Madeleine Darya Alizadeh hat 330.000 Instagram-Follower, betreibt als Geschäftsfrau ein Unternehmen für nachhaltige Mode, pflegte jahrelang einen bekannten Podcast und hatte mit "Starkes weiches Herz" ein Buch verfasst, das es in den "Spiegel"-Bestsellercharts auf Platz drei schaffte. Und bis vor einigen Wochen hatte die als "DariaDaria" bekannte Influencerin mit austro-iranischen Wurzeln auch einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag.

Doch der ist seit 25. Jänner weg, entfernt nach einer wenig aufschlussreichen Diskussion über seine Relevanz, die der Nutzer "Altkatholik62" per Klick auf den Löschbutton beendete. Begründung: "Aus dem Artikelinhalt ist keine enzyklopädische Relevanz der Biografie ersichtlich." Alizadeh kann die Löschung nicht nachvollziehen. Sie sieht darin einen Fall von Sexismus. Und es ist nicht das erste Mal, dass der Plattform Versagen vorgeworfen wird, wenn es um die Repräsentation von Frauen geht.

Unterschiedliche Maßstäbe

Fast ausschließlich Männer hätten sich in der Löschdebatte für die Entfernung starkgemacht, sagt Alizadeh in einer Instagram-Story zum Thema. Und während in der Wikipedia Artikel über Amateurfußballer unhinterfragt bestehen bleiben, werde bei Texten über Frauen – insbesondere mit ausländisch klingendem Nachnamen – die Latte auf einmal sehr hoch gelegt.

Ein Ausschnitt aus Alizadehs Instagram-Story.
Foto: Instagram/DariaDaria

Die Influencerin dokumentiert außerdem ähnliche Erfahrungen anderer Frauen. Eine etwa erklärt, dass auch ihr Eintrag entfernt worden sei, trotz sieben Jahren Arbeit als Moderatorin für ARD und ZDF und der Veröffentlichung mehrerer gut verkaufter Bücher.

Drastischer Männerüberhang

Tatsächlich ist der Frauenanteil bei Biografien in der Wikipedia sehr niedrig. Er lag 2020 bei nur 16 Prozent, dokumentierte das österreichische Wissenschaftsblog Schrödingers Katze. Unter jenen, die sich aktiv auf der Plattform betätigen, um neue Artikel zu schreiben, ältere Texte zu pflegen und auch über Löschungen abzustimmen, machten Frauen damals überhaupt nur geschätzt neun Prozent aus.

Der drastische Männerüberhang, so sagte die derzeit an der Universität Jena tätige Literaturwissenschafterin Sandra Folie, führe dazu, dass "die erzeugende Gruppe" sich inhaltlich auf der Plattform vor allem selbst reproduziere, die meisten Artikel über Persönlichkeiten also von Männern über Männer geschrieben werden. Zudem habe diese Situation auch zu misogynen Folgeerscheinungen beigetragen. Und diese, so zeigen Berichte wie dieser von Netzpolitik.org, bekommen aktive Autorinnen immer wieder zu spüren.

Ein Ausschnitt aus dem gelöschten deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag über Alizadeh.
Foto: Wikipedia via Web Archive

Als Beispiel dafür nennt Folie die auf Optik spezialisierte kanadische Physikerin Donna Strickland. Obwohl diese schon länger viel Renommee in ihrem Fach besitzt, waren zwei Anläufe, eine Biographie über sie zu veröffentlichen, gescheitert. Ein Text aus dem Jahr 2014 wurde wegen Plagiatsvorwürfen entfernt, da er Stricklands Porträt auf der Website der Optical Society zu ähnlich gewesen sei. Beim zweiten Versuch, wenige Monate bevor sie 2018 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, war ihrer Arbeit noch die notwendige Relevanz abgesprochen worden. Nach der Auszeichnung durch das Nobel-Komitee ging in Windeseile ein Eintrag zu ihr online.

Löschverfahren der Wikipedia

Wenn es um die Löschung von Beiträgen geht, kennt die Wikipedia – grob erklärt – mehrere Verfahren. Für Extremfälle, in denen ein Artikel absehbar keiner Löschdiskussion standhalten würde – etwa offensichtlicher Unsinn oder Vandalismus –, können Administratoren ohne Rückfrage Schnelllöschungen vornehmen.

Der "übliche" Weg ist allerdings, eine Seite mit Begründung für eine Löschung zu nominieren. Sollte es binnen einer Woche keinen Einspruch dagegen geben, kann ein Administrator die Entfernung vollstrecken. Gibt es Einspruch oder es handelt sich um einen prominenteren Eintrag, erfolgt hingegen eine Diskussion, für die wenigstens sieben Tage Zeit eingeräumt werden.

Die finale Entscheidung soll ein Administrator auf inhaltlicher Basis fällen, dem Regelwerk zufolge ist die Anzahl der Meldungen für oder gegen eine Entfernung nicht relevant. Eine nach Diskussion erfolgte Löschung kann nur durch einen Administrator rückgängig gemacht werden, wobei Nutzer angehalten sind, sich an die Person zu wenden, die die Entfernung durchgeführt hat. Fruchtet das nicht, steht als letzte Option noch ein "Deletion-Review", in dem erneut über den Eintrag diskutiert wird. Mit zeitlichem Abstand ist zudem eine Nominierung eines Beitrags zur Wiederherstellung möglich. (gpi, 6.3.2023)