Andrea Hammer hilft und ermutigt Transfrauen beim Thema Styling.
Foto: Regine Hendrich

Andrea Hammer war viele Jahre lang in der Werbung tätig, bei großen Agenturen, wo sie als Grafikerin schon immer "ein bisserl mit Styling zu tun hatte". Als ihr "die Werbung auf den Nerv" ging, hörte sie dort auf und wechselte als Kostümbildnerin zu Theater und Film. Und obwohl sie die Arbeit dort "geliebt hat", wollte sie mit ihrer Kreativität irgendwann "etwas Sinnvolleres" machen.

Beim Spaziergang im achten Bezirk in Wien, wo sie nahe der Piaristenkirche wohnt, lernte sie zufällig eine Psychotherapeutin kennen, die transgender ist "und sich als Frau richtig toll stylt, sehr dezent und ganz sich selbst entsprechend". Bald war für Hammer klar, dass sie gerne in diese Richtung arbeiten würde, und die Therapeutin ermutigte sie auch sofort, denn viele ihrer Klientinnen waren Transfrauen und suchten Unterstützung auf dem Weg zum wahren Selbst. Über die Zusammenarbeit mit dieser und anderen Therapeutinnen sowie über Mundpropaganda stieg die Nachfrage nach ihren Stylingtipps rasch an. "Die Dunkelziffer an Transfrauen, die sich noch nicht geoutet haben, ist enorm hoch", weiß sie heute.

Wie kann man seine Weiblichkeit modisch noch mehr spüren und unterstreichen?
Foto: Regine Hendrich

Ein Erstgespräch mit ihr findet immer gratis am Telefon oder persönlich statt, dabei möchte sie ihre potenziellen Kundinnen spüren lassen, dass sie ihr vertrauen können. Hammer fragt nach modischen Vorlieben oder bevorzugten Farben. "Die meisten wissen aber überhaupt nicht, in welche Richtung sie gehen wollen", sagt sie. Vor allem ältere Männer, die ihre geschlechtliche Identität lange Zeit verborgen halten mussten, würden als Frau auch in Sachen Mode eine völlig neue Welt betreten.

Kurze Röcke und Pink

Wird eine Zusammenarbeit für 60 Euro pro Stunde vereinbart, bekommt Hammer meist per Messenger ein Ganzkörperfoto der neuen Kundin zugeschickt samt Maßen und Kleidergröße. In einem Damenmodengeschäft, mit dem sie zusammenarbeitet, sucht sie circa 20 Outfits, die passen könnten, aus und nimmt sie mit nach Hause. "Sobald die Kundin da ist, erzählt sie mir in einem gemütlich eingerichteten Raum und geschützten Rahmen ihre Geschichte. Ich schminke sie ein bisschen, und sie probiert eine erste Perücke. Schon da kommen mir oft die Tränen, weil es so schön ist, wenn ein Mann im Spiegel sieht, wie er sich zur Frau wandelt."

Danach werden alle Outfits probiert, was auch mal vier Stunden dauern kann. Dass jemand modisch eine völlig falsche Idee von sich selbst hat, kommt vor. "Manche tragen am Anfang zu dick auf, möchten am liebsten alles in Pink halten oder zu kurze Röcke anziehen – was aber auch verständlich ist, weil sie ja endlich ihre Weiblichkeit zeigen und die Frau in sich spüren wollen." Andere wiederum landen gleich bei Lack und Leder im Fetischbereich: "Das ist aber natürlich traurig, weil sie so nie hinausgehen können."

Wer seine geschlechtliche Identität lange Zeit verborgen hat, betritt als Frau auch in Sachen Mode eine neue Welt.
Foto: Regine Hendrich

Dabei wünschten sich die allermeisten Transfrauen nur Normalität im Alltag und empfänden eine tiefe Sehnsucht, ihr Selbst nicht länger verheimlichen zu müssen, sich der Familie gegenüber oder in der Arbeit outen und hinausgehen zu können. "Aber nicht auf Partys, sondern ins normale Leben!", sagt Hammer. "Mit Travestie, Dragqueen oder Regenbogenparade hat das alles daher gar nichts zu tun." Auch dürfe man ihre Arbeit nicht mit einer Modeberatung verwechseln. "Da geht es um eine neue Haut, nicht um ein neues Outfit."

Ende der Heimlichkeit

"Viele Transfrauen sind verheiratet und leben ihre modischen Vorlieben heimlich", erzählt sie weiter. "Manchmal kommt aber auch die Ehefrau oder Partnerin mit zum Styling." So wie bei Susanne (60), die sich nach einem Burnout vor zwölf Jahren ihrer Frau Karin anvertraut hat und auch nach dem Outing bei ihr blieb.

"Das war die beste Entscheidung!", bestätigen beide, die sich heute beim Kleiderkauf gegenseitig beraten. Mittlerweile ist Susanne, die nicht umoperiert ist, auch offiziell als Frau im Personenstandsregister eingetragen und wird von ihrem Umfeld als solche akzeptiert, "auch im sehr männerdominierten beruflichen Umfeld". Bei einer anderen Klientin, erzählt Hammer, wisse die Ehefrau zwar von der wahren geschlechtlichen Identität ihres Mannes, wolle aber nicht, dass "die Außenwelt" davon erfährt. Dieses Paar lebt in dem unauflösbaren Dilemma, dass in Partnerschaft und Familie alles passt – nur dass der Mann halt plötzlich eine Frau ist und der Vater eine Mutter.

Die Schicksale, mit denen sie in ihrem Beruf konfrontiert ist, seien immer berührend, die Personen immer mutig.
Foto: Regine Hendrich

Mädelsabend

Hammer weiß aber auch von vielen Kundinnen, die sehr einsam und vollkommen isoliert leben. "Da bin ich oft die Einzige, mit denen sie reden können", sagt sie. Die Schicksale, mit denen sie in ihrem Beruf konfrontiert ist, seien immer berührend, die Personen immer mutig. "Es sind wunderbare Menschen, die versuchen, ihren Weg endlich aufrecht und frei zu gehen." Während des Stylings sei die Stimmung daher immer schön, kreativ und auch oft lustig. "Wir sind dann wie zwei Freundinnen, die richtig viel Spaß haben." Am Ende der Beratung stehen sie dann häufig gemeinsam vor dem Spiegel, sie halten sich in den Armen, und Hammer sagt: "Du bist eine so schöne Frau!"

Ihr Verhältnis zu den Kundinnen geht daher längst über das "Zieh noch dieses Kleidl an!" hinaus, "es sind Freundschaften entstanden, die auf Vertrauen basieren". Für zwei von ihnen, über deren Einsamkeit auf dem Land sie weiß, wird sie demnächst in der Stadt ein Kennenlernen bei einer Art "Mädelsabend" organisieren, denn auf dem Land, von woher die meisten ihrer Kundinnen zu ihr kommen, sei das Leben als Transfrau noch einmal schwieriger als in der Stadt, wo man auch in der anonymen Masse abtauchen könne.

Ihre Arbeit dürfe man nicht mit einer Modeberatung verwechseln. "Da geht es um eine neue Haut, nicht um ein neues Outfit."
Foto: Peter Sehnal

Dankes-SMS

"Nachdem die Kundinnen bei mir waren", sagt Hammer, "haben sie gewissermaßen Blut geleckt und spüren eine große Lust am neuen Leben, doch müssen viele danach wieder zurück in die Realität, die oft sehr frustrierend ist." Das "erste Mal" auf der Straße aber, wohin Hammer ihre Kundinnen im neuen Outfit meist begleitet, sei immer schön, wenn auch natürlich aufregend, weil die Angst, schief angeschaut zu werden, mitschwingt.

Hammer hängt sich dann bei ihren Kundinnen ein, sie spürt deren Anspannung zu Beginn des Spaziergangs und dann die zunehmende Sicherheit, mit der sie sich bewegen. Und das sei für sie das Schönste an ihrer Arbeit – wenn sie mit einer Kundin, die sich endlich wohlfühlt in ihrer Haut, in der Normalität des Alltags war und am Abend ein SMS bekommt: "Danke, dass du mich auf diesem schweren Weg zu mir selbst und nach draußen begleitet hast." (Manfred Rebhandl, 7.3.2023)