Am Beispiel der Moskau-Tochter der RBI lässt sich zeigen, wie machtvoll die USA agieren können.
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Der Brief aus Washington hat die Betriebsamkeit in der Zentrale der RBI am Wiener Stadtpark noch einmal deutlich erhöht. Die Raiffeisen Bank International ist noch immer in Russland aktiv und muss deshalb nun den Amerikanern ausführlich Rede und Antwort stehen. Die US-Sanktionsbehörde OFAC hat den Bankern im Jänner sehr viele Fragen zu ihren Geschäften, vor allem in Russland, Belarus und im besetzten Teil der Ukraine, übermittelt. Die gilt es nun penibel zu beantworten.

Sanktionsregime

Denn Spaß verstehen die Sanktionshüter von der OFAC keinen – und ihr Arm ist ebenso lang wie ihre Macht groß. Geldinstitute, die US-Sanktionen verletzten, werden im besten Fall zu hohen Strafen verdonnert, die bisher höchste von fast neun Milliarden US-Dollar fasste die französische BNP Paribas aus. Ohne Kooperationsbereitschaft kann es aber viel schlimmer kommen: Dann droht der Ausschluss von allen Dollar-Transaktionen, was der Branche als "Wall-Street-Äquivalent zur Todesstrafe" gilt.

Wie kann es sein, dass Amerikaner einer Bank in Österreich sagen können, was sie zu tun hat? Mitunter, und immer öfter, dehnen die USA ihr Sanktionsregime weit über ihre Staatsgrenzen aus. Ob nun Südafrika während der Apartheid, ob der Iran, Irak, Libyen oder nun eben Russland: Wenn Länder Wirtschaftssanktionen beschließen, stellt sich die Frage, wer sich daran halten muss. Die USA mit ihren globalen wirtschafts-, außen- und sicherheitspolitischen Interessen legen ihre Netze weit aus. Hält es Washington für richtig, dann verhängt es extraterritoriale Sanktionen. Dazu gibt es zwei Wege.

Macht des Dollars

Der eine führt über den Dollar: Jeder, der Transaktionen mit der US-Währung durchführt, kann dem US-Sanktionsregime unterworfen werden. Das gilt sogar dann, wenn der Dollar als globale Leitwährung nur indirekt eine Rolle spielt, also etwa wenn jemand Yen in britische Pfund umtauscht. Solche Wechselgeschäfte werden im Regelfall über Clearingstellen durchgeführt, bei denen wieder der Dollar ins Spiel kommt. Das reicht der OFAC mitunter schon für einen Anknüpfungspunkt. Wann Behörden zu extraterritorialen Machtinstrumenten greifen, ist nicht klar auszumachen.

Das macht die Sache so schwierig und ist Teil der US-Strategie. Denn wer Geschäfte mit von den USA sanktionierten Personen, Unternehmen oder Staaten tätigt, kann plötzlich selbst zur Zielscheibe der US-Behörden werden – auch wenn das betreffende Geschäft im eigenen Land legal ist. Das lässt Geschäftsleute zurückzucken. Lieber die Finger von einem Deal lassen, als es sich mit einer Weltmacht zu verscherzen. "Die Unternehmen sind sehr vorsichtig und gehen keine Risiken ein", beobachtet Stephan Denk von der Wiener Anwaltskanzlei Freshfields. Von den Amerikanern komme einfach ein "riesengroßer faktischer Druck", ergänzt Anwalt Lukas Röper von der Kanzlei PHH.

Sekundärsanktionen

Der zweite Weg sind die "secondary sanctions": Dabei drohen die USA einem ausländischen Unternehmen nicht direkt Strafen an. Wohl aber untersagen sie US-Unternehmen, von Banken bis hin zu Softwareproduzenten, Geschäfte mit diesen Ausländern zu tätigen.

Wie wirkungsvoll diese Vorgangsweise ist, lässt sich am Beispiel des Iran erzählen, der von den USA mit den strengsten Sanktionen überhaupt belegt wurde, nachdem das iranische Atomwaffenprogramm aufgeflogen war. In der Folge hielten sich sogar chinesische Reedereien und Öleinkäufer vom Iran-Geschäft weitgehend fern. US-Präsident Donald Trump fasste das US-Credo 2018 so zusammen: "Wer mit dem Iran Geschäfte macht, wird keine Geschäfte mit den USA machen." Diese Erweiterung der eigenen Machtsphäre wurde dann aber auch den Europäern zu viel. Die Rahmenhandlung damals: Trump kündigte das Wiener Atomabkommen mit dem Iran auf. Das sah vereinfacht gesagt vor, dass der Iran die Urananreicherung unter internationale Kontrolle stellt, der Westen dafür seine Sanktionen lockert.

Wenig EU-Gegenwehr

Die Europäer wollten an der Vereinbarung aber trotz der Aufkündigung durch Trump festhalten. Die EU-Staaten drohten europäischen Unternehmen 2018 Strafen an, sollten sie sich als Folge des US-Drucks aus dem Iran zurückziehen. Dieses "EU-Blocking" half wenig: Der Iran wurde erneut zum No-Go für europäische Unternehmen, denen der lange Arm der Amerikaner doch zu gefährlich erschienen ist.

Ein Lied davon singen kann etwa die Bank-Austria-Mutter Unicredit. Sie hat 2019 rund 1,3 Milliarden Dollar Strafe gezahlt, unter anderem wegen Verstößen gegen die Iran-Sanktionen.

Alter Anspruch

Der Anspruch der USA, über ihre Grenzen hinaus Recht anzuwenden, ist althergebracht: "Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts betraf die extraterritoriale US-Jurisdiktion vorwiegend Schadensersatzforderungen und Piraterie. Seit dem frühen 20. Jahrhundert erfolgte eine Ausweitung auf die Umwelt- und auf die Wirtschaftspolitik, insbesondere im Kartell, Banken-, Konkurs, Aktien-, Steuer- und Arbeitsrecht. Seit den 1970ern hat sich die extraterritoriale Reichweite der US-Jurisdiktion erheblich vergrößert", schreibt Sascha Lohmann, Experte an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.

Im Falle Russlands und des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat sich Washington bisher weitgehend zurückgehalten. Die USA haben weitreichende Sanktionen gegen Land, Personen und Unternehmen verhängt, diese aber bisher kaum auf Nichtamerikaner ausgerollt. Laut Juristen, die sich mit Sanktionscausen beschäftigen, liegt das daran, dass die Amerikaner quasi Rücksicht auf ihre Verbündeten gegen Wladimir Putin nehmen. Die Europäer unterhalten immer noch engere Geschäftsbeziehungen mit Moskau, man denke nur an Gaslieferungen, etwa auch an Österreich. Zudem hat auch die EU bereits neun Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebracht, das zehnte wurde am Freitag beschlossen.

Verschärfte Gangart

Nun aber verschärfen die USA ihre Gangart. Das haben sie Mitte Februar deutlich gemacht: "Wir schauen uns weitere Banken und Finanzinstitute an, um zu sehen, wie Russland mit der Außenwelt finanziell verknüpft ist", sagte James O’Brien, im US-Außenministerium für die Koordinierung der Sanktionen zuständig, vorige Woche. Der Ankündigung waren Taten vorausgegangen: Laut wohlinformierten Kreisen hat die Sanktionsbehörde OFAC zuletzt etliche ihrer Frage-Briefe an Unternehmen verschickt.

Auch in der Türkei sind die Amerikaner Anfang Februar aufs Gas gestiegen, denn die türkischen Exporte nach Russland haben 2022 stark zugelegt. Die US-Regierung befürchtet, dass aus der Türkei, die keine Sanktionen gegen Moskau erlassen hat, Mikrochips und Chemikalien nach Russland gelangen.

Wo EU-Sanktionen enden

Die Frage, wie weit die eigene Sanktionsmacht gehen soll, beschäftigt auch die Europäer zunehmend, deren Sanktionsregime bisher keine Extraterritorialität beansprucht. Auf der schwarzen Liste der EU stehen hunderte Personen und Unternehmen, mit denen Europäer keine Geschäfte machen dürfen. Dazu kommt eine breite Palette an Produkten und Technologien, wie Chips, Flugzeugteile oder Ausrüstung für Gas- und Ölfelder, die nicht nach Russland ausgeführt werden dürfen. Aber diese Regelung gilt nur für EU-Bürger und Unternehmen in der EU. Und da ist der Haken: Hat etwa ein österreichisches Unternehmen eine selbstständige Tochtergesellschaft in China, die dort Mikrochips produziert, dürfen die nach Russland verkauft werden. Vorausgesetzt, aus Österreich mischt sich niemand ein, erklärt Rechtsanwalt Mark Lager, Partner bei DLA-Piper. Legale Schlupflöcher gibt es also. Dabei muss gar nicht im Ausland produziert werden. 2022 stiegen die Exporte aus Europa und den USA nach Kirgistan und Armenien um 80 Prozent. Zugleich haben sich die Ausfuhren aus diesen Ländern nach Russland verdoppelt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Die EU hat jedenfalls Ende 2022 einen eigenen Sonderbeauftragten damit betraut, auf Drittstaaten wie Armenien einzuwirken, sich von Russland abzukoppeln. Seine Reisetätigkeit wird enorm sein: Nur rund 40 Länder der Erde haben wegen des Ukrainekriegs Sanktionen gegen Russland erlassen. (Renate Graber, András Szigetvari, 25.2.2023)