Viele Funktionen der Bezahlmodelle haben für Normalverbraucher wenig Mehrwert. Politinfluencer und Menschen im Journalismus profitieren hingegen immens von zusätzlicher Reichweite, sagt Andre Wolf.

Foto: mimikama.org / © Barbara Wirl

Früher galten blaue Haken in Social Media als Garant dafür, dass man es auch wirklich mit der echten Person oder Institution zu tun hat. Mit den neuen Bezahlabos "Twitter Blue" und "Meta Verified" droht die Verifizierung aber zur Währung zur werden. DER STANDARD hat sich mit Andre Wolf von Mimikama getroffen und ihn gefragt, was die Verifizierungsmodelle für Userinnen und User bedeuten.

STANDARD: Mimikama ist sowohl auf Twitter als auch auf Facebook verifiziert. Wie ist dieser Prozess abgelaufen?

Wolf: Das waren die alten Verifikationen. Damals war das noch recht einfach. Mit der Telefonnummer haben wir erst den grauen Haken bekommen. In einem zweiten Prozess haben wir dann den weißen Haken auf blauem Hintergrund bekommen – sowohl auf Facebook als auch auf Twitter.

STANDARD: Sie sind aber auch als Privatperson verifiziert.

Wolf: Das war ein unglaublicher Prozess. Für die Verifizierung auf Facebook musste ich mehrfach meine Identität nachweisen. Man muss dazusagen, dass man eine "öffentliche Relevanz" hat, also eine Person des öffentlichen Lebens ist. Außerdem musste man nachweisen, dass man administrativ für eine große Seite zuständig ist. Bei Twitter habe ich es selbst nie geschafft. Ich habe aber jetzt, über die monetäre Verifizierung, einen blauen Haken. Das heißt, meine Privat-Profile sind beide blau verifiziert.

STANDARD: Meta – beziehungsweise Mark Zuckerberg – rechtfertigt die Kosten damit, dass Mehrkosten entstehen, weil man die Ausweise kontrollieren muss. Das war aber damals kostenlos möglich?

Wolf: Genau, das war kostenlos. Ich habe damals zwölf verschiedene Ausweise und Ähnliches geschickt: meinen Personalausweis, meinen Führerschein. Ich habe sogar eine Stromabrechnung hingeschickt, damit sie wissen, wo ich wohne.

STANDARD: Man kann also sagen, die Überprüfung war auch früher sehr gründlich?

Wolf: Es war hürdenreich, jedes Mal, und das war auch immer sauber. Grundsätzlich bin ich immer für eine Verifizierung, weil ich dann weiß, dass die Person, mit der ich rede, auch echt ist.

Ich habe mich interessanterweise schon mal mit meinem Facebook-Account an einer Postabholstelle verifizieren können, weil ich meinen Ausweis nicht dabeihatte. Also habe ich die App aufgemacht und gesagt: "Guck! Facebook hat mich verifiziert, ich bin der Echte!" Er hat zwar laut gelacht, aber er hat gesagt: "Ja, passt eh." Im Endeffekt ist es eine Art echte Verifikation, die natürlich gültig sein sollte.

STANDARD: Wie seht ihr als Faktenchecker diese neuen verifizierten Accounts?

Wolf: Man beginnt zu zahlen (bei Twitter, Anm.). Aber man ist noch nicht von vornherein mit dem blauen Symbol versehen. Das bekommt man erst nach einer Prüfung, es ist nicht gewährleistetet, dass man automatisch dieses Badge bekommt. Bei mir hat das knapp eine Woche gedauert. Das empfand ich im Nachhinein sogar als Vorteil.

STANDARD: Die Premium-Modelle dienen aber nicht nur der Verifikation, sondern haben auch weitere Funktionen.

Wolf: Es geht um Reichweiten. Für wen ist das interessant? Wenn ich ein Normaluser, eine Normaluserin bin, dann brauche ich das nicht. Die Leute, die wirklich der Ansicht sind, dass sie die Reichweite benötigen – ob das Politik, ob das Journalismus ist –, die sollen das von mir aus kaufen. Das Internet ist ein kommerzielles Netz, und Social Media sind kommerzielle Netze. Wir dürfen nicht von sozialen Netzwerken reden, es hat nichts mit hilfsbereit, nichts mit karitativ zu tun. Die haben kein ursprüngliches Interesse daran, dass wir demokratisch weiterkommen. Nein, die wollen Geld machen. Wenn du Reichweite haben willst, zahlst du. Jetzt muss ich abwägen: Will ich Reichweite haben, ja oder nein?

STANDARD: Ist das gerecht?

Wolf: Es gibt kein Recht auf Reichweite. Das müssen wir verinnerlichen – gerade die Generation, die Social Media als immer schon dagewesen sieht. Wenn ich ein Tiktok-Video hochlade, habe ich nicht das Recht darauf, dass es jeder sieht. Wenn Tiktok will, dann schränken die mich so ein, dass mich nur noch meine eigene Mutter sieht.

Facebook bleibt weiterhin gratis, ich kann mir aber ein Upgrade verschaffen. Und dann muss ich abwägen: Brauche ich das Upgrade? Ich kann ja weiter kommentieren. Wir dürfen die Kommentarfunktion nicht unterschätzen: Ob ich selber etwas poste und das Reichweite hat, ist manchmal nicht so relevant, wie wenn ich die Kommentarfunktion nutze. Wenn ich klug kommentiere, dann habe ich Reichweite, auch ohne eine Verifikation.

STANDARD: Die "Washington" Post hat kürzlich berichtet, dass sich vermehrt Accounts russischer Propagandisten auf Twitter verifizieren lassen und sich so den Haken erkaufen, den sie vorher nicht bekommen hätten. Was bedeutet das für die Verifikation?

Wolf: Das ist alles nicht neu – wie bei Team Jorge. Wir predigen schon seit 2014: Vorsicht, wir werden massivst manipuliert. Wir sind immer nur von Russland und von den Trollfabriken ausgegangen, jetzt haben wir endlich den Beweis, dass es auch privatwirtschaftlich ist. Diese Leute sind hochprofessionell. Selbst bei einer normalen Verifikation hätten die es geschafft, weil die wissen, wie es geht. Am Ende muss ich immer selber schauen, wer steckt dahinter. Ich darf nicht nur dieses Verfikationssymbol sehen, ich muss schauen: Sind diese Personen echt? Das heißt, vielleicht auch eine Suche über eine Suchmaschine anstellen, schauen wer dahintersteckt, den Charakter eines Accounts einschätzen.

STANDARD: Welche Kriterien sind hier am wichtigsten?

Wolf: Es ist wichtig, dass ich schaue: Wie alt ist dieser Account? Was postet dieser Account? Wie viele Follower hat dieser Account? Wenn das ein sehr junger Account ist, nehmen wir mal an, da fängt jemand bei Twitter an im Jänner 2023 und ist sofort verifiziert – dann muss ich mich auch erst mal fragen: Passt das alles? Wir können alle selbst Accounts verifizieren.

STANDARD: Wie relevant sind die Häkchen für die allgemeine Meinungsbildung? Die Erfahrungen der letzten Jahre legen nahe, dass Quellenrecherche für individuelle User oft nicht entscheidend ist.

Wolf: Es geht meistens um Bestätigungsfehler. Ich suche mir die Inhalte aus, die zu meiner Überzeugung passen, das ist normal. Ich muss nur aufpassen, dass das, was ich da lese, auch stimmt. Wenn ich auf einmal anfange, alternative Medien, sogenannte "Meinungsmedien" zu konsumieren, muss ich wissen, dass es Meinungsmedien sind. Ich möchte niemandem verbieten, etwas zu konsumieren. Ich muss nur wissen, was ich da tue. Wenn das eine Kolumne ist, dann muss ich wissen: Das ist ein Meinungsartikel. Da hapert es oft, weil hier leider oft auch die schulische Bildung fehlt. Sicherlich ist ein Verifikationssymbol hilfreich, aber nur hilfreich in dem Sinne, dass ich weiß: Die Person, die dahintersteht, könnte ich jederzeit kontaktieren.

STANDARD: Es gibt Netzwerke von "Meinungsmedien", die sich gegenseitig verstärken und die Inhalte des jeweils anderen teilen. So wird eine Quellenrecherche für den Einzelnen oft erschwert.

Wolf: Da sind wir bei meinem Fachgebiet. Seit 2014 beobachten wir dieses Netzwerk, das klein und anonym begonnen hat. Und wirklich billig begonnen hat: Da wurden eins zu eins Artikel übernommen, und am Ende stand immer: "das ist von der Website". Manchmal musste man drei-, viermal klicken, bis man beim Ursprünglichen war und dann gemerkt hat: Das ist Murks. Die haben einfach nur kopiert und geschrieben "Quelle". Und dadurch wurde das legitimiert, auch durch die Masse und das Ausmaß, in dem man das auf Suchmaschinen gefunden hat. Oft fehlte eben diese Medienkompetenz, um diese Websites auch einzuschätzen. Nur weil das viele sind, heißt das nicht, dass die richtigliegen. Ich muss halt dann schauen, wie seriös die sind. (Lisa Haberkorn, 9.3.2023)