Geballte Fäuste, erhobene Forke: Bäuerinnen und Bauern haben sich in der Vergangenheit mehrfach mit der Arbeiterschaft zum gemeinsamen Protest zusammengeschlossen. Etwa 1896 in Neunkirchen. Die Ausstellungsillustration stammt von Lenz Mosbacher.

Lenz Mosbacher

Wer heute an Protest denkt, hat Bilder aus den städtischen Zentren im Kopf: demonstrierende Arbeitermassen, Hausbesetzungen, Klimaaktionen, Schwurblerdemos von rechts bis links auf der Wiener Mariahilfer Straße. Die Stadt als politischer und sozialer Brennpunkt gilt spätestens seit dem 19. Jahrhundert als Motor gelebter Protestkultur. Dem ländlichen Raum hingegen haftet der Ruf an, dort würde in gelebter Passivität jeder Umstand untertänigst hingenommen. Ein Vorurteil, gegen das nun eine Ausstellung im St. Pöltener Haus der Geschichte Protest einlegt.

Es geht um die Wurst

Aufsässiges Land. Streik, Protest und Eigensinn veranschaulicht in 16 kompakten Kapiteln, dass in Sachen Aufmüpfigkeit mit der Peripherie immer zu rechnen war. Dass das Land, genauer die Bauernschaft, sogar gewissermaßen am Beginn des Revoluzzertums steht, verdeutlicht der Blick auf die mythisch umrankten Bauernkriege der Neuzeit. Mit Heugabel und Dreschflegel sollte die Befreiung aus der Leibeigenschaft erstritten werden, 1848 erreichte man das Ziel tatsächlich.

Die Ausstellung "Aufsässiges Land" im Haus der Geschichte Niederösterreich nimmt Protestformen im ländlichen Raum unter die Lupe.
NÖ Museum / Hinterramskogler

Danach ging es 170 Jahre lang nicht mehr unbedingt um Leib und Leben, aber immerhin noch um die sprichwörtliche Wurst: Wilderer wehrten sich ab 1849 gegen das gesetzliche Vorrecht der Großgrundbesitzer auf die Jagd. Ausgestellt sind Kuriosa wie ein "Wildererstutzen", ein Gewehr mit abgesägtem Lauf, das man gut im Mantel verstecken konnte, und eine Ledermaske, die es erlauben sollte, unerkannt dem Wild nachzustellen. Sozialromantisch in Liedern und Operetten als Robin Hoods der heimischen Wälder verklärt, lieferten sich die Wilderer schon einmal ein Gefecht mit der Gendarmerie.

Mit abgesägten Gewehren und Fallen gingen Wilderer auf die Pirsch und protestierten so gegen die neue Jagdordnung.
Foto: NÖ Museum / Hinterramskogler

Der Kampf um Lebensmittel kehrte noch einige Male wieder: Nach dem Ersten Weltkrieg etwa wehrte sich die Landbevölkerung teilweise handgreiflich dagegen, den Hunger in den Städten mit erzwungenen Abgaben zu stillen. Andererseits kam es ab dem ersten Generalstreik in Neunkirchen im Jahr 1896 auch zu Schulterschlüssen des Bauernstands mit der Arbeiterschaft. Ab 1905 gab es immer wieder pazifistisch motivierte Sabotage in Rüstungsbetrieben, im Chemiewerk Moosbierbaum formierte sich 1945 eine Gruppe, die das NS-Regime stürzen wollte und im KZ endete.

Ein Blick auf "stille" Protestformen der Dienstmägde oder Saisonarbeitskräfte aus Nachbarländern sowie auf die Resignation der Arbeitslosen aus der Marienthal-Studie zeigt, dass sich die Gruppen der Marginalisierten bis heute nicht verändert haben. Politisch kaum vertreten, war es für sie immer schon schwierig, Gehör zu finden.

Streiks und Arbeitskampf fanden nie nur in den Großstädten statt, gerade in ländlichen Industriegebieten kam es oft zu Widerstandsaktionen.
Foto: NÖ Museum / Hinterramskogler

Zum wirkmächtigsten Symbol ländlichen Protests wurde die Straßenblockade – nicht mit Klebstoff wohlgemerkt, sondern mit dem Traktor. Im März 1971 bildeten erstmals Landwirte eine Kolonne in Richtung Wien, gegen die Agrarreform Bruno Kreiskys – eine Protestform, die Schule machen sollte.

Je kürzer der jeweilige Protest zurückliegt, desto entschiedener enthält sich die Ausstellung jedem Kommentar über dessen Legitimität und Folgen – was prinzipiell richtig ist. Gerade da, wo es parteipolitisch wird, wäre aber ein gewisses Maß an Einordnung fair gewesen.

So überliefert die Ausstellung zwar den Schmunzler, Kreisky habe sich über die gegen Wien vorrückenden "Bauernpanzer" lustig gemacht, verschweigt aber, dass es doch auch seine Reformregierung war, die den Bäuerinnen und Bauern zu einer Sozialversicherung verhalf. Dass die bestürmten Weingesetze nach dem Glykolskandal oder die EU-Subventionen mehr Rettung waren als Schaden, bleibt auch unerwähnt.

Selbst wenn man sich vor Heugabeln und Traktoren gefürchtet haben sollte: Wer politische Geschichte bis in jüngste Zeit ausstellen will, darf sich nicht davor scheuen, strittige Debatten ganz durchzukauen. (Stefan Weiss, 1.3.2023)