Die Betreuungssituation für Kinder ab drei soll sich im Ländle verbessern, dafür sorgt ein neues Gesetz. Die Neos befürchten dadurch aber Konsequenzen bei Jüngeren.

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Es ist keine Statistik, mit der sich Vorarlberg rühmen kann: In keinem anderen Bundesland verdienen Frauen so viel weniger als Männer. Bei ganzjähriger Vollzeitbeschäftigung liegt der sogenannte Gender-Pay-Gap laut dem Institut Eco Austria hier bei 22 Prozent – weit über dem landesweiten Schnitt von 13 Prozent.

Das Institut liefert auch eine Erklärung zu den Zahlen: Am größten sei der Gehaltsunterschied nämlich dort, wo es den höchsten Aufholbedarf beim Kinderbetreuungsangebot gebe. Beim Anteil von Null- bis Fünfjährigen, die einen Kindergarten besuchen, der mit einem Vollzeitjob vereinbar ist, liegt Vorarlberg an der sechsten Stelle. Wenn man nur den ländlichen Raum betrachtet, abgeschlagen an letzter Position. Von den Drei- bis Fünfjährigen, die 2021 in Betreuung waren, hatten nur 45 Prozent einen Platz, der mit einem Vollzeitjob kompatibel ist.

Fehlendes Personal als Problem

Das soll sich nun ändern. Denn Teil des im Herbst von ÖVP und Grünen beschlossenen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes ist, dass für alle Kinder ab drei Jahren ein Ganztagsplatz zur Verfügung stehen muss, wenn einer gewünscht wird. Die Einrichtung muss dann von 7.30 bis 17.30 Uhr geöffnet sein.

In den meisten Städten und Gemeinden läuft momentan die Bedarfserhebung, deren Durchführung ebenfalls im neuen Gesetz festgeschrieben ist. Das heißt, dass jetzt zwar noch keine Einschätzung dazu möglich ist, ob tatsächlich alle Eltern, die für ihre Kinder ab drei Jahren einen Ganztagsplatz suchen, diesen auch bekommen. Dass es mancherorts schwierig werden dürfte, zeigt allerdings ein Rückblick: Weil viel zu wenig Personal da ist, musste in Feldkirch beispielsweise das Betreuungsangebot im Herbst eingeschränkt werden. In vielen anderen Orten sieht es ähnlich kritisch aus.

Wie Plätze vergeben werden

Der Blick auf die aktuellen Öffnungszeiten vieler Kindergärten zeigt außerdem, dass sie weit entfernt davon sind, was ab diesem Jahr zur Verfügung stehen muss. In vielen, vor allem kleineren Orten hat der Kindergarten ?– meistens gibt es nur einen – nachmittags nur vereinzelt bis 16 Uhr geöffnet.

Wenn Plätze knapp sind, werden das zuerst die Dreijährigen spüren, was am Vergabemodus liegt. Denn zuerst werden Plätze an Fünf- und Vierjährige vergeben.

Wie viele Dreijährige zuletzt keinen Platz bekamen

In Dornbirn, der größten Vorarlberger Stadt, haben im noch laufenden Kindergartenjahr 29 Dreijährige keinen Platz in einem städtischen Kindergarten bekommen. Im Jahr zuvor waren es 51 und 2020/2021 insgesamt 38 Dreijährige, für die kein Platz – unabhängig davon, ob halb- oder ganztägig – da war. Das sind hohe Werte, wenn man sie mit der Zahl der Dreijährigen vergleicht, die einen Platz bekommen haben: heuer 94, letztes Jahr 89 und im Jahr davor 86 Kinder mit drei Jahren.

Entspannter ist die Situation in der Landeshauptstadt Bregenz. Dort hat es in den letzten Jahren zwar teilweise eine kleine Warteliste für dreijährige Kinder gegeben, schlussendlich habe man aber allen noch einen Platz anbieten können, sagt Sebastian Rauch, Kommunikationschef der Stadt.

Versprechen, das schwer zu halten ist

Die Herausforderung liege in der ganzjährigen, ganztägigen Betreuung, die geboten werden soll, "da wie in allen Branchen Fachkräftemangel besteht und die vorherrschende Infrastruktur in den Einrichtungen nicht überall ganztägige Betreuung zulässt". Bei ganztägiger Betreuung brauche es Schlaf- und Ruheplätze, mehr Platz für die Essenssituation, größere Ausweichräume, zählt Rauch auf. In Bregenz gibt es derzeit in der Hälfte der Kindergärten Ganztagsplätze. Man werde weiterhin garantieren müssen, dass die Zeiten berufstätiger Eltern abgedeckt sind – und somit "unterscheiden müssen zwischen Bedürfnis und Wunsch, Bedürfnisse gehen vor Wünschen".

Auch in Hohenems wird die Personalsituation angesprochen. In den letzten Jahren haben auch dort alle Dreijährigen einen Platz bekommen. Fast 80 Prozent der Kindergartenplätze sind aktuell allerdings Halbtagesplätze. Das neue Gesetz ändere also viel, sagt Thomas Fruhmann, der für die Stadt spricht. Auf der einen Seite werde der Bedarf durch das neue Gesetz zusätzlich "stimuliert" und auf der anderen Seite fehle das ausgebildete Personal. "Das Land verspricht durch das Gesetz etwas, was wir nur schwer oder gar nicht halten können."

Pinke Kritik

Das der Faktor Berufstätigkeit bei der Platzvergabe beachtet wird, ist nicht überall so. Das stört Johannes Gasser, der sich bei den Neos unter anderem um das Thema Kinderbetreuung kümmert. "Für einen großen Teil der Familien ist der Betreuungsplatz entscheidend, ob sie wieder arbeiten und damit finanziell auf stabilen Beinen stehen können. Im Gesetz wurde verabsäumt, diesen Familien eine Priorität einzuräumen – unabhängig vom Alter der Kinder."

Das ist allerdings nicht das Einzige, was der pinke Familiensprecher am neuen Gesetz kritisiert. Die Versäumnisse hätten schon in den Verhandlungen um dieses begonnen, sagt er. Denn die Kosten seien nie thematisiert worden. Und das, obwohl diese in kaum einem Bundesland so hoch wie in Vorarlberg seien. Die Neos fordern deswegen – wie auch die SPÖ – kostenfreie Betreuungsangebote. Auch, damit "Arbeitengehen oder ein paar Stunden mehr zu arbeiten kein Nullsummenspiel bleiben und sich immer auszahlen", sagt Gasser.

Der Vorarlberger Weg

Was er damit anspricht, ist der Familienzuschuss, der im Ländle nach dem Bezug des Kinderbetreuungsgeldes für jedes Kind für maximal 18 Monate beantragt werden kann. Vor dem Hintergrund der Teuerung hat die Landesregierung erst vor wenigen Wochen den Mindestzuschuss von 51 auf 150 Euro und den Höchstzuschuss von 505 auf 600 Euro erhöht. Um den Mindestzuschuss zu erhalten, darf ein Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern beispielsweise höchstens ein gemeinsames Nettoeinkommen von 3.703 Euro haben. Insgesamt wurden in Vorarlberg laut Landesregierung 2022 mehr als 2,6 Millionen Euro an Familienzuschüssen ausbezahlt.

Es ist eine politische Grundsatzentscheidung, die die Vorarlberger ÖVP vor Jahren getroffen hat: Statt zusätzliches Geld in den Ausbau der Kinderbetreuung zu stecken, werden Familien – bis zu bestimmten Einkommensgrenzen – direkt unterstützt und damit die Betreuung daheim forciert. Gasser hält den gewählten Weg für falsch, auch vor dem Hintergrund des neuen Gesetzes. Er erwartet, dass darunter nun das Angebot für jüngere Kinder leiden wird, da Personal ohnehin knapp ist und jetzt der ganze Fokus auf dem Sicherstellen des Bedarfs für die ab Dreijährigen liege.

In Bregenz sieht es auf den ersten Blick nicht danach aus. Die Stadt ist neben den zehn Kindergärten auch Trägerin von vier Kleinkindbetreuungseinrichtungen, im Herbst soll eine weitere dazukommen.

Eine Mutter mit Kritik

In einigen Orten wird aber bereits eingeräumt, dass der Fokus auf die Altersklasse drei bis fünf Jahre zulasten anderer Kinder geht. Denn Auswirkungen spüren dann nicht nur Eltern von unter Dreijährigen, sondern auch von Schulkindern. In Feldkirch wird es im kommenden Schuljahr beispielsweise keine Frühbetreuung ab sieben Uhr geben, wie eine zweifache Mutter dem STANDARD schildert. Für sie eine Verschlechterung, denn im Kindergarten war das möglich. Der Bedarf werde nicht einmal abgefragt.

Die 37-Jährige kritisiert ganz allgemein fehlende Flexibilität. Wer Betreuung für ein Kleinkind suche, müsse sich schon während der Schwangerschaft umsehen. Zudem würden viele Einrichtungen Plätze ab September verrechnen, auch wenn das Kind später startet. "Und die Kosten sind sowieso schon hoch."

Ohne Unterstützung durch Angehörige sei es für viele Frauen sehr schwierig, Job und Kinder zu vereinbaren, sie erlebe das selbst. "Im Idealfall sollte es möglich sein, das Betreuungsangebot laufend flexibel anzupassen. Davon können wir nur träumen. Wir müssen alles Monate im Voraus anmelden. Dafür bekommen wir kurzfristig mitgeteilt, dass die Betreuung am Fenstertag nicht stattfindet, weil sich nur zwei Kinder angemeldet haben."

Wenn das Angebot, aber die Nachfrage nicht da ist

Eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern spricht noch einen anderen Aspekt an, warum es im Ländle schwer werden könnte, die Betreuungssituation zu verbessern. Die Frau zog von Dornbirn in ein Dorf – die Unterschiede seien enorm, aber das liege nicht am Willen des Bürgermeisters. Dort sei man gewillt, Angebot zu schaffen. Allerdings werde es kaum nachgefragt. Es gebe im Ort knapp 80 Kindergartenkinder, davon seien aber nur acht am Donnerstag in der Mittagsbetreuung und zwei davon dann noch in der Nachmittagsbetreuung. Die Ferienbetreuung, "die sie Gott sei Dank auch anbieten", sei genauso wenig genutzt. In Dornbirn habe man teilweise gar nicht gemerkt, dass Semesterferien sind, weil die Betreuung durchlief und viele Kinder gekommen seien.

"Warum es so einen Unterschied zwischen Stadt und Land gibt, ist mir ein Rätsel", sagt die Frau. Zwischen ihrem alten und dem neuen Wohnort liegen nur zwölf Kilometer, die Mentalität sei aber eine ganz andere. Bei der Eingewöhnung ihres Sohnes – er war fast drei Jahre alt – habe sie auf die Frage nach seinem Alter zu hören bekommen: "Und dann ist er schon jeden Tag in der Spielgruppe?" Ihr Sohn ist mit fünf Vormittagen und einer Mittagsbetreuung eines von zwei Kindern, die "so viel" betreut werden. (Lara Hagen, 28.2.2023)