Auf dem Kleiderständer hängen Sakkos, in einer Kiste stapeln sich Tücher und Satinhemden. Ohne die glitzernden No-Name-Anzüge kein Auftritt von Siegried und Joy. Am Abend zuvor ist das Berliner Zauberduo im Wiener Rabenhof aufgetreten. Doch was heißt "aufgetreten"? Die beiden haben das Publikum von den Samtsesseln gerissen – mit Tempo, Witz und bekannten Achtzigerjahre-Hits: Abrakadabra!

Bei Siegfried und Joy sitzen die Tricks, das Duo zaubert in Berlin, Hannover, London Shows aus dem Hut, die zwischen Illusion und Wirklichkeit, zwischen Klischee und Selbstironie switchen. Auch in Wien. Das Publikum, zwischen sechs und weit über sechzig, macht bereitwillig mit: Erwachsene wie Kinder stehen von ihren Plätzen auf, zerreißen Spielkarten, einige werden auf die Bühne geholt, Gemeindebaufeeling in Wiens drittem Bezirk, und das an drei Abenden hintereinander. Man spürt: Die Kunst der Berliner will für alle da sein. Oft hätten sie in den Shows erlebt, dass Menschen innerhalb weniger Minuten auf der Bühne über sich hinauswüchsen, erzählen die zwei, denn: "Magie ist ein Gefühl. Sie ist in allem und in jeder Situation zu finden."

Ein Modeshooting mit dem Magierduo Siegfried & Joy: Hose Louis Vuitton.
Foto: Rafaela Proell

Zwölf Stunden später stehen die beiden wieder auf der Bühne im dritten Bezirk, diesmal ohne Publikum. Zumindest fast. Die Fotografin lässt während des RONDO-Shootings Siegfried, Joy und Model Katharina vor der Kamera tricksen und posieren. Die Berliner stecken in ihren glänzenden Anzügen, an denen Preisschilder baumeln. "Wir mögen es, Buntheit in die Welt zu tragen. Unsere Anzüge verleihen uns einen Wiedererkennungswert. Dass unsere Kostüme so eine Strahlkraft haben, war uns lange nicht bewusst", erklärt Siegfried. Joy ergänzt: "Ohne sie wären wir nicht Siegfried und Joy." So scheint die Kommunikation mit dem Duo immer zu laufen. Wenn der eine antwortet, schiebt der andere den nächsten Satz hinterher.

Aus dem Zauberladen

Für fantastische Geschichten haben die beiden ein Faible. Ihre eigene geht so: Joys Vater war Pantomime, Siegfried hat schon als Kind Tricks geübt. Kennengelernt haben sie sich 2015 in einem Berliner Zauberladen, ein Jahr später wurde die erste gemeinsame Show auf die Bühne gebracht. Ihr Namensgeber? Die zwei Magier mit den weißen Tigern, die deutsch-US-amerikanischen Unterhaltungskünstler Siegfried und Roy natürlich. Was an der zauberhaften Legende der Berliner wirklich dran ist? Nicht weiter wichtig. Auch fernab der Bühne zelebrieren die Deutschen, die schon an der Weltmeisterschaft teilgenommen haben und im US-Format America’s Got Talent mit Heidi Klum auftraten, das Spiel mit den Illusionen. Ihre realen Namen wollen sie schon länger nicht mehr in den Zeitungen lesen. Und in Wien haben sie den ORF hinters Licht geführt: Ein Techniker des Rabenhofs schlüpfte in Joys Anzug und gab gemeinsam mit Siegfried den Seitenblicken ein Interview – bis der Gag aufgelöst wurde: "Das war einer der witzigsten Momente seit langem", meint Joy.

Spontane Interaktionen mit Menschen sind fester Bestandteil ihres Konzepts. Einen Popularitätsschub haben Siegfried und Joy seit Beginn der Pandemie im Internet erlebt. Als die Theater geschlossen waren, sind die Berliner auf die Straße gegangen und haben ihre Tricks abgefilmt, nebenbei aber auch die U-Bahn angeschoben oder Bustüren aufgezaubert. "Wir haben schnell gemerkt, dass die Leute im Internet den humoristischen Umgang mit Magie und Alltagssituationen viel spannender als klassische Zaubertricks finden."

Das goldene Tuch

Was für Siegfried und Roy die weißen Tiger, ist für die Berliner ein golden schimmerndes Tuch, es ist zu einem Markenzeichen des Duos geworden, dem auf Instagram heute über 400.000 Accounts folgen. Auf der Straße lassen sie hinter ihm Passanten oder Plüschtiere verschwinden und Bustüren öffnen, unterlegt werden die Videos im Internet dann mit Songs wie Celine Dions Hit It’s All Coming Back to Me Now. Die schrägen Clips leben von den Reaktionen der Menschen in Berlin, Dortmund oder London, sie funktionieren auch ohne Sprache.

Oberteil Louis Vuitton.
Foto: Rafaela Proell

Einen der populärsten Beiträge der vergangenen Wochen haben die Berliner am Wiener Ring gedreht: Zwei Polizisten sitzen in ihrem Wagen, zu den Bemühungen von Siegfried und Joy mit dem flatternden Fetzen verziehen sie keine Miene: Streetmagic in der Wiener Grantversion. Manchmal sind es die verdatterten Reaktionen, die auf ihrem Account die meisten Likes ernten. Aber eigentlich gebe es keine guten und schlechten Reaktionen auf Zaubertricks, beteuern die beiden.

Fan von Siegfried und Joy ist hingegen David Copperfield, er hat die Videos im Internet entdeckt. Und die Berliner wiederum von dem großen US-amerikanischen Magier, der die Zauberei "modernisiert und revolutioniert" hat. "Er ist in den Alltag rausgegangen, hat die Freiheitsstatue verschwinden lassen und die Zauberei in glaubhafte TV-Formate übersetzt", das habe kaum jemand geschafft. Im Gespräch fallen noch Namen anderer Magier. Der US-Amerikaner The Amazing Johnathan, Tommy Cooper aus Großbritannien, aber auch Jaana Felicitas, die gerade deutsche Meisterin geworden ist. Denn ja, lange war die Rolle der Frauen in der Zauberbranche auf die Rolle der passiven Assistentin beschränkt: "Sie brachten in den Shows der Fünfziger- bis Siebzigerjahre die Requisiten, wurden zersägt und objektiviert", meint Siegfried.

Kleid, Plateauschuhe und Becher von Versace.
Foto: Rafaela Proell

Mit dem Klischee der Zauberassistentin wird auch in der Bilderstrecke gespielt, auf ironische Weise natürlich. Sie wird scheinbar zum Schweben gebracht, zum Schluss lässt sie Siegfried und Joy in die Luft springen. Während des Shootings greift Joy immer wieder zum Smartphone und dreht kurze Videos. Instagram und Tiktok denken die beiden immer mit. Ihre Community könnte das Shooting ja aufregend finden. (Anne Feldkamp, RONDO, 3.3.2023)

Kleid Femme Maison, Sonnenbrille Burberry.
Foto: Rafaela Proell
Kleid Rick Owens, Sonnenbrille County of Milan.
Foto: Rafaela Proell
Kostüm Vivienne Westwood, Netzhose stylist’s own.
Foto: Rafaela Proell
Jacke, Rock und Schuhe Dior, Netzhose stylist’s own.
Foto: Rafaela Proell
Lederjacke und Rock Prada.
Foto: Rafaela Proell