Erleichterung bei Firmen und Lobby-Verbänden, Gewinne fürs britische Pfund – die Einigung zwischen Großbritannien und der EU über Nordirland fand am Dienstag enthusiastische Aufnahme bei der britischen Wirtschaft und den Londoner Finanzmärkten.

Bei vielen gilt die Vereinbarung von Windsor lediglich als erster Schritt einer stärker auf Kooperation angelegten Nachbarschaft zwischen dem größten Binnenmarkt der Welt und der Brexit-Insel. Der konservative Premier Rishi Sunak warb bei einem Besuch in Nordirland für die Vereinbarung: Die britische Provinz befinde sich nun "in der spannendsten Wirtschaftszone der Welt" und stelle deshalb "eine unglaubliche Attraktion für Investoren" dar.

Nordirland befinde sich nun "in der spannendsten Wirtschaftszone der Welt", sagt Rishi Sunak.
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Bei aller Begeisterung über den gefundenen Kompromiss müsse Sunak seine Rhetorik im Zaum halten, maulten Konservative in London hinter vorgehaltener Hand. Tatsächlich hat die enthusiastische Beschreibung der Sonderrolle für Nordirland all jene auf den Plan gerufen, die den harten Brexit bedauern. Seine schottische Nationalpartei SNP werde den Deal von Windsor mittragen, sagte Stephen Flynn gleich am Montagabend im Unterhaus. Er müsse aber mit Bedauern feststellen, "dass Firmen in Nordirland Zugang zum Binnenmarkt haben, schottische Unternehmen aber nicht".

Friedensvertrag vom Karfreitag 1998

Der Sonderstatus für den britischen Nordosten der Grünen Insel ist dem früheren Bürgerkrieg geschuldet. Weil der Friedensvertrag vom Karfreitag 1998 die offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden festschreibt, mussten nach dem Austritt des Königreichs aus Binnenmarkt und Zollunion neue Handelsbarrieren zwischen Nordirland und Großbritannien errichtet werden. Diese Zoll- und Einfuhrkontrollen wurden von der EU zu Beginn teilweise sehr kleinlich gehandhabt, es kam zu Engpässen bei wichtigen Medikamenten und manchen Lebensmitteln. Schnell war vom "Wurst-Krieg" die Rede.

Zukünftig werden Tabletten, Gemüse und Fleisch ebenso wie Saatkartoffeln, die für den Verbrauch in Nordirland selbst gedacht sind, ungehindert über die Irische See transportiert – der Datenaustausch zwischen London und Brüssel sowie ein Label "not for EU" macht’s möglich. Hingegen bleibt es bei den Kontrollen für Waren, die in die Irische Republik und damit den EU-Binnenmarkt weitergeleitet werden. Auch dafür soll die Bürokratie verringert werden, indem Firmen Zugang zur sogenannten "Trusted Traders"-Regelung beantragen können.

Schluss mit unsinnigen Kontrollen

Für großen Ärger sorgt bisher auch, dass britische Besucher vor der Einreise nach Nordirland umfangreiche Dokumente für ihre Hunde und Katzen mitführen müssen. Damit räumt der Windsor-Vertrag ebenso auf wie mit den Zöllen für britischen Stahl.

Politisch schwierig für Unionisten war vor allem die Aussicht darauf, zukünftige Regeländerungen des Binnenmarktes ohne eigenes Mitspracherecht nachvollziehen zu müssen. Deshalb hat Brüssel Sunak die sogenannte "Stormont-Bremse" zugestanden: Eine qualifizierte Minderheit im Belfaster Regionalparlament Stormont kann Zweifel anmelden und damit die Implementierung zumindest aufhalten.

Was Sunak als "Veto" für Großbritannien kennzeichnete, bleibt auf wenige, eng umgrenzte Gelegenheiten beschränkt. Zudem hätte Brüssel bei einer Weigerung Londons, EU-Regeln zu implementieren, das Recht auf "Abhilfe" ("remedial measures"), erläutert Professor Catherine Barnard von der Uni Cambridge; gemeint sind damit wohl Sonderzölle.

Etliche Erleichterungen

Freilich geht "die Bedeutung dieser Einigung weit über Nordirland hinaus", wie die deutsch-britische Handelskammer in London begeistert mitteilte. Möglich werde nun eine Einigung für andere Probleme, die Firmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals bejammern. Dazu gehört beispielsweise die kurzzeitige Entsendung von Mitarbeitern ins jeweils andere Land. Die milliardenschwere Unterhaltungsbranche hofft auf eine unbürokratischere Regelung für staatenübergreifende Tourneen, die den hochpopulären britischen Rock- und Popbands zuletzt das Leben erschwerten.

Am Horizont steht auch ein Assoziierungsabkommen zwischen London und Brüssel, das dem Königreich die fortdauernde Beteiligung am EU-Wissenschaftsprogramm Horizon ermöglichen würde. Die Verhandlungen darüber könnten sofort beginnen, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Windsor. Das seien "fantastische Neuigkeiten" für Wissenschafter in ganz Europa, freut sich Medizinnobelpreisträger Paul Nurse, der das Londoner Crick-Institut leitet. (Sebastian Borger, 28.2.2023)