Die Arbeiterkammer fordert bessere Arbeitsbedingungen, mehr Geld für Kinderbetreuung und 2.000 Euro Mindestlohn.

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Hohe psychische sowie gesundheitliche Belastung bei gleichzeitig schlechter Bezahlung – derartige Rahmenbedingungen haben in Österreich knapp 40.000 Frauen vom Jobmarkt vertrieben, obwohl sie eigentlich einen Arbeitswunsch verspüren. Das zeigt eine aktuelle Studie des Sora-Instituts, in Auftrag gegeben von der Arbeiterkammer (AK).

Diese Frauen sind Teil der sogenannten stillen Reserve: Menschen, die zwar grundsätzlich arbeiten würden, aber in den vergangenen vier Wochen nicht aktiv nach Arbeit gesucht haben. Zur offiziellen Arbeitslosenstatistik zählen sie allerdings nicht. "Wir sehen, dass Arbeitslosigkeit in Österreich systematisch unterschätzt wird", sagt Studienautor Daniel Schönherr am Montag bei einer Pressekonferenz. Im dritten Quartal 2022 umfasste die stille Reserve über 70.000 Menschen, davon 38.899 Frauen. Die monatlichen Arbeitslosenzahlen erzählen somit "eigentlich nur die halbe Wahrheit".

Die Gründe für die Arbeitslosigkeit aus Entmutigung sind vielfältig, lassen sich aber oft auf Resignation zurückführen. Auf Englisch wird diese Gruppe deshalb auch als "discouraged workers" bezeichnet.

Gesundheit geht vor

Befragte Frauen nannten neben geringer Entlohnung und fehlenden Aufstiegschancen auch geringe Mitsprache, Diskriminierung sowie sexuelle Gewalt als Teil ihrer Berufsrealität. Bei einigen war Arbeitslosigkeit die Chance, aus dem belastenden Job auszubrechen und sich zu erholen. Eine Betroffene meint: "Volle Konzentration aufs Gesundwerden war am wichtigsten. Und irgendwie war ich dann auch froh, nicht mehr jeden Abend so kaputt nach Hause zu kommen."

Die meisten Frauen, die Teil der stillen Reserve sind, waren vor ihrer Kündigung im Dienstleistungssektor tätig, etwa als Pflegerin oder Kellnerin, oder verrichteten Hilfsarbeiten. Außerdem sind sie häufiger niedrig qualifiziert als Erwerbstätige. Die Arbeitslosigkeit bedeutet für sie oft eine Auszeit, oder sie wird zur Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Verwandten genutzt.

AK fordert mehr Lohn

Die Arbeiterkammer fordert auf Basis der Studie, dass Politik und AMS mehr Fokus auf die Frauen in der stillen Reserve legen. Neben einem kollektivvertraglichen Mindestlohn in allen Branchen in Höhe von 2.000 Euro brutto pro Monat sollen auch die Arbeitsbedingungen verbessert werden. "Betriebe müssen endlich verstehen, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der entscheidende Hebel ist, um sowohl Beschäftigte zu halten als auch neue Arbeitskräfte zu gewinnen", sagt Ines Stilling, Bereichsleiterin Soziales bei der AK Wien. Außerdem sollen die "entmutigten Frauen" gezielt gefördert werden – mit "Beratungs- und Qualifizierungsangeboten vom AMS ohne Druck auf Vermittlung in den nächsten prekären Job".

In den Jahren 2021 und 2022 machte die stille Reserve je ein Viertel aller Menschen ohne Arbeit aus. Mit dem derzeitigen Arbeitskräftemangel "können wir es uns nicht erlauben, einfach auf diese Gruppe zu verzichten", sagt Stilling.

Dass diese Frauen dem Arbeitsmarkt noch nicht endgültig abgeschworen haben, liegt zumeist an der finanziellen Sicherheit, die ein eigenes Einkommen bringt. Darüber hinaus wird Arbeit aber auch als sinnstiftend wahrgenommen und mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden, wie eine Betroffene beschreibt: "Man weiß einfach in der Früh, wofür man aufsteht."

Unterschied machen

Im dritten Quartal 2022 gab es rund 4,5 Millionen Erwerbstätige in Österreich, bei einer Teilzeitquote von 30 Prozent. Gleichzeitig gibt Österreich jedes Jahr über 30 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Sozialausgaben aus. Um diesen Standard in der aktuellen demografischen Entwicklung zu halten, müssen neue Möglichkeiten gefunden werden, den Arbeitsmarkt für alle Personengruppen attraktiv zu machen. Die 40.000 Frauen in stiller Reserve könnten also durchaus einen entscheidenden Unterschied machen. (Magdalena Frei, 6.3.2023)