Die Frau, die kein Verlust über die wahre Natur des Krieges belehren kann: Helene Weigel in der Titelrolle von Brechts Marketenderin "Mutter Courage", aufgenommen im Berliner Ensemble 1956.

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Philosoph Jürgen Habermas hatte mit der ganzen Autorität eines 93-Jährigen in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung das Wort zur Mäßigung erhoben. Das "Nicht-sein-Sollen" eines zermürbenden Krieges mache die Notwendigkeit unumgänglich, fristgerecht an die Beendigung des Ukrainekrieges zu denken.

Dafür erntete er, anerkannter Vordenker des Vernunftgebrauchs in Verständigungsfragen, heftigen Widerspruch. Habermas‘ Hinweis, welche enormen Kosten die Fortführung des Kampfgeschehens Betroffenen auferlege, löste Kopfschütteln aus. Zuletzt riet der Historiker Herfried Münkler im Spiegel zu einer realistischen Betrachtungsweise des von Putin entfesselten Krieges. Wer einen bewaffneten Konflikt beenden wolle, müsse ihn sachgerecht zu Ende denken, auch um der Schließung eines Diktatfriedens vorzubeugen.

Münkler entwickelte sogleich eine kleine Grammatik des Krieges. Großmächten wie Putin-Russland wäre an einer raschen militärischen Durchsetzung ihrer Maximalziele gelegen. Scheitere ein solcher "Niederwerfungskrieg", müsse mit dem Übergang in einen "Erschöpfungskrieg" gerechnet werden: vorausgesetzt, die Ukraine erhalte weiterhin die für ihre Verteidigung notwendigen Waffen.

Wider die Zimperlichkeit

Ein solches "Denken des Krieges" rechnet mit der Zimperlichkeit derer, die einseitig friedensbewegt sind. In der Tat müssen sich die Verfasserinnen des Manifests für Frieden nachsagen lassen, ihr Appell erschalle auf deutschen Marktplätzen umso lauter, je weniger er vom Kriegsherrn im Kreml gehört werde. Die Schizophrenie, auf eine Beendigung des Krieges zu hoffen, obwohl auf seine Fortdauer aus Gründen der Selbstbehauptung gesetzt werden muss, eröffnet eine Vielzahl von Problemen. Zeit, als strategische Ressource verwendet, spielt häufig genug dem Aggressor in die Karten, weil er über mehr Mittel verfügt.

Das Zeitfenster der Einsicht, das etwa das Anbahnen eines Waffenstillstandes in der Ukraine im Frühling 2022 ermöglicht hätte, war alsbald geschlossen. Münkler rät, mit Blick auf den Dreißigjährigen Krieg und das mühsame Zustandekommen des Westfälischen Friedens 1648: lieber ein gut vorbereiteter Friedensschluss als ein halbherziger Waffenstillstand. Was er nicht dazusagt: Bis es so weit ist, stehen von den Hochhäusern in vielen ukrainischen Städten kaum noch die Metallgerippe. Jede Fortführung des Krieges unterzieht nicht nur die Leidensfähigkeit der Bevölkerung einer kaum zumutbaren Belastung. Die Strategie der Ermattung bewirkt, bei gleichzeitiger Freisetzung überlebensnotwendiger Kräfte, ein Erstarken destruktivster Energien.

Karl Kraus, gewiss der beredtste Kriegsgegner der deutschsprachigen Neuzeit, nannte 1918 den gerade beendeten Ersten Weltkrieg das Grauen, in dem "Ornamentik und Organisation, Schwachsinn und Bestialität Schulter an Schulter ihre unnennbaren Offensiven gegen die Menschenwürde unternahmen".

Erlahmende Kräfte

Unverzichtbar bleibt der Hinweis: Krieg, auf Dauer gestellt, lässt die sozialen Bindungskräfte der von ihm in Mitleidenschaft Gezogenen erlahmen. Es waren stets die Nachdenklichen, die auf die Korrumpierung durch Kriegshandlungen hingewiesen haben, auf seelische Verarmung, die unweigerlich eintritt, auf das unsolidarische Verhalten jener, die überleben müssen. Kraus sprach, mit Blick auf die Propaganda seiner Zeit, höhnend von der Kunst, "das Durchhalten fremder Leiden zu ermöglichen". Er geißelte die Mentalität der "Ferntöter", die, eingebettet in die Sicherheit ihrer Redaktionsstuben, sich wie Börsenkuriere ausdrücken würden.

Bertolt Brecht entwarf rund 20 Jahre später mit der Mutter Courage, dem Porträt der Marketenderin Anna Fierling im Dreißigjährigen Krieg, das Bild einer Unbelehrbaren. Noch nach dem Hingang ihrer Kinder meint diese Zähe, vom Kriege profitieren zu können: Der Feldzug sei "noch nicht zu End!": "Und was noch nicht gestorben ist / Das macht sich auf die Socken nun."

Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden, von der Kriegsmaschine Putins terrorisiert, noch vieler Zurüstungen und Hilfestellungen bedürfen. Der Hinweis auf die Folgewirkungen von Krieg und Destruktivität bleibt dennoch unerlässlich. Natürlich ist es an der Zeit, die Ukraine nicht nur gehörig zu unterstützen, sondern schon heute ihren Wiederaufbau ins Auge zu fassen. (Ronald Pohl, 8.3.2023)