Typisch Baselitz: Ehefrau Elke ist das einzige Aktmodell des Künstlers und steht auch auf dem Kopf.
Foto: Louisiana Museum of Modern Art / Finn Brøndum

Bereits mit seiner Namensänderung Anfang der 1960er-Jahre reihte sich Georg Baselitz selbstverständlich in die Riege der großen Meister wie Leonardo da Vinci oder Lucas Cranach ein. 1938 im sächsischen Deutschbaselitz als Hans Georg Kern zur Welt gekommen, erhob auch er seinen Geburtsort zum Nachnamen. Im Kunsthistorischen Museum (KHM) steht der deutsche Maler nun im Scheinwerferlicht und ergänzt rund 70 seiner Arbeiten mit etwa 40 Werken der Gemäldegalerie.

Die Ausstellung Baselitz. Nackte Meister, die Dienstag eröffnet wird, lässt Werke von Tizian, Cranach oder Rubens mit Baselitz in fleischlichen Dialog treten. Quasi ein malerisches FKK-Paradies – immerhin sind alle gezeigten Körper nackt. Zum 85. Geburtstag machte das KHM dem in Salzburg lebenden Künstler ein besonderes Geschenk und lud ihn zur Serie "Modern & Contemporary" ein. Nach den weiterhin ausschließlich männlichen Künstlern wie Lucian Freud, Francis Bacon und Mark Rothko ist nun der gefeierte und zugleich umstrittene Malerfürst in Wien zu Gast.

Die Schau gesellt sich in eine Reihe musealer Würdigungen der letzten Jahre. Die Albertina, die neben internationalen Häusern Leihgaben beisteuerte, zeigt im Juni Zeichnungen des Künstlers. Gedankt wird auch der Galerie Ropac, die das Projekt als Hauptsponsor unterstützte. Eine eigene Plakette im mittleren Raum der Schau dankt sogar für eine Saalpatenschaft – und erklärt so, warum dieser stark an einen Galerie-Showroom erinnert.

Lucas Cranachs zarter "Sündenfall: Eva" (1510/20) aus der KHM-Gemäldegalerie wird mit Baselitz' überdimensionalen Aktgemälden konfrontiert.
Foto: KHM-Museumsverband

Unsere "Nackerten"

Im KHM wird Baselitz hofiert, für die Schau wurde ihm quasi freie Hand gelassen. Ursprünglich sollten Körperlichkeit und Kreatürlichkeit als inhaltliche Klammer dienen, erklärt Andreas Zimmermann, der mit dem Künstler kuratierte. Doch Baselitz wäre nicht Baselitz, wenn er nicht einen pikanteren Zugang gewählt – und wahrscheinlich so manche Entscheidung im Alleingang getroffen – hätte. Für ihn stand zweifellos der nackte Körper im Zentrum.

Sein simples Rezept fürs KHM: "Vereint meine Nackerten und eure Nackerten." Er bringt es selbst auf den Punkt, denn genau das gibt es in der umfangreichen Schau zu sehen: Baselitz. Nackte. Meister.

Berserker im FKK-Paradies

Fünf riesige Säle der Gemäldegalerie mit sämtlichen Kabinetten wurden für das Projekt freigeräumt und der großformatigen Malerei zur Verfügung gestellt. Baselitz durchspült die Räume mit brachialer Wucht und ohne Rücksicht: Auf eine Ausstellungsarchitektur verzichtet er und schmückt die Wände mit wild gehängten Konstellationen, in denen der menschlichen Aktfigur aus allen möglichen Perspektiven fast ikonisch gehuldigt wird. Seine Werke stehen im typisch Baselitz’schen Stil auf dem Kopf.

Mit ihnen kombiniert er zwar Gemälde, die allesamt aus der Zeit des Manierismus stammen – diese im 16. Jahrhundert aufkommende Geisteshaltung faszinierte den immer gern gegen den Strom schwimmenden Künstler schon früh, da sie mit bekannten Idealen der Zeit brach. Dennoch schert sich Baselitz um keine inhaltliche oder historische Korrespondenz. Triggerwarnung: Es geht nicht um ikonografische, sondern um eine formal-ästhetische Auseinandersetzung.

Gleich den geisterhaften Wesen in Georg Baselitz' "Wohin" (2017) sollte man durch die umfangreiche Ausstellung schweben.
Foto: Jochen Littkemann, Berlin

Sündenfall bis Hollywood

So stellt Baselitz zu Beginn seine überdimensionalen Fingermalereien männlicher und weiblicher Akte – es sind er selbst und seine Frau Elke – mit Cranachs zartem Sündenfall: Adam und Eva sowie der brutal-lüsternen biblischen Szene von Loth und seinen Töchtern bei Albrecht Altdorfer zusammen. Präsentiert einen Engelssturz auf Augenhöhe mit seinen heiteren, reduzierten Strandfiguren aus den 80ern. Und stellt Elke mit dunkler Hautfarbe und Das Pelzchen von Rubens in ein Kabinett zusammen. Der Kontext?

Bitte nicht vergeblich suchen! Von der Idee einer klassischen KHM-Ausstellung muss man sich schon bei der gigantischen Baselitz-Skulptur im Vestibül des Museums verabschieden. Die wenigen Informationen in der Schau sind ausreichend, mehr braucht es bei dem spielerischen Konzept auch nicht. Lässt man sich darauf ein, wird man nicht enttäuscht. Wie die geisterhaften Figuren bei Baselitz muss man durch die Säle schweben.

Das Gemälde von Tizian "Nymphe und Schäfer" (1570/75) korrespondiert nur rein formal-ästhetisch mit den Figuren des deutschen Malers.
Foto: KHM-Museumsverband

Langweilig wird es nicht

Was zählt, ist die Oberfläche, die wiederholt oder gebrochen wird: Zwei Akten werden zwei weitere zur Seite gestellt. Nach unten stürzende mit kopfstehenden Körpern kombiniert. Die halbnackten Frauen verweisen zwar beide auf den Statuentypus "Venus pudica". Für Baselitz ist Das Pelzchen aber "schlichtweg ein wunderbares Bild".

Dennoch ist der Maler ein Kenner, er huldigt seinen Vorbildern, speziell den Rudolfinischen Manieristen, und verzichtet auf andere Künstler wie Raffael. Dessen religiöse Bilder hält er für "Hollywood"-Malerei. Im düster-goldenen Spätwerk erstellt er interessante Wandkonzepte, die nur in ihrer Ganzheit funktionieren – oder gar keinen Sinn ergeben.

Sichtlich hatte das rebellische Geburtstagskind eine Menge Spaß. Der Ausstellung könnte man viele Vorwürfe machen, Langeweile zählt nicht dazu. (Katharina Rustler, 4.3.2023)