Die Eltern Burt (Paul Dano) und Mitzi Fabelman (Michelle Williams) ermöglichen dem kleinen Sammy alias Steven im Kino das Staunen.

Foto: Storyteller Distribution Co.

Als Teenager dient Sammy (Gabriel LaBelle) die Kamera als Waffe gegen das antisemitische Mobbing seiner kalifornischen Mitschüler.

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Anhand des Regisseurs Steven Spielberg lässt sich eine Geschichte Hollywoods, wenn nicht gar der USA erzählen. In jedem Fall ist er ein Paradebeispiel des mittlerweile nicht mehr oft zitierten "Amerikanischen Traums". 1946 wurde Spielberg als Enkel jüdisch-orthodoxer Einwanderer aus der Ukraine in Cincinnati geboren. Seine Mutter war verhinderte Konzertpianistin, sein Vater Elektroingenieur am Beginn einer vielversprechenden Karriere. Als Sechsjähriger sah Steven im Kino Cecil B. DeMilles Zirkusfilm Die größte Schau der Welt. Da war es um ihn geschehen, der Bann des Kinos hatte ihn eingefangen.

Von dieser Liebe erzählt Die Fabelmans. Davon, wie Spielbergs Alter Ego Sammy den Rest seiner Kindheit und Jugend damit verbrachte, Filme zu drehen. Ganz egal, wohin es die fünfköpfige Familie verschlug: New Jersey, Arizona oder Kalifornien. Die letzte Station war zwar schlecht für die Familie, gut aber für Sammy, denn im Herzen Hollywoods traf er als 16-Jähriger auf sein großes Idol John Ford. Ausgestattet mit seinen Markenzeichen Zigarre, Augenklappe und einem mürrischem Wesen, lehrte der Westernregisseur den jungen Bewunderer eine wichtige Lektion:

"Wenn der Horizont unten ist, ist es interessant. Wenn der Horizont oben ist, ist es interessant. Wenn der Horizont in der Mitte ist, ist es scheißlangweilig!"

Die Fabelmans ist denn auch eine Lektion in der Spielberg'schen Filmsprache. Eine Spurensuche nach einigen Motiven, die sein Werk im Allgemeinen und seinen liebevollen Coming-of-Age-Film im Besonderen durchziehen:

Mythos Amerika

Das Regie-Idol Ford wird in Die Fabelmans von einer anderen Ikone des US-Kinos verkörpert: David Lynch. Ford, Spielberg und Lynch. So unterschiedlich die drei Regisseure sind, verbindet sie doch eine Gemeinsamkeit. Ihre Filmerzählungen schöpfen aus dem Mythos Amerika, der das Kino des letzten Jahrhunderts beherrschte. Fords Prärie findet ihre Entsprechung in Sammys erstem Westerndreh im Wüstenstaat Arizona. Lynchs Vorstadthorror versteckt sich sowohl im Gruselmiethaus, das die Fabelmans im regnerischen Kalifornien anmieten, als auch in den Suburbs von New Jersey, wo die jüdische Familie das einzige Haus in der Nachbarschaft bewohnt, das nicht mit Weihnachtslichtern dekoriert ist, wie Sammy zähneknirschend feststellt.

Licht, Licht, Licht!

Ohne Licht kein Kino. Ohne Licht kein Effekt. Ohne Licht keine Erhöhung. Spielbergs Filme leben von der Lichtregie. Sammy Fabelman entdeckt die Magie des Kinos, indem er eine Entgleisung seiner Spielzeugeisenbahn nachinszeniert. Erst das Licht und die richtige Einstellung machen das Gefilmte zu Kino.

Wenn später dann Mutter Mitzi im transparenten Nachthemd bei einem Campingausflug im Autoscheinwerferlicht tanzt, mischt sich in den ätherischen Feentanz, eine Prise Erotik. Da das Kleid der Mutter im Gegenlicht völlig transparent ist und Tochter Reggie (Julia Butters) die Blicke der Männer bemerkt, versucht diese die Scheinwerfer abzudrehen.

Universal Pictures

Mütter

Falls sich jemand einmal gefragt hat, warum liebevolle, aber (gedanklich) abwesende Mütter in Spielbergs Filmen eine zentrale Rolle einnehmen – etwa in E.T. oder A.I. Künstliche Intelligenz –, wird in Die Fabelmans eine Antwort finden. Michelle Williams Oscar-nominierte Verkörperung von Mitzi Fabelman ist eine Attraktion: Melancholie und Passion einer gescheiterten Konzertpianistin, die nicht von ihren langen Nägeln lassen kann, obwohl diese beim Klavierspiel klackern, und das Essen immer auf Plastikgeschirr auftischt, um nicht spülen zu müssen. Mitzi folgt schließlich ihrem Herzen und treibt so einen Keil in die Familie. Sie ist da und immer auch abwesend.

Antisemitismus

Die Fabelmans sind der Inbegriff einer jüdisch-amerikanischen Familie. Doch erst in Kalifornien werden sie von den, wie Schwester Reggie bemerkt, viel zu großen blonden Mitschülern gemobbt. Für Sammy wird, wie auch für Spielberg (insbesondere in Schindlers Liste), die Kamera zur Waffe gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Gefühlskälte.

Große Gefühle

Spielberg hat keine Furcht vor großen Gefühlen. Daraus wurde ihm, oft zu Unrecht, der Vorwurf des Kitschs gestrickt. In seiner Familiengeschichte gelingt es ihm, die Macht der Gefühle in Bilder zu übersetzen. Zwischenmenschlich innerhalb der Familie, aber auch in Gestalt einer Passion, die so stark ist, dass sie zur Entfremdung führen kann: Mutter Mitzi liebt die Musik und das Lachen, Vater Burt die Computertechnik und Sammy den Film, der all das auf einmalige Art und Weise vereint.

Die Fabelmans zeigt schließlich, warum der Name Spielberg wie kein anderer sowohl für technisch versierte Spezialeffekte als auch für emotional reiches Erzählkino, für beglücktes Lachen, kindliches Staunen und gerührte Tränen steht. (Valerie Dirk, 9.3.2023)