Zwischen den unterschiedlichen demografischen Gruppen gibt es auch deutliche Unterschiede in der politischen Einstellung.

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Klagenfurt – Auf den ersten Blick erscheint die Rechnung einfach: Die SPÖ hat in Kärnten am Sonntag 23.197 Stimmen gegenüber der Landtagswahl 2018 verloren, die anderen Parteien haben allesamt Stimmen gewonnen – zwischen 1.529 (Neos) und 13.859 (Team Kärnten / Gerhard Köfer). Aber so einfach ist es nicht. Erstens ist die Wahlbeteiligung heuer um 9.169 Stimmen auf 71,59 Prozent gestiegen. Vor fünf Jahren war sie noch bei 68,63 Prozent gelegen.

Zweitens funktionieren Wählerbewegungen auf den heutigen Wählermärkten nicht nach dem Prinzip, dass Wählerinnen und Wähler mit fliegenden Fahnen von einer Partei zur anderen wechseln. Vielfach verschwinden Wahlberechtigte überhaupt aus dem System – weil sie zwischen den Wahlen fortziehen, versterben oder einfach keine Lust haben, an der Wahl teilzunehmen. In den Berechnungen der Statistiker sind das dann Wählerströme zu den Nichtwählern.

14.000 frühere SPÖ-Wähler wählten diesmal gar nicht

Solche hat es auch bei dieser Wahl gegeben: Nach den Berechnungen des Sora-Instituts für den ORF ist ein Zehntel der rund 141.000 SPÖ-Wähler von 2018 diesmal gar nicht wählen gegangen. Diese 14.000 Stimmen sind der absolut größte Wählerstrom dieser Wahl. 10.000 frühere SPÖ-Wähler sind bei Köfer, 8.000 bei der FPÖ und 3.000 bei der ÖVP gelandet. Umgekehrt konnte die SPÖ auch 10.000 Nichtwähler des Jahres 2018 mobilisieren und zudem 3.000 ÖVP-Wähler sowie 1.000 FPÖ-Wähler gewinnen. Demnach wäre also der Saldo zwischen den bisherigen Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP ausgeglichen.

Sowohl die SPÖ als auch die ÖVP und die FPÖ konnten jeweils nur etwa sieben von zehn früheren Wählenden halten. Die kleineren Parteien hätten demnach noch geringere Halteraten: So geht Sora davon aus, dass nur 31 Prozent der Neos-Wählerschaft von 2018 ihrer damaligen Entscheidung treu geblieben sind, bei den Grünen sind es 44 Prozent und bei Köfer 63 Prozent.

Große Bewegung bei kleinen Parteien

Da aber alle Parteien außer der SPÖ absolut Stimmen dazugewonnen haben, muss es diesen Parteien gelungen sein, irgendwo neue Wählerinnen und Wähler herzubekommen. Beispiel Neos: Ihre aktuelle Wählerschaft setzt sich aus 29 Prozent Nichtwählern, 25 Prozent Stammwählern, 18 Prozent früheren Grünen und elf Prozent ehemaligen Freiheitlichen zusammen. Dazu kommen noch sieben Prozent ehemalige SPÖ-, sechs Prozent ÖVP-Wähler sowie vier Prozent frühere Wähler von Kleinparteien. Aber insgesamt blieb die Neos-Wählerschaft mit 7.836 Stimmen (2,59 Prozent aller gültigen Stimmen) eben sehr klein.

Anders das Team Kärnten von Gerhard Köfer: Er verbuchte ingesamt die größten Zuwächse. In seinem Lager landeten zu den gehaltenen rund 10.000 Stimmen die schon erwähnten 10.000 von der SPÖ gekommenen, weitere 5.000 von Nichtwählern und 4.000 von der FPÖ. Dennoch sind auch frühere Köfer-Stimmen nach den Berechnungen der Sora-Statistiker verloren gegangen: 4.000 landeten bei der FPÖ (womit auch hier der Saldo ausgeglichen ist), und je 1.000 frühere Köfer-Wähler entschieden sich diesmal für die ÖVP oder gingen gar nicht wählen.

Auffallend ist auch der direkte Wähleraustausch bei der FPÖ: Sie gewann 8.000 Stimmen von der SPÖ und 5.000 von der ÖVP – gleichzeitig wanderten aber 8.000 frühere Freiheitliche zur ÖVP und 4.000 zum Team Kärnten. Von den Nichtwählern gewann die FPÖ 10.000 Stimmen, verlor im Gegenzug aber auch 3.000 an die Nichtwähler.

Hochmobile Wählerschaften

Ganz anders sieht es übrigens aus, wenn man die Wahl vom Sonntag mit der Nationalratswahl 2019 vergleicht. Damals war die ÖVP in Kärnten (nur knapp unter dem Bundesschnitt) mit 34,9 Prozent stärkste Partei vor der SPÖ (26,2 Prozent) und der FPÖ (19,8 Prozent). Hier sieht man die hohe Mobilität schon auf den ersten Blick, und die Wählerstromanalyse zeigt die enormen Verluste der ÖVP von der Bundes- zur Landeswahl: Hier ist der größte Wählerstrom von der ÖVP zur SPÖ gegangen (31.000 Stimmen), der zweitgrößte von der ÖVP zu den Nichtwählern (23.000 Stimmen).

Auch da lohnt sich ein Blick auf die kleineren Parteien – und hier wieder besonders auf die Grünen: Diese hatten bei der Nationalratswahl in Kärnten mit 9,5 Prozent 2019 ein deutlich besseres Ergebnis erzielt als bei den Landtagswahlen von 2018 (3,12 Prozent) oder 2023 (3,85). Wo sind nun diese Wechselwähler geblieben? Sora teilt sie so auf: 30 Prozent haben wieder Grüne gewählt, 17 Prozent die SPÖ, acht Prozent Köfer, fünf Prozent Vision Österreich, drei Prozent Neos und ein Prozent die FPÖ. Und die größte Gruppe der Grün-Wählerschaft der Nationalratswahl (35 Prozent oder gut 10.000 Personen) ist laut Sora diesmal gar nicht wählen gegangen.

Wie einzelne Gruppen gewählt haben

Während Wählerstromanalysen die Bewegungen zwischen Wahlparteien nach statistischen Regeln nachzeichnen, muss das Wahlverhalten einzelner Gruppen durch eine möglichst repräsentative Befragung erhoben werden. Sora befragte im Auftrag des ORF 1.301 Wahlberechtigte in den Tagen vor der Wahl. Dabei zeigte sich, dass die bisherigen Koalitionspartner SPÖ und ÖVP bei Wahlberechtigten über 60 am besten abgeschnitten haben: Da kam die SPÖ auf 44 und die ÖVP auf 25 Prozent. Die FPÖ punktete dagegen besonders bei Jungwählern unter 29 Jahren – da kommt sie auf 32 Prozent.

Auffallend auch, dass Menschen mit bloßem Pflichtschul- oder Lehrabschluss mit 28 beziehungsweise 30 Prozent doppelt so stark zur FPÖ neigen wie Universitätsabsolventen (14 Prozent). Bei Erwerbstätigen ohne Matura hat die FPÖ mit 34 Prozent sogar die relative Mehrheit vor der SPÖ (32 Prozent).

In der Sora-Wahltagsbefragung zeigt sich auch wieder das bekannte Muster, dass die FPÖ-Gefolgschaft besonders stark in jenen Gruppen vertreten ist, die mit ihrem Geld nicht auskommen, ein negatives Zukunftsbild haben und sich von der Politik im Allgemeinen unverstanden fühlen.

Unterschiedlich war das Wahlverhalten auch nach Geschlecht: Es wählten mehr Männer als Frauen die FPÖ, bei der ÖVP war es umgekehrt. Und wenn ausschließlich Frauen hätten wählen dürfen, hätten die Grünen den Landtagseinzug geschafft. (Conrad Seidl, 6.3.2023)