Lebte drei Leben und spielte drei Rollen: Kaiserin Maria Theresia (1717–1780).

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Die Grande Dame des Feminismus, die Philosophin, Historikerin und Soziologin Élisabeth Badinter gehört seit Jahrzehnten zum Kreis linker Intellektueller, die in Frankreich den öffentlichen Diskurs prägen. Ihr Lebensthema, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, hat sie in der Nachfolge Simone de Beauvoirs zu einer Ikone der Frauenbewegung gemacht. Den schönen Satz der Beauvoir "Man wird nicht als Frau geboren, sondern zu einer gemacht" hat sie um den Satz "Man wird nicht als Mutter geboren, sondern zu einer gemacht" erweitert. In ihrem Longseller von 1980 Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute hat die Spezialistin der Aufklärung in gründlichen Recherchen aufgezeigt, dass die Mutterliebe ebenso wie die Idee der Liebesheirat eine kulturelle Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft und kein angeborener Instinkt ist. In umfangreichen historischen Untersuchungen hat sie mit dem männergemachten Mythos aufgeräumt, dass Mutterliebe ein Naturphänomen sei, ganz in der Nachfolge Rousseaus.

Nach Badinter ist die Mutterliebe als sinn- und identitätsstiftendes Kulturphänomen des gehobenen Bürgertums entstanden, um Frauen von der Erwerbstätigkeit auszuschließen und ihren Lebenssinn mental mit Haushalt und Familie zu verbinden. Nachdem man die Kinder jahrhundertelang zu Ammen, aufs Land und in Internate abgeschoben hatte, widmete man sich nun zunehmend den eigenen Kindern und interessierte sich für deren Entwicklung, was einen Zwang zur Perfektionierung zur Folge hatte, der bis heute andauert: ein Optimierungszwang, der will, dass die perfekte Mutter das perfekte Kind produziert.

Ideologische Überhöhung des Mutterbildes

Vor allem in Deutschland wirkte die ideologische Überhöhung des Mutterbildes durch die Nazis noch lange nach. Die deutsche Frau wurde immer mehr als Mutter denn als Frau definiert, während die Frau in Frankreich zum Beispiel immer auch Ehefrau, Geliebte, Gefährtin – und vor allem berufstätig – ist. Da der Muttermythos in Deutschland wirkmächtiger war, waren dort auch die Reaktionen auf diese Thesen heftiger als in Frankreich. Mutterliebe als Konstrukt für das "andere Geschlecht" (de Beauvoir), als Instrument der Unterdrückung, während der Mann das "Absolute" repräsentiert. Diese Codierung der Mutterliebe, die Kinder zu den besten Verbündeten männlicher Dominanz macht, sollte ihrer Meinung nach der Vergangenheit angehören.

In jüngster Zeit hat sich die streitbare Philosophin wiederholt gegen Entwicklungen gewandt, die die Errungenschaften der Frauenbewegung infrage stellen: Zum einen sieht sie im Ökofeminismus eine gefährliche Allianz aus rechtskatholischen und fundamental ökologischen Strömungen, einer neokonservativen Gesellschaftspolitik und dem neuen Feminismus, die uns in die Zeit unserer Großmütter zurückkatapultiere: "Wir sind keine von Hormonen gesteuerten Säugetiere, wie diese Naturalistenbewegung uns weismachen will."

Komplexeres Menschenbild

Ebenso wendet sie sich gegen die Radikalisierung der #MeToo-Bewegung durch die Neofeministinnen, die ihrer Meinung nach ein vereinfachtes Menschenbild pflegten, bei dem alle Männer Täter und alle Frauen Opfer seien, wobei der wohlfeilen Denunziation Tür und Tor geöffnet werde. Sie bezieht sich hier nicht nur auf die Affäre Bayou – der Grünen-Vorsitzende wurde vor laufender Kamera von einer Parteifreundin beschuldigt, seine damalige Lebensgefährtin psychisch gequält und in einen Selbstmordversuch getrieben zu haben –, sondern auf alle Fälle, in denen Männer ohne Beweise und gerichtliche Nachforschungen öffentlich an den Pranger gestellt werden, ohne sich wehren zu können, was einer Art Paralleljustiz gleichkomme, die den Rechtsstaat zerstöre, indem sie dieUnschuldsvermutung durch öffentliche Vorverurteilung ersetze.

Sexuelle Belästigung

Sie plädiert dafür, sexuelle Belästigung in verschiedenen Bereichen wie Öffentlichkeit, Berufsleben und Intimität zu unterscheiden, aber sie weist auch darauf hin, dass 70 Prozent der Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen von sexueller Belästigung bedroht sind. Sie sagt klar, dass Gefühle wie Angst und Schande für Frauen ein Ende haben müssten, sie kämpft für das Recht auf Abtreibung als Verfassungsrecht. Dagegen sieht sie in der Gewalt gegen Frauen kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. "Es gibt keinen Feminismus ohne Laizität", das heißt die Trennung von Kirche und Staat, so ihr Credo. "Gott lastet schwer auf den gesellschaftlichen Verhältnissen", was sich nicht nur im Iran gerade wieder erschreckend zeige, wo mutige Frauen begonnen haben, gegen die allgegenwärtige Repression und das Primat der Religion zu kämpfen, was ein großes Signal der Hoffnung sei, aber auch eine große Furcht vor dem Scheitern beinhalte.

Élisabeth Badinter hat auch immer wieder Bücher über männliche und weibliche Identität geschrieben, die alle zu internationalen Bestsellern wurden. In ihren beiden letzten, Maria Theresia. Die Macht der Frau und Macht und Ohnmacht einer Mutter. Maria Theresia und ihre Kinder, das gerade im Zsolnay-Verlag auf Deutsch erschienen ist, dekliniert sie ihre Themen weiblicher Identität und Rollenmuster am Beispiel der Habsburger Kaiserin durch, die ihrer Ansicht nach den Spagat zwischen politischer Herrschaft, weiblicher Selbstverwirklichung und Kindererziehung realisierte und so als Beispiel für die moderne Frau gelten könne.

Eine Frau mit "männlicher" Seele

Maria Theresia, die schon von Stefan Zweig als "einziger Monarch der Habsburgermonarchie" bezeichnet wurde, habe es mit ihrer "männlichen Seele" und ihrem machiavellistischen Instinkt nicht nur geschafft, die Staatsgeschäfte auf "bewundernswerte Weise" zu führen, sondern auch ihre Weiblichkeit grandios auszuspielen gewusst. Daneben habe sie sich in einer für die damalige Zeit ungewöhnlichen Weise intensiv um die Erziehung ihrer 16 Kinder gekümmert, von denen 13 das Erwachsenenalter erreichten. Sie entwickelte nicht nur Erziehungsrichtlinien für jedes einzelne ihrer Kinder, sondern stand auch in regem Austausch mit den Erziehern und Erzieherinnen. Badinter zeigt Maria Theresia in all ihren Widersprüchen und Konflikten als eine Frau, die drei verschiedene Leben geführt und drei verschiedene Rollen gespielt habe. Sie musste unglaubliche Herausforderungen bestehen, wie sie kein männlicher Herrscher kannte, auch nicht die beiden anderen absolutistischen Herrscherinnen der Zeit, Elisabeth I. und Katharina die Große, die sich ausschließlich auf ihre Herrschaft konzentrieren konnten.

Maria Theresia war während ihrer 40-jährigen Regierungszeit allein 20 Jahre lang schwanger. Sie kümmerte sich nicht nur liebevoll um ihre große Kinderschar, sondern inszenierte sie auch öffentlich, um ihr Bild von der guten Mutter zur guten Landesmutter zu erweitern. Sie ließ sich mehrfach im Kreis ihrer Kinder malen, die früh Verstorbenen wurden darauf als Engel dargestellt, gehörten folglich weiterhin dazu. Diese Bilder wurden dann kopiert und öffentlich verbreitet, eine frühe Marketingstrategie. Die Nähe, die sie zu ihren Kindern hatte, kannte erst das Bürgertum im 19. Jahrhundert.

Professionelle Heiratsvermittlerin

Élisabeth Badinter, "Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder". Aus dem Französischen von Stephanie Singh. € 26,80 / 205 Seiten. Zsolnay-Verlag, Wien 2023

Badinter zeigt anhand von reichlich Archivmaterial und bisher unveröffentlichter privater Korrespondenz das Verhältnis zu jedem einzelnen der Kinder auf. Die Mutterliebe Maria Theresias war nicht gleichmäßig verteilt, sie hatte ihre Lieblinge, zum Beispiel Maria Christina, mit anderen kam sie weniger zurecht und kritisierte sie zu stark. Eine Liebesheirat durfte nur eines ihrer Kinder eingehen, die anderen wurden der Staatsräson geopfert, um die Erblande abzusichern: "Tu, felix Austria, nube!" war die bekannte Devise, Maria Theresia eine professionelle Heiratsvermittlerin. Besonders tragisch war das Geschick Maria Antonias, die mit 14 Jahren an den Versailler Hof verkuppelt wurde, wo sie nicht nur mit dem lüsternen Intrigenstadel, sondern auch mit ihrem desinteressierten Ehemann nicht zurechtkam. Die Mutter überwachte vor allem ihre verheirateten Töchter engmaschig durch Vertraute, Aufpasser und die offiziellen Botschafter. Leider geht die Autorin auf das Schicksal Marie Antoinettes relativ wenig ein, was erstaunt, da Maria Theresia in Frankreich vor allem als deren Mutter bekannt ist.

Im Vordergrund steht für die Autorin die Rollenbalance der Kaiserin, ihr Jonglieren zwischen männlichen und weiblichen Persönlichkeitsanteilen. Ihr Wille zur Macht ist vielfach bezeugt. Schon ihr Erzfeind Friedrich der Große wird mit dem Satz zitiert: "Ihr Wille zu herrschen wird sie erst verlassen, wenn sie nicht mehr sein wird." Merkwürdigerweise predigt sie aber ihren Töchtern die absolute Unterwerfung unter ihre Ehemänner und verweist sie auf "weibliche" Tugenden wie Anpassungsfähigkeit und Demut. Auch hier kommen die dynastischen Interessen vor den emanzipatorischen. Inwieweit Maria Theresia bei all ihren Qualitäten und ihrer Modernität zum Vorbild für die Frau im 21. Jahrhundert taugt, sei dahingestellt, an üppigen Finanzmitteln und umfangreichem Personal wird es der modernen Frau weiterhin fehlen. Interessant ist die Lektüre allemal. (Barbara Machui, 5.3.2023)