Haben Menschen mehr Freizeit, könnte das mehr Freiräume für klimafreundliches Verhalten schaffen.

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Die Klimawissenschaft ist sich in einem Punkt einig: Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es grundlegende und umfassende Maßnahmen in allen Bereichen des alltäglichen Lebens. Während häufig von der Mobilität und Ernährung der Menschen gesprochen wird, wenn es um Klimaschutz im Alltag geht, fand die Arbeitszeit bisher nur wenig Beachtung.

Einige Fachleute sind überzeugt, dass eine Arbeitszeitverkürzung zum Klimaschutz beitragen und gleichzeitig mehr Raum für klimafreundliches Verhalten im Alltag schaffen könnte. Ob und wie das gelingen kann, was das für unseren Wohlstand bedeuten würde und wie der Stand der Wissenschaft in dieser Frage aussieht, darum ging es bei einem virtuellen Mediengespräch am Donnerstag, das von Scientists for Future und "Diskurs – das Wissenschaftsnetz" organisiert wurde.

Arbeitszeitverkürzung als Klimaschutzmaßnahme

Als Grundlage diente ein Sonderbericht des Austrian Panel on Climate Change (APCC). Laut diesem erfüllen gegenwärtig weite Bereiche der Erwerbsarbeit nicht die Voraussetzungen für ein klimafreundliches Leben. Wie Menschen zur Arbeit gelangen, wie viel Energie sie dort verbrauchen und wie sich ihre Tätigkeit selbst auf das Klima auswirkt – all das hat eine enorme klimapolitische Bedeutung. Erwerbsarbeit sei "zwangsläufig" an der Produktion klimaschädlicher Emissionen beteiligt, wenn auch abhängig von Branche und Wirtschaftsbereich, so der Bericht. Die Erwerbsarbeit gilt demnach als bedeutendes Element der Klimapolitik.

Laut Ernest Aigner, Mitherausgeber des Berichts und Lektor an der WU Wien, ist es notwendig, Strukturen zu schaffen, um das Arbeitsleben klimafreundlicher aufzustellen. Dazu gehören neben der Mobilität auch der Ausbau von Kindertagesstätten, die fußläufig erreichbar sind, sowie verstärkte Homeoffice-Arbeit in Bereichen, in denen das gut möglich ist. Doch eine effektive Klimaschutzmaßnahme ist laut dem Experten vor allem eine Verkürzung der Arbeitszeit. Einige Studien deuten darauf hin, dass der ökologische Fußabdruck von Menschen stark davon abhängt, wie lange sie arbeiten.

Weniger Zeitdruck, weniger Emissionen?

Doch wie nutzen Menschen ihre Freizeit, wenn sie weniger arbeiten? "Zeitwohlstand ist Grundlage für ein klimafreundliches Leben", sagt Barbara Schmetschka, stellvertretende Leiterin des Institutes für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur (Boku) und Mitautorin des APCC-Berichts. Mehr Freizeit könnte laut der Expertin Platz für weniger energie- und ressourcenintensive Aktivitäten schaffen.

"Wenn wir mehr Zeit haben und nicht mehr Geld, ermöglicht dies einen Konsum mit geringerem Fußabdruck", sagt Smetschka. In der aktuellen Arbeitswelt herrsche häufig ein Drang zu schneller Mobilität, die mit höheren Emissionen einhergehe. Der alltägliche Zeitdruck reduziere die Möglichkeiten, sich klimafreundlicher zu verhalten. Ein kürzere Arbeitszeit könnte das ändern.

Die Arbeitszeitverkürzung habe aber noch einen weiteren Vorteil. Österreich sei immer noch stark von geschlechtlicher Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen geprägt. Die Mehrfachbelastung einzelner Personen mindere den Beitrag zu einem klimafreundlichen Leben, sagt die Expertin. Eine bessere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit könnte nicht nur Emissionen senken, sondern auch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen. Allerdings passiere das nicht automatisch – neben der Arbeitszeitverkürzung brauche es auch andere Überlegungen wie Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung.

Rebound-Effekte noch nicht ausreichend untersucht

Bei all dem ist laut der Expertin zu bedenken, dass es auch zu sogenannten Rebound-Effekten kommen könnte. Diese treten beispielsweise ein, wenn Menschen mehr konsumieren oder eher übers Wochenende mit dem Flugzeug verreisen, wenn sie mehr Freizeit zur Verfügung haben. Das Thema werde derzeit noch untersucht. Grundsätzlich braucht es laut Schmetschka Überlegungen, wie einem Überkonsum entgegengewirkt werden kann, sollte es zu einer Arbeitszeitverkürzung kommen.

Die Fachleute betonen, dass eine Arbeitszeitverkürzung stets auf ihre sozialen Effekte hin geprüft werden muss. "Eine Arbeitszeitverkürzung funktioniert nicht in Bereichen mit prekärer Beschäftigung", sagt Dominik Klaus, der an den Instituten für Soziologie und Wirtschaftssoziologie der Universität Wien forscht, im Pressegespräch.

Klimaziele mit Wirtschaftswachstum nicht vereinbar

Kritisch gesehen wird die Arbeitszeitverkürzung bisher von Ökonominnen und Ökonomen. Sie sagen: Die Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft wären enorm, würden Menschen weniger arbeiten. Viele gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum unter der kürzeren Arbeitszeit leidet. Aigner betont jedoch, dass bisher keine wissenschaftliche Evidenz existiere, dass die Klimaziele mit gleichzeitigem Wirtschaftswachstum erreicht werden können. Sorge man sich um das Wirtschaftswachstum, müsse auch dargelegt werden, wie die Pariser Klimaziele trotz allem erreicht werden sollen.

"Der Fokus auf Wirtschaftswachstum schränkt den Handlungsspielraum beim Klimaschutz ein", sagt Aigner. "Die Lösung für die Klimakrise sind weniger Treibhausgasemissionen." Maßnahmen, die sich zwar negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken, könnten jedoch große Mengen Treibhausemissionen einsparen, sagt er. Vor allem in energie- und damit emissionsintensiven Branchen wie der Stahl- oder der Zementindustrie führe kein Weg an umfangreichen Veränderungen vorbei, so Aigner.

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, der durch die Arbeitsverkürzung zunehmen könnte, braucht es aus Sicht der Fachleute etwa eine bessere Entlohnung und neue Arbeitszeitgesetze in Branchen wie der Pflege. Außerdem brauche es mehr Einrichtungen, die auf Berufe vorbereiten, bei denen derzeit ein Mangel herrscht – etwa Berufsschulen, die junge Fachkräfte in der Installation und Wartung von Solaranlagen ausbilden.

Zeit und politischer Wille nötig

Die Fachleute betonen, dass tiefgreifende Veränderungen Zeit kosten, auch wenn gerade diese begrenzt ist. Boku-Expertin Schmetschka appelliert, die verbleibende Zeit zu nutzen. "Wir müssen überlegen, was wir jetzt noch gestalten können, damit wir nicht einen größeren Zusammenbruch erleben", sagt sie. "Wenn wir keinen Wintertourismus mehr in Österreich haben, weil der Schnee weg ist, können wir nichts mehr gestalten."

Die Transformation hin zu einem klimafreundlicheren Leben könnten laut den Fachleuten viele Stakeholder anstoßen – von Gewerkschaften über Unternehmen bis hin zu Parteien und Ministerien. Bisher zieht Aigner aber eine pessimistische Bilanz: Die politischen Akteure, die derzeit klimafreundlichere Strukturen schaffen können, zeigen dafür bisher nicht genug Ehrgeiz. (fko, 10.3.2023)