Zahlreiche gemeinnützige Wohnprojekte werden derzeit aufgrund der unsicheren Situation rund um die steigenden Zinsen und die hohen Baukosten auf Eis gelegt.

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Zwei Frauen und drei Michaels: Unter der Moderation von Franziska Leeb (li.) diskutierten Michael Priebsch (Erste), Isabella Stickler (Alpenland), Michael Gehbauer (WBV-GPA) und Michael Klien (Wifo).

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WU-Professor Holoubek: "Wohnen ist ein Grundbedürfnis."

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Wochenlang wird über eine Mietpreisbremse diskutiert, dabei gibt es sie bereits – in Form der gemeinnützigen Bauvereinigungen. So sah es jedenfalls Michael Klien, Wohnbauexperte beim Wifo, auf dem 75. Wohnsymposium des STANDARD und des Fachmagazins Wohnen Plus mit dem Thema "Gemeinnützigkeit – quo vadis?" im Erste Campus.

"Versicherung" für den Wohnungsmarkt

Klien verglich das System der Wohnungsgemeinnützigkeit mit einer Versicherung: "Da sieht man auch erst, was man davon hat, wenn ein Schadensfall eintritt." Beim derzeit angespannten Wohnungsmarkt mit steigenden Zinsen und hoher Inflation sei das seit Jahrzehnten bestehende System wie eine "institutionalisierte Mietpreisbremse".

Das Bild gefiel, niemand unter den mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern beim Wohnsymposium vermochte Klien zu widersprechen. Naturgemäß nicht der Bundesobmann der Gemeinnützigen, Klaus Baringer, der auch von einem "internationalen Herzeigemodell" sprach, um das Österreich weltweit beneidet werde. Die Mieterinnen und Mieter der 179 gemeinnützigen Bauträger würden sich jährlich rund 1,3 Milliarden an Mietkosten ersparen, das wisse man nicht zuletzt dank einer Studie des Wifo aus dem Jahr 2021.

Jedoch: Das System ist derzeit stark herausgefordert. "So wie wir in der Vergangenheit finanzieren konnten, werden wir es nicht mehr tun können", sagte Baringer.

Mehr Mittel gefordert

Zahlreiche gemeinnützige Wohnprojekte werden derzeit aufgrund der unsicheren Situation mit steigenden Zinsen und hohen Baukosten auf Eis gelegt. Baringer fordert deshalb mehr Mittel aus der Wohnbauförderung. Aus diesem Topf standen vor 25 Jahren jährlich 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung, das waren damals 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), rechnete er vor. "Bis in die Nullerjahre stieg das Volumen auf drei Milliarden an, seither geht es aber rasant bergab."

Die aktuellen 1,8 Milliarden Euro seien nur noch 0,4 Prozent des BIP. "Eine Verdoppelung ist nötig." Jeder Euro, den der Staat für die Wohnbauförderung in die Hand nehme, wirke sich positiv aus.

Grundbedürfnis Wohnen

"Wohnen ist ein Grundbedürfnis", darauf hatte Michael Holoubek, Professor für Öffentliches Recht an der WU Wien, in seinem Eröffnungsvortrag hingewiesen. Er strich außerdem das Recht auf Privatheit, auf den eigenen Rückzugsort hervor, ohne das "unser liberales Gesellschaftsmodell nicht funktioniert". Die Wohnungsgemeinnützigkeit nannte er "ein Austriakum dazwischen", nämlich zwischen der Bereitstellung von Wohnraum durch die öffentliche Hand und dem privaten Markt. Die damit einhergehende Schaffung von leistbarem Wohnraum "auch für die breite Mittelschicht" sorge für sozialen Frieden und vermeide Ghettobildung.

Die Gemeinnützigkeit sei in all den vielen Jahren ihres Bestehens in ihren Grundstrukturen nie infrage gestellt worden; stete Aufgabe des Sektors sei es aber auch, die Politik von der Sinnhaftigkeit der Gemeinnützigkeit zu überzeugen.

In der anschließenden Podiumsdiskussion bekräftigte auch Michael Gehbauer, Geschäftsführer der gemeinnützigen WBV-GPA, dass das System quasi "permanent am Leben gehalten werden" müsse. Auch er trat für mehr Wohnbaufördermittel ein, er tut das schon seit vielen Monaten. "Es braucht mehr Geld für höhere Förderungsdarlehen, aber auch für Annuitätenzuschüsse aufgrund steigender Zinsen." Die Bauleistung der Gemeinnützigen werde heuer weiter sinken, und es werde derzeit auch wenig gewidmet.

443 mal weniger Miete

Doch er hatte – Stichwort Mietpreisbremse – auch eine gute Nachricht: 443 Haushalten habe er im Vorjahr mitteilen können, dass ihre Miete nicht steigt, sondern sogar sinkt – weil die entsprechenden Wohnungen "ausfinanziert" waren, wie das im Jargon heißt. Die Gemeinnützigen müssten sich diesbezüglich quasi selber an der Nase nehmen und solche Positivmeldungen mehr hervorstreichen.

"Schneller ins Bauen kommen", das war auch das Motto von Isabella Stickler, Obfrau der niederösterreichischen Genossenschaft Alpenland. Doch während Gehbauer dafür eintrat, dass die Gemeinnützigen ihre Wohnungen langfristig im Bestand halten sollten, brach Stickler eine Lanze für Eigentum. Die Einstellung zur Kaufoption ist bekanntlich das einzige Thema, bei dem sich rote und schwarze Gemeinnützigen-Vertreter (Gehbauer ist Obmann des SP-nahen Vereins für Wohnbauförderung, Stickler im Präsidium der ÖVP-nahen Arge Eigenheim) nicht ganz einig sind.

Eigentum sei aber nicht gleichbedeutend mit Spekulation, hielt Stickler fest. Und die Gemeinnützigen hätten vom Verkauf ja nicht nur den Erlös, sondern auch laufende Verwaltungserträge.

Im Alter sei die Schaffung von Eigentum wichtig, so Stickler. "Die Wohnkostenbelastung ist im Eigentum im Schnitt geringer als bei der Miete." Doch Wohnungseigentumsobjekte sind schwieriger zu sanieren, räumte sie ein. Da brauche es noch mehr gesetzliche Eingriffe etwa beim erst kürzlich novellierten Wohnungseigentumsgesetz (WEG). Stickler sieht ein weites Betätigungsfeld bei Eigenheimen. Mit den aktuell sehr strengen Kreditvergaberegeln geht der Bau von privaten Einfamilienhäusern gerade massiv zurück, "da gibt es Möglichkeiten für die Gemeinnützigen einzuspringen".

Abschied von Niedrigzinsen

In den Zeiten niedriger Zinsen habe die Wohnbauförderung "niemanden interessiert", assistierte Klien. Nicht nur Wohnbauträger, "auch private Häuslbauer haben günstige Kapitalmarktkredite bekommen", die Wohnbauförderung geriet aus dem Fokus. Nun werde der Einbruch beim Einfamilienhausbau aber "wild" werden, wie Klien sagte, die Wohnbauförderung sei wieder gefragt.

Und man müsse endlich über Dichte reden, auch und vor allem in Landgemeinden, forderte Stickler. "Drei Vollgeschoße sind in Niederösterreich mancherorts schon schwierig." Doch man müsse nun einmal "in die Zentren hinein" und Leerstände aktivieren, anstatt auf der grünen Wiese zu bauen. Dort wird ohnehin immer weniger gewidmet, wie auch Wifo-Experte Klien eine gewisse "Widmungsmüdigkeit" feststellte.

Die Bodenfrage sei eine zentrale, darauf wies nicht zuletzt auch der anwesende ehemalige GBV-Obmann Karl Wurm hin. "Warum akzeptieren wir so hohe Grundstückskosten, bzw. wie lange akzeptieren wir sie noch?", fragte er rhetorisch in die Runde. Viele Gemeinnützige hätten schon arge Probleme bei der Umsetzung von Projekten. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen ändern. "Aber ist sie auch bereit, bei den Grundstücken einzugreifen?"

"Politik ist gefordert"

Auch Michael Priebsch, Leiter der Abteilung Großvolumiger Wohnbau in der Erste Bank, sah hier in erster Linie die Politik gefordert. Diese hätte die nötigen Eingriffsmöglichkeiten bei der Widmung, "es könnten aber auch Gemeinden Grundstücke erwerben und eventuell im Baurecht vergeben". Oder man kümmere sich um die verstärkte Bebauung schon genutzter Liegenschaften. Die Erste Bank finanziere gerne beides, Miete wie Eigentum, mit langen Laufzeiten. "Aber in Sachen Leistbarkeit ist die Politik gefordert."

Ein kurzer Disput entspann sich nach einer Wortmeldung aus dem Publikum: Gestaltungsbeiräte seien kontraproduktiv, sie würden den Wohnbau nur verteuern und verlangsamen. Dem wollten gleich mehrere der im Saal anwesenden Architektinnen und Wohnbauprofis widersprechen, Michael Gehbauer rückte vom Podium aus zur Verteidigung der Architektenschaft aus: "Wir bekennen uns zu Baukultur und zur ökologischen Verantwortung." Komme es deswegen zu Verteuerungen, müssten diese aber abgegolten werden.

Gute Ideen an den Tischen

In den Tischgesprächen des Wohnsymposiums kamen dann hervorragende Vorschläge zuhauf, einige hatten den Föderalismus im Visier: Die Widmungskategorie "Geförderter Wohnbau" sollte in ganz Österreich ausgerollt werden, das Wohnbauförderwesen solle vereinheitlicht werden und zurück zur Bundesebene wandern, das seit 1974 existierende Bodenbeschaffungsgesetz sollte endlich einmal angewandt werden, lauteten ein paar der Vorschläge. Weniger Stellplätze, kürzere Verfahren, mehr Verdichtung waren weitere Ideen. Und die Gemeinnützigen sollten "mehr Selbstbewusstsein" an den Tag legen und sich etwa auch im Normungswesen stärker einbringen. (Martin Putschögl, 8.3.2023)