Für die Polizei ist die Ttat in Wien-Liesing geklärt. Ein 22-Jähriger hat die Tötung seiner Mutter gestanden.

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Für die Kriminalpolizei ist der Fall weitgehend geklärt: Ein 22-jähriger Mann soll Dienstagabend in Wien-Liesing im Streit seine Mutter in deren Wohnung mit einem Küchenmesser erstochen haben. Nach anfänglichem Leugnen hat er in der Einvernahme "abgelegt", wie es im Jargon der Kriminalisten heißt. Er hat also gestanden. Am Donnerstag beantragte die Staatsanwaltschaft Wien die Verhängung der Untersuchungshaft, die Haftprüfung am Landesgericht muss bis zum Wochenende stattfinden.

Der Verdächtige ist trotz seiner Jugend bei den Behörden kein unbeschriebenes Blatt. Immer wieder soll er ausgerastet sein, soll seine Mutter bedroht haben und Gegenstände demoliert haben. Es gab mehrere behördliche Wegweisungen, seine Mutter wurde von der Polizei gewarnt. Auch der Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt ist dokumentiert. Die Staatsanwaltschaft hat nun ein psychatrisches Gutachten in Auftrag gegeben.

Gewaltpräventionstermine ignoriert

Hätte die Bluttat verhindert werden können? Der 22-Jährige wäre dazu verpflichtet gewesen, Beratungstermine bezüglich Gewaltprävention beim Verein Neustart zu absolvieren. Nur: Das tat der Mann nicht, wie ein Sprecher dem STANDARD bestätigt. Nach jedem der drei ausgesprochenen Annäherungs- und Betretungsverbote sei der mutmaßliche Täter von Neustart kontaktiert worden. Das war einmal im Jahr 2021, zwei Mal im Jahr darauf.

Laut Neustart sei es rechtlich so, dass sich die betroffene Person nach einem Annäherungs- und Betretungsverbot binnen fünf Tagen bei der Beratungsstelle melden müsse. Passiert das nicht, wendet sich Neustart per SMS an seine Klienten, sofern eine Telefonnummer vorliegt. Zu ersten Beratung muss es gemäß Sicherheitpolizeigesetz innerhalb von zwei Wochen nach der besagten Kontaktaufnahme kommen.

Mehrere Anzeigen

Der 22-Jährige habe sich aber nie gemeldet und sei nicht zu Terminen gekommen. "Das melden wir der Polizei, das ist ein Standardprozedere", erklärt der Sprecher. "Der Mann ist dann von der Sicherheitsbehörde zu laden."

Die Wiener Polizei bestätigt auf Anfrage, dass es mehrere Betretungsverbote und Annäherungsverbote gegeben habe. Es kam auch zu mehreren strafrechtlichen Anzeigen wegen Drohungen gegen seine Mutter und Sachbeschädigungen in der Wohnung der Mutter. Diese Verfahren wurden aber alle eingestellt. "Die Maßnahmen stehen und fallen mit der Kooperation des Opfers", heißt es bei der Wiener Polizei.

Kein rechtlicher Spielraum

Die 54-jährige Frau sei unter anderem vom Kriminalpolizeilichen Beratungsdienst vor ihrem eigenen Sohn gewarnt worden. Das Bedrohungsmanagement der Polizei hatte ihn als Hochrisikofall eingeschätzt. Aber stimme jemand, der bedroht werde, Maßnahmen nicht zu, verweigere Aussagen gegen einen Gefährder oder ignoriere die Möglichkeiten weiterer Maßnahmen, gebe es keinen rechtlichen Spielraum für Aktionen der Sicherheitsbehörden, betont ein Polizeisprecher.

Eine von der Polizei ausgesprochene Wegweisung gilt augenblicklich. Auch wenn der Gewalttäter Mieter oder Eigentümer einer Wohnung ist. Er darf sich Bekleidung mitnehmen, muss den Schlüssel abgeben. Im aktuellen Fall betraf es aber immer die Wohnung der Mutter. Ein Betretungsverbot gilt zwei Wochen und kann mit einem Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung bei Gericht auf vier Wochen ausgedehnt werden. Es gibt auch Einstweilige Verfügung zum Allgemeinen Schutz vor Gewalt, die von Opfern eigenständig bei Gericht beantragt werden können und sechs Monate Gültigkeit haben.

Vorübergehend in Behandlung

Als der 22-Jährige am Dienstag zu seiner Mutter kam, bestand gerade kein Betretungsverbot gegen ihn. Hätte er wegen einer möglichen psychischen Erkrankung behandelt werden müssen?

Eine zwangsweise Einweisung durch Amts- oder Polizeiärzte in eine psychiatrischen Anstalt ist dann zulässig, wenn eine psychische Erkrankung sowie Selbstgefährdung oder die Gefährdung anderer vorliegen, und es keine anderen Behandlungsmöglichkeiten gibt. Patientenanwältinnen in der Psychiatrie achten darauf, dass Patientenrechte eingehalten werden. Eine derartige Unterbringung ist auf drei Monate begrenzt.

Der junge Verdächtige war im Vorjahr in Behandlung und wurde nach mehreren Wochen wieder entlassen. Geauere Angaben sind aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich.

Zunahme von Betretungsverboten

"Schon sechs Frauen sind 2023 mutmaßlich von Männern getötet worden, und wir haben erst März", sagte Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) am Donnerstag bei der Eröffnung der Einrichtung Bakhti, eines neuen Zentrums für gewaltbetroffene Mädchen in Wien. Er nahm dabei auch Bezug auf das Tötungsdelikt in Liesing und verwies auf mehr als 14.600 Betretungs- und Annäherungsverbote im Jahr 2022 – "ein Plus von fast sieben Prozent".

Das Projekt richtet sich an 14- bis 21-jährige Mädchen, die bereits direkt oder indirekt Gewalterfahrungen durchleben mussten. Das Angebot umfasst dabei kostenlose Psychotherapien und Workshops. Benannt wurde das Projekt nach dem afghanischen Mädchen Bakhti, das in seiner Familie in Wien massiver Gewalt ausgesetzt war – durch den Vater und Bruder. Als das Mädchen 2017 versuchte, sich von diesen zu lösen, wurde es vom Bruder ermordet. Bakhti wurde 17 Jahre alt. (Jan Michael Marchart, Michael Simoner, Elisa Tomaselli, 2.3.2023)