zeiler: Eine sehr kleine Minderheit nützt gar keine ORF-Angebote. Und es gibt auch Menschen, die kein Auto haben und trotzdem über ihre Steuern und Abgaben etwa Straßen mitfinanzieren. Wenn es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben soll, wovon ich überzeugt bin, dann müssen die Menschen dafür einen Beitrag leisten.

"Es geht sich in den meisten Fällen nicht aus, wenn man etwas haben möchte und dafür aber nicht bezahlen will."

STANDARD: In einer aktuellen STANDARD-Umfrage von Market sagen 63 Prozent, sie finden eine Gebühr für den ORF nicht gerechtfertigt.

Zeiler: Es geht sich in den meisten Fällen nicht aus, wenn man etwas haben möchte und dafür aber nicht bezahlen will. Ich gehe davon aus, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in Österreich einen ORF haben möchte, und der ORF ist in der derzeitigen Form nur finanzierbar und machbar, wenn es eine öffentliche Finanzierung gibt, die von allen getragen wird.

STANDARD: Und welche Form der öffentlichen Finanzierung empfehlen Sie?

Zeiler: Die Haushaltsabgabe ist ein besseres Instrument als die Budgetfinanzierung. Die Budgetfinanzierung birgt eine Gefahr für die Unabhängigkeit des Rundfunks. Und am Ende kommt die Budgetfinanzierung auch aus Abgaben der Menschen.

STANDARD: Sie haben vom ORF in der derzeitigen Form gesprochen. Ist der ORF in dieser Form zeitgemäß – und wie ginge es zeitgemäßer?

Zeiler: Ich glaube, der ORF erledigt seine Aufgabe im Großen und Ganzen sehr gut. Das heißt aber nicht, dass es dort keine Reformaufgaben gibt.

"Man muss täglich schauen, wie man Dinge effizienter machen kann."

STANDARD: Welche Aufgaben hat ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk 2023?

Zeiler: 1.) Unabhängige Berichterstattung ist das Um und Auf, ich glaube, der ORF macht das im Großen und Ganzen gut. 2.) Österreich ist die zweite wesentliche Daseinsberechtigung, die Berichterstattung in Politik, Kultur, Leben. Die vielen Regionalprogramme sprechen dafür, dass der ORF seine Aufgabe sehr gut erfüllt. 3.) Wenn ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der von allen bezahlt wird, muss er für eine Mehrheit da sein. Er muss versuchen allen, die etwas zahlen, auch etwas anzubieten. Das kann nicht nur hehre Kultur und Information sein. Dann wird es wirklich ungerecht – wenn zehn, 20, 30 Prozent den ORF nutzen und 100 Prozent zahlen. Er muss ein breites Programmspektrum anbieten, ein gutes Programm für die Mehrheit. 4.) Wie jedes andere Medienunternehmen muss er die Konsumenten dort abholen, wo die sie sehen wollen. Er muss auf allen Plattformen, wo Menschen ihn nutzen wollen, seine Programme zur Verfügung stellen können. Da ist auch die Politik gefragt: Es ist eine Frotzelei der Konsumenten, dass sie zwar Gebühren zahlen, aber nach sieben Tagen das von ihnen finanzierte Programm nicht mehr abrufen können. 5.) Letztlich muss der ORF so effizient und so sparsam wie möglich tätig sein. Das erfüllt zu 100 Prozent kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Man muss täglich schauen, wie man Dinge effizienter machen kann.

STANDARD: Die Medienministerin hat vom ORF gerade ein Sparprogramm als Bedingung für die Haushaltsabgabe vorgegeben. Ist das ihre Aufgabe?

Zeiler: Die Aufgabe der Medienministerin ist ein Gesetz, das die Haushaltsabgabe regelt. Klar ist, dass die finanzielle Gebarung des ORF Sache der Organe des ORF und nicht der Medienministerin ist. Ich habe diese öffentlichen Sparforderung schon als Verhandlungstaktik gesehen, das sollte man nicht überbewerten.

"Jede Gruppe sagt, der ORF muss billiger werden, aber bei sich selbst darf nicht gespart werden."

STANDARD: ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat ein Sparprogramm vorgelegt, dem das RSO, ORF Sport Plus, Flimmit, Fidelio zum Opfer fallen sollen. Sie kennen den ORF auch von innen, sind das die ersten Sparziele, die Ihnen einfallen würden?

Zeiler: Da muss man den Ball zurückspielen. Wenn die Regierung, vom Bundeskanzler abwärts, sagt, da müssen 300 Millionen eingespart werden, dann hat der ORF-Generaldirektor die Aufgabe im Sinne des Unternehmens zu versuchen, diese Sparziele zu erreichen. 300 Millionen bei einem Budget von einer Milliarde …

STANDARD: Es sind offenbar 300 Millionen Einsparung über vier Jahre …

Zeiler: … dann sind das acht bis zehn Prozent weniger: Die bekommt man nicht in den Griff, in dem man eben Jobs nicht nachbesetzt. Das geht sich nicht aus. Jede Gruppe sagt, der ORF muss billiger werden, aber bei sich selbst darf nicht gespart werden.

STANDARD: Das RSO …

Zeiler: Das RSO ist ein fantastischer Klangkörper, da bin ich mit der Kulturstaatssekretärin zu 100 Prozent einer Meinung. Es gehört zum Kulturgut Österreichs. Aber es hat mit dem ORF gar nichts zu tun. Hier ist letztlich die Landes- und Bundespolitik gefordert, welche Möglichkeiten der Finanzierung sie sieht.

STANDARD: ORF Sport Plus?

Zeiler: Ich verstehe die Sportorganisationen und ihre Sorge. Aber es wird in den anderen ORF-Programmen Möglichkeiten geben, einen Großteil unterzubringen, etwa untertags am Wochenende und in digitalen Kanälen. Wie viel man dann da einsparen kann, ist die Frage. Das muss das Management wissen. Eines geht nicht: Die Regierung gibt Einsparungen vor, und schließt zugleich aber aus, wo der ORF nicht sparen darf. Das geht sich nicht aus.

STANDARD: Sie sind seit Jahrzehnten im internationalen Spitzenmanagement der privaten Medienwirtschaft. Die österreichischen privaten Medien fürchten um ihre Existenz, wenn der ORF mehr Möglichkeiten im digitalen Raum bekommt.

Zeiler: Welche österreichischen Onlineangebote will man schützen, indem man den Abruf von ORF-Sendungen online auf sieben Tage beschränkt? Wenn es um Onlinewerbung oder Werbung insgesamt geht, war ich immer der Meinung, dass man da auf Partnerschaften mit Privaten setzen soll. Der ORF hat solche Partnerschaften schon bei Sportrechten – solange das Wettbewerbsrecht das zulässt, kann man das auch im Bereich der Werbung machen. Und ich würde jedem ORF-Generaldirektor raten, sich anzuschauen, ob man große Teile der Technik in den nächsten fünf bis sieben Jahren auslagern kann, und hier Partnerschaften mit Privaten einzugehen. Den Journalismus kann man sicher nicht auslagern und auch nicht die im Tagesgeschäft nötigen Cutter, aber etwa große Studios, Übertragungswägen, Playout-Center. Das würde es für alle günstiger und effizienter machen.

"Es ist Sache der Regierung, der Medienministerin, hier einen Konsens zwischen ORF und Privaten zu finden."

STANDARD: Die Sorgen privater Medienhäuser beziehen sich auf das Textangebot auf ORF.at, dem größten Online-Newsangebot in Österreich. ORF-Chef Weißmann hat angeboten, das Textangebot zu halbieren zugunsten von mehr Möglichkeiten im Videobereich.

Zeiler: Das ist relativ einfach: Es ist Sache der Regierung, der Medienministerin, hier einen Konsens zwischen ORF und Privaten zu finden. Ich habe ein gewisses Verständnis für die privaten Verleger, dass der ORF nicht Zeitungsherausgeber werden soll. Aber die blaue Seite ganz abzuschaffen ist den Konsumenten schwer zu vermitteln.

STANDARD: Wie kann im kleinen Österreich ein dualer Markt mit einem so großen ORF, dominierenden deutschen Privatsendern und internationalen Digitalriesen funktionieren?

Zeiler: Es gibt nicht nur eine Lösung, sondern viele. Partnerschaften zwischen dem nach wie vor dominierenden ORF und privaten Anbietern. Der ORF sollte sich bis zu einem gewissen Maß in für ihn nicht überlebenswichtigen Bereichen zurückhalten, also etwa Textberichterstattung online, Werbung … Es geht aber weiter: Jedes Medienunternehmen muss sich überlegen, was sein USP ist, sein einzigartiges Angebot. Da geht es zum Beispiel sicher in Richtung Österreich, Richtung regionale und lokale Berichterstattung. Aber in Sachen USP haben viele österreichische Zeitungen auch noch einiges zu tun, scheint mir, wenn ich sie mir am Wochenende in Österreich ansehe. Vieles habe ich schon irgendwo anders gelesen. Ich würde mir als Zeitungsleser wünschen, dass man an den Produkten, etwa an Hintergrundinformation arbeitet. Und letztlich muss man sagen: Wenn man in einem kleinen Land wie Österreich ein vielfältiges, qualitativ hochstehendes Medienangebot möchte, wird das ohne staatliche Unterstützung nicht möglich sein. Das ist auch klar. (fid, 25.2.2023)