Der russische Präsident Wladimir Putin als Harry-Potter-Bösewicht Lord Voldemort.

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Als Kampf um die Demokratie hat US-Präsident Joe Biden den Ukrainekrieg in seiner Rede in Warschau definiert und selbstbewusst erklärt, durch die russische Aggression seien "die Demokratien der Welt stärker, nicht schwächer geworden".

Das mag für den inneren Zusammenhalt des westlichen Bündnisses stimmen, aber leider nicht für die globale Bilanz. Im vergangenen Jahrzehnt hat das Prinzip der liberalen Demokratie mit politischem Pluralismus, Meinungsfreiheit und einem friedlichen Machtwechsel auf allen Kontinenten an Boden verloren. Liberale Demokratien sind illiberal geworden, und illiberale Demokratien haben sich in offene Autokratien verwandelt. Und das gilt nicht nur für Wladimir Putins Russland selbst.

Wo Demokratie an Boden verliert

Vom Arabischen Frühling ist seit dem Abgleiten Tunesiens in eine Präsidialdiktatur nichts übrig geblieben, in Mexiko zerstört ein linkspopulistischer Staatschef die demokratischen Kontrollinstitutionen, in Indien wird der traditionelle Pluralismus immer mehr von einem autoritären Hindu-Nationalismus verdrängt, und selbst in Israel sind demokratische Normen durch eine extrem rechte Regierung unter Beschuss.

Der einzige Lichtblick in jüngster Zeit war der hauchdünne Wahlsieg des Sozialdemokraten Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien; der vielleicht wichtigste Test in den kommenden Monaten, ob der Volkswille unpopuläre Autokraten von der Macht verdrängen kann, sind die Wahlen in der Türkei.

Wer Russland nicht verurteilt

Die Schwächung demokratischer Normen hat auch Einfluss auf die Positionierung der Staaten im russisch-ukrainischen Krieg. Zwar hat eine große Mehrheit in der UN-Vollversammlung den russischen Angriff verurteilt, aber zwei Drittel der Menschheit leben in Staaten, die dagegen gestimmt oder sich enthalten haben – und damit die russische Aggression billigen und in vielen Fällen davon profitieren. Das lässt sich zum Teil mit der postkolonialen Skepsis im Globalen Süden gegenüber allem erklären, was nach westlicher Moral und Scheinheiligkeit klingt, aber nicht nur.

Die Gleichgültigkeit, mit der der militärische Überfall eines paranoiden Diktators auf ein demokratisches Nachbarland aufgenommen wird, zeugt davon, wie fragil die Unterstützung für Werte wie Pressefreiheit, Trennung von Religion und Staat oder Respekt für Minderheitenrechte in so vielen Staaten ist; selbst der Bruch der territorialen Unversehrtheit von Staaten – ein Grundprinzip der UN-Charta – wird mit Achselzucken hingenommen. Dass Brasilien beim Wechsel von Jair Bolsonaro zu Lula auch die Position zum Krieg gewechselt und Russland nun verurteilt hat, ist kein Zufall.

Die Verbindung von Innen- und Außenpolitik lässt sich auch bei den Verbündeten der Ukraine im Westen beobachten: Die Putin-Versteher findet man vor allem in jenen Parteien und Bewegungen, die sich auch sonst um demokratische Normen nicht scheren.

Unterschied zwischen Kiew und Moskau

An der Politik der Ukraine gab es immer viel zu kritisieren, aber noch selten war der Unterschied zwischen Demokratie und Tyrannei so deutlich zu sehen wie heute zwischen Kiew und Moskau, zwischen Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin. Dass das außerhalb der westlichen Welt so wenig wahrgenommen wird, ist ernüchternd.

Ob eine klare Niederlage Russlands in diesem furchtbaren Krieg der Demokratie außerhalb Europas einen frischen Aufwind geben wird, ist unsicher. Aber ein Sieg für Putin wäre jedenfalls eine Ernüchterung für demokratische Bewegungen in aller Welt und ein Signal an autoritäre Politiker, dass im 21. Jahrhundert Macht doch stärker ist als Recht. Und das darf nicht geschehen. (Eric Frey, 27.2.2023)