Süßes scheint sehr spezifisch mit prosozialem Verhalten zusammenzuhängen, wie eine aktuelle Studie vermuten lässt.

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Nach den Augen bilden Geruchs- und Geschmacksinn das wohl wichtigste Sensorium des Menschen. Für die chemischen Wahrnehmung zuständig, warnen uns Nase und Zunge vor potenziell gefährlicher Nahrung. Der evolutionär sehr alte Geschmackssinn kann jedoch noch viel mehr, wie eine aktuelle Studie nachweist: Manchmal können Geschmackserfahrungen sogar unser Denken und Handeln beeinflussen.

Der Geschmackssinn gehört zu den ersten Sinnen, über die wir verfügen. Schon wenige Wochen alte Embryos zeigen ersten Geschmacksknospen. Die fundamentale Rolle dieses Sinnes zeigt sich ebenso darin, dass auch in der Evolution Geschmack einer der ersten Sinne war, die sich entwickelten.

Süße Romantik

Vor diesem Hintergrund sind psychologische Effekte von Geschmackserfahrungen nicht überraschend. Einige neuere Studien lieferten Hinweise darauf, dass bestimmte Geschmacksrichtungen auch Einfluss auf unser Verhalten ausüben können (und umgekehrt). Ganz besonders gilt das für die Geschmacksrichtung "süß". Forschende sehen hier beispielsweise eine Verbindung zu romantischen Gefühlen – es käme nicht von ungefähr, dass man zum Valentinstag häufig Süßes verschenkt.

Der süße Geschmack scheint aber noch mehr in uns auszulösen. Eine Studie an der Medical School Berlin und in Kooperation mit der Universität Magdeburg konnte zeigen, dass Menschen nach einem süßen Geschmackserlebnis bei nachfolgenden Entscheidungen häufig den sozialeren Weg wählten.

Spezifisch prosoziale Wirkung

Bei dem Experiment bekamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer süße, salzige oder neutrale Geschmacksproben, bevor sie an einem Entscheidungsspiel teilnahmen. Die Ergebnisse zeigten, dass nach der süßen Geschmacksprobe die Testpersonen signifikant positiver agierten.

Süßer Geschmack scheint uns also irgendwie sozialer zu machen – aber nicht unbedingt aus dem simplen Grund, weil uns Süßes in eine gute Stimmung versetzt. Eine Kontrollaufgabe zeigte, dass süßer Geschmack bei der Bewertung von unterschiedlichen Produkten keinerlei Einfluss hat. Süßer Geschmack scheint also sehr spezifisch mit prosozialem Verhalten zusammenzuhängen.

Hinweis auf den anterioren cingulären Kortex

Parallel dazu führten die Forschenden bei den Testpersonen auch Untersuchungen mit funktioneller Kernspintomografie durch. Die Scans gewährten einen Blick auf die neuronalen Mechanismen, die hinter dem Zusammenhang zwischen süßem Geschmack wohlwollendem Sozialverhalten stecken: Offenbar ist der Effekt unmittelbar mit dem dorsalen anterioren cingulären Kortex verbunden.

Dieser Hirnbereich nimmt eine wichtige Funktion in der Kontrolle von Konflikten und Entscheidungen ein, beispielsweise bei der Wahl einer eher sozialen oder egoistischen Reaktion. Da der anteriore cinguläre Kortex mit Hirnarealen für das Geschmacksempfinden verbunden ist, scheint der süße Geschmack das Entscheidungsverhalten über diese Hirnregion verändert zu haben.

Süße Muttermilch?

Die Hintergründe dieser Effekte sind aber weiterhin noch unklar. Sprache könnte eine wichtige Rolle spielen. Nicht nur in der deutschen Sprache, sondern etwa auch im Englischen oder in Mandarin markiert die Süß-Metapher eine Verbindung von romantischen Gefühlen mit süßem Geschmack, wie es zum Beispiel in "süßen" Kosenamen deutlich wird. Auch frühkindliche Erfahrungen werden als Ursache dieser psychologischen Süß-Effekte diskutiert. Der süße Geschmack der Muttermilch könnte dahingehend von Bedeutung sein, da hier früh eine Verbindung zwischen süßem Geschmack und sozialem Verhalten gebildet wird.

Sollte man also erst einmal Süßigkeiten verteilen, ehe man um Hilfe beim anstehenden Umzug bittet? Das Forschungsteam bezweifelt, dass man ihre im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlichen Erkenntnisse so direkt im Alltag umsetzen könne. Die absoluten Unterschiede im sozialen Verhalten seien relativ klein und wurden in einem experimentellen Umfeld beobachtet. Ob sie den Praxistest bestehen, sei daher zumindest fraglich. Es bedürfe weiterer Forschungen, um diese subtilen Prozesse besser zu verstehen. (red, 12.3.2023)