"Unternimmt man gleich viele Auslandsreisen wie vor Pandemieausbruch und urlaubt zusätzlich öfter im eigenen Land, ist das klimatechnisch sogar kontraproduktiv", sagt Maria Kapeller, Autorin des Buchs "Lovely Planet" im Verlag Kremayr & Scheriau, das unser Reiseverhalten konsumkritisch hinterfragt.

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Die Reisebloggerin Gudrun Krinzinger ist immer wieder als erfahrene Camperin unterwegs – auch in Südafrika. Selbst während der Pandemie waren die Campingplätze dort gut gebucht. Die Südafrikaner waren über die Abwesenheit internationaler Gäste gar nicht so betrübt", sagt Krinzinger.

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"Ich sehe Parallelen zu 9/11, als auch alle im Tourismus jammerten. Danach holten sie jeden Cent aus jeder Dienstleistung", meint Jochen Müssig. Der Autor hat zuletzt mehrere Titel mit inspirierenden Reiseideen für Deutschland veröffentlicht, gemeinsam mit Margit Kohl auch Secret Places Bayern im Bruckmann Verlag.

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Oft ist Overtourism eine Frage der Perspektive, meint Helge Sobik, Autor zahlreicher Bände der Picus-Reihe Lesereisen und deutscher "Reisejournalist des Jahres 2019". Zuletzt erschien von ihm der Band "Persischer Golf" im Picus Verlag.

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Reisejournalist und Fotograf Win Schumacher sieht sich regelmäßig auf dem afrikanischen Kontinent um. Weniger Touristinnen und Touristen in Safari-Gebieten können mehr Wilderei bedeuten, stellte er mehrfach fest. Der Autor betreibt unter andrem die Seite Weltwege.

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"Nach Corona ist wie vor Corona in Amsterdam. Zwei Jahre hatten die Bewohner ihre Ruhe, sie genossen sie, konnten ihr Glück kaum fassen – und sie hofften", sagt Kerstin Schweighöfer. Die Autorin veröffentlichte zuletzt das Buch Gebrauchsanweisung für die Niederlande im Piper Verlag.

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"In Zukunft wird alles anders." Diesen Satz hörten wir zum Höhepunkt der Pandemie aus vielen Metropolen, die von Massentourismus geplagt waren. Tatsächlich ist es etlichen Orten gelungen, Strategien dagegen zu entwickeln, und es ist auch Neues entstanden. Gleichzeitig hegen mehr Reisende denn je den Wunsch, Entgangenes nachzuholen. Revenge-Travel nennt man das, die Rache der Reiselustigen.

Was also hat sich konkret von Amsterdam bis Zypern geändert? Wir haben bei Reiseautorinnen und -autoren nachgefragt, die wieder weltweit unterwegs sind und Stimmungsbilder rund um den Globus für uns einfangen.

Amsterdam

"Nach Corona ist wie vor Corona in Amsterdam. Zwei Jahre hatten die Bewohner ihre Ruhe, sie genossen sie, konnten ihr Glück kaum fassen – und sie hofften", sagt etwa Kerstin Schweighöfer, die zuletzt das Buch "Gebrauchsanweisung für die Niederlande" veröffentlichte. Doch nun sei alles wieder beim Alten, vor allem im berüchtigten Rotlichtbezirk, den Wallen. Sie sind der malerischste und älteste Teil der Stadt, von Jacques Brel besungen – und wie gehabt in der Hand grölender, saufender und kiffender junger Männer aus den Nachbarländern, vor allem aus Großbritannien, die mit dem Billigflieger anrücken und alle Manieren zu Hause lassen. Kein Wunder also, dass die Stadtväter da weitermachen, wo sie vor Corona aufhörten, und neue Maßnahmen ergreifen wie etwa das Kiffverbot, das im Mai in der Altstadt in Kraft tritt.

Amsterdam führte zuletzt viele Beschränkungen und Verbote für die Innenstadt ein.
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Immerhin: Amsterdam scheint es ernst zu meinen mit dem Reset. Auch eine Obergrenze für die Anzahl der touristischen Übernachtungen und ein Verbot für Ferienwohnungen im Zentrum wurden eingeführt, ab 2024 sollen Touristenbusse aus der Innenstadt verbannt werden. Das Positive daran: Schon jetzt führt das dazu, dass in Amsterdam auch andere Grätzel wie Noord in den Fokus rücken. In dem Kreativviertel tummeln sich junge Europäerinnen und Europäer, die lieber mit dem Nachtzug und nicht mit dem Billigflieger kommen.

Costa Blanca

Oft ist Overtourism eine Frage der Perspektive, wie es Helge Sobik, Autor zahlreicher Bände der Picus-Reihe "Lesereisen" und deutscher "Reisejournalist des Jahres 2019" in den meisten seiner Geschichten anspricht. Zur Hauptsaison hoffnungslos überlaufene Orte auf der Iberischen Halbinsel können zur Nebensaison ein Hort der Ruhe sein, häufig ist der Auftrieb auch nur punktuell: "Dénia an der Costa Blanca hat schon vor der Pandemie stark auf Gastronomie-Tourismus gesetzt und besaß überproportional viele sehr gute Restaurants. Zu Beginn der Pandemie stand all das auf Messers Schneide, doch die meisten Restaurants haben die Krise überlebt, inzwischen auch neue eröffnet", stellt Spanien-Kenner Sobik fest.

An der Costa Blanca wurde die Saison dank besserer gastronomischer Angebote verlängert.
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In der Sommersaison sei zwar alles noch voller als vorher. "Doch aus diesem Nachteil wird ein Vorteil für den Rest des Jahres: herausragende Gastronomie ohne den Hochsommerandrang – alles da, was verlangt wird. Selbst im Februar oder März oder November, wenn es nicht die Spur von Overtourism gibt. Ein Gewinn für die Nebensaison."

Deutschland

Die Beobachtungen des Reiseautors Jochen Müssig sind nicht unbedingt ortsspezifisch, sie treten aber umso eher auf, je näher man seiner deutschen Heimat kommt: "Ich sehe Parallelen zu 9/11, als auch alle im Tourismus jammerten. Danach holten sie jeden Cent aus jeder Dienstleistung." So habe die deutsche Airline Eurowings bis vor kurzem Extragebühren für die Decken im Flieger verlangt. Vermutlich sei es kein Zufall, meint Müssig, dass die Klimaanlage umso kälter gedreht wurde.

Die Betten im Hotelzimmer nicht zu machen, soll angeblich der Umwelt helfen. Tatsächlich steckt Personalmangel hinter der Maßnahme.
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Er ergänzt eine Beobachtung: "Jedes Hotel bittet mehr oder weniger darum, dass das Zimmer bei längeren Aufenthalten nicht mehr gemacht werden muss. Der grüne Gedanke ist dabei das Feigenblatt für Personalmangel oder Einsparungen." Der Autor hat zuletzt trotzdem mehrere Titel mit inspirierenden Reiseideen für Deutschland (etwa mit Margit Kohl "Secret Places Bayern") veröffentlicht.

Kanaren

Die Kanarischen Inseln haben in den letzten Jahren ein stetiges Auf und Ab in der Gunst der Touristen hinter sich. Gran Canaria und Teneriffa schwankten zwischen Beschwerden über zu wenige und solchen über zu viele Gäste. Eine, die vor der Pandemie und nun erneut dort war, ist Gudrun Krinzinger, Autorin von reisebloggerin.at: "Auf Teneriffa konnte ich kein geändertes Urlaubsverhalten feststellen, ganz im Gegenteil. Ich hatte das Gefühl, es sind mehr Leute als je zuvor auf der Insel", sagt sie und ergänzt grundsätzlicher: "Die Personen, die es sich leisten können, haben eine Art Aufholbedürfnis, auch nach dem Motto ,Jetzt erst recht‘."

Die Kanareninsel El Hierro ist unbemerkt zum Vorreiter bei erneuerbaren Energien geworden.
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Dennoch ist die Entwicklung auf den Kanaren keineswegs einheitlich. El Hierro, die abgelegenste der Kanarischen Inseln, wurde in den vergangenen Jahren unbemerkt zum Vorreiter bei erneuerbaren Energien. Ein ausgeklügeltes System aus Stauseen und Windkraft versorgt die Insel mit Strom – erstmals über längere Zeit komplett aus diesen Quellen. Das macht sie für die "New York Times" im Jahr 2023 zu einem der inspirierendsten Orte für Reisende.

Österreich

Und wie steht es um den Trend, auch nach der Aufhebung von Reisebeschränkungen mehr regional zu urlauben? Autorin Maria Kapeller, die mit ihrem Buch "Lovely Planet" unser Reiseverhalten konsumkritisch hinterfragt, hat darauf eine klare Antwort: "Oft heißt es, die Pandemie hat uns für nachhaltiges Reisen sensibilisiert. Tatsächlich waren wir für einige Zeit gezwungen, uns die nähere Umgebung anzuschauen. Jetzt, da Auslandsreisen wieder möglich sind, steigt auch das Flugaufkommen."

Urlaub in Österreich sorgt nur dann für eine bessere Klimabilanz, wenn man die die geplante Fernreise nicht trotzdem zusätzlich realisiert.
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Ob das eigene Reiseverhalten umweltverträglicher werde, hänge eher von der inneren Einstellung ab: Hat sich diese tatsächlich verändert, oder war die neue Lust am Reisen im eigenen Land eine Notlösung? Kapeller: "Der Reise-Klimafußabdruck wird nur dann kleiner, wenn man seltener fliegt und dafür öfter in der Nähe bleibt. Unternimmt man aber gleich viele Auslandsreisen wie vor Pandemieausbruch und urlaubt zusätzlich öfter im eigenen Land, ist das klimatechnisch sogar kontraproduktiv."

Südafrika

Die Bloggerin Gudrun Krinzinger ist immer wieder als erfahrene Camperin unterwegs – auch in Südafrika. Über die Entwicklung der Besucherströme in den Nationalparks sagt sie: "Im Kalahari Transfrontier Park waren 2020 viel mehr ausländische Gäste und Gruppen unterwegs als im Herbst 2022."

In den Nationalparks Südafrikas sind nachhaltig mehr inländische Touristen unterwegs.
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Trotzdem waren die Campingplätze auch zuletzt gut gebucht, und die Südafrikaner waren über die Abwesenheit internationaler Gäste gar nicht so betrübt." Sie sieht die Erstarkung des Binnentourismus als eine Art Rückeroberung besonderer Orte.

Tansania

Der Reisejournalist und Fotograf Win Schumacher sieht sich regelmäßig auf dem afrikanischen Kontinent um. Neben Südafrika hat er in Tansania die Erfahrung gemacht, dass inländische Reisebewegungen nachhaltig zugenommen haben: "Viele Nationalparks haben gelernt, nicht allein auf ausländische Touristen zu setzen und alternative Einnahmequellen zu erschließen", sagt Schumacher.

Der Natur- und Safaritourismus in Tansania scheint gefragter denn je.
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Zum Höhepunkt der Pandemie bestand vielfach die Befürchtung, dass das Fehlen von Safaritouristen die Wilderei aufs Neue befeuert. In den meisten Nationalparks scheint der Tierschutz aber wieder gewährleistet. "Viele fürchteten den Niedergang des Safaritourismus, über den sich die meisten Schutzgebiete Afrikas finanzieren. Inzwischen bilden sich in bekannten Nationalparks wie Tansanias Serengeti und Südafrikas Kruger-Nationalpark längst wieder Jeepstaus um Löwen und Leoparden. Der Naturtourismus scheint vielerorts sogar gefragter als je zuvor."

Thailand

Wo Touristen zum Höhepunkt der Pandemie ausgeblieben sind, haben sich Korallenriffe schnell erholt. Augenscheinlich ist das rund um frühere Besucher-Hotspots in Thailand. Vor der Inselgruppe Phi Phi mit der Maya-Bucht, die durch den Film "The Beach" berühmt wurde, und an den meisten Küsten der Provinz Krabi gedeihen die Riffe wieder prächtig, die Meeresbewohner sind rasch zurückgekehrt.

Ohne Touristen erholten sich die Korallenriffe in Thailand überraschend schnell. Damit das so bleibt, dürfen Urlauber an manchen Orten nicht mehr ins Wasser.
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Dass es dort in Zukunft ganz ohne Tourismus gehen wird, glaubt niemand. Behörden und Hotels wollen aber fortan einem Qualitätstourismus den Vorrang gegenüber Massentourismus geben – "wobei ,Qualität‘ nicht Luxus meint, sondern aufgeklärten Tourismus, der im Einklang mit der Natur stattfindet", wie es Bart Callens beschreibt. Der Belgier ist in der Region für mehrere Hotels verantwortlich und Branchensprecher. Sollten künftig zu viele Touristinnen und Touristen die Natur gefährden, ist man mittlerweile bereit, der Natur klar den Vorrang zu geben. In der Maya Bay alias "The Beach" bleibt etwa vorerst nur das Fotografieren der wiederbelebten Riffe erlaubt, aber das Schwimmen im Meer verboten.

Venedig

Eigentlich hätten Venedig-Besuchende ihren Tagesslot seit Jänner 2023 online buchen und dafür je nach Auslastung der Stadt bis zu zehn Euro zahlen sollen. Doch aus den Plänen, Eintritt für Venedig zu kassieren, wurde nichts, die Zustimmung des Kommunalrats fehlte. Das Tagesticket wurde erst einmal auf Sommer 2023 verschoben. Ambivalent ist auch die Wahrnehmung regelmäßiger Rückkehrer nach Venedig in Bezug auf die Massen.

Venedig plant schon seit langem eine Eintrittsgebühr für Tagestouristen, verschieb die Umsetzung aber immer wieder.
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Gudrun Krinziger kommt immer wieder in der Nebensaison und stellt fest: "Als antizyklische Besucherin gelingt es mir ganz gut, den Touristenmassen auszuweichen. Wenn man allerdings Petra Reski – Autorin des Buchs ,Als ich einmal in den Canal Grande' fiel – glauben darf, hat sich in Venedig rein gar nichts an den grundsätzlichen Problemen geändert." Reski lebt in Venedig und berichtet regelmäßig über die Situation vor Ort in einem Newsletter.

Zypern

Die Mittelmeerinsel macht gerade eine bemerkenswerte Veränderung durch. In der Pandemie ist an vielen Küsten, in Flüssen und in Seen die Wasserqualität gestiegen, auch in Zypern, das laut einer Studie nun die saubersten Gewässer Europas vorweisen kann. Gleich dahinter kommen jene in Österreich. Zyperns Strände dürften jedenfalls noch eine Zeitlang sehr sauber bleiben: Im Jahr 2019 beherbergte die Insel fast vier Millionen Touristen, von denen die Russen und Ukrainer bis zu 30 Prozent ausmachten. Bedingt durch den Krieg bleibt dieses Drittel an Urlaubern nun fast vollständig aus.

Zypern hat sich selbst einen Imagewandel verpasst, weg von der reinen Stranddestination hin zu naturnahem Slow Tourism.
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Zum Glück hat Zypern schon vor Pandemie und Ukrainekrieg eine neue Tourismusstrategie begonnen: Weg von der reinen Stranddestination setzt man dort verstärkt auf viele kleine Nischen und Regionalität. "Zypern ist jetzt ein neues Land. Es ist nicht dasselbe wie im Jahr 2020", sagt Savvas Perdios. Der Tourismusminister des Landes, selbst vegan lebend, möchte verstärkt Hotels und Restaurants mit veganen Angeboten vor den Vorhang holen und damit vor allem junge Reisende aus anderen Ländern Europas ansprechen. Hütten für Weitwanderer, Radwege, Gastronomie und Handwerk mit Lokalaspekt – generell das Landesinnere – rücken in den Vordergrund und stoßen vermehrt auf Interesse bei Urlaubern aus Frankreich, Deutschland, Österreich, Schweden oder der Schweiz. (RONDO, Sascha Aumüller, 5.3.2023)