Von Zukunft keine Spur, das mussten auch die Grünen zur Kenntnis nehmen. Geahnt hatten sie das wohl schon länger, doch wie offen ihnen Bundeskanzler Karl Nehammer die inhaltliche Zusammenarbeit aufgekündigt hat, ist bei Werner Kogler, Leonore Gewessler und Sigrid Maurer erst über das Wochenende gesickert. Die Kanzlerrede, die viel mehr eine Parteitagsrede war, enthielt zu viele Spitzen gegen den kleinen Koalitionspartner.

Nehammer hat das Kernthema, weswegen die Grünen überhaupt in dieser Koalition sind und diese Zusammenarbeit argumentieren können, infrage gestellt: Er hat sich über den Klimaschutz lustig gemacht, er hat die Klimaaktivisten verunglimpft, er hat die Dringlichkeit relativiert. Die Katastrophenszenarien seien übertrieben, davon sollten wir uns nicht einschüchtern lassen. Wichtiger seien die Arbeitsplätze. Einem auf EU-Ebene bereits akkordierten Aus für Verbrennermotoren werde er daher nicht zustimmen.

Das stellt die Koalition infrage.

Die Rede des Kanzlers sorgt für große Verstimmungen in der Koalition: Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).
Foto: APA/Roland Schlager

Als sich die Grünen in Menschenrechtsfragen nicht durchsetzen konnten, als sie in der Asylpolitik das Nachsehen hatten, als sie bei der Bekämpfung der Korruption nicht weiterkamen, als sie vergeblich auf Transparenz und die Umsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes drängten, da war das alles kein Grund, an der Koalition zu zweifeln, weil: Klimaschutz. All das ist es wert, in der Regierung zu sein und zu bleiben, weil nur so könnten die Grünen beim Klimaschutz etwas bewegen und auf den Koalitionspartner einwirken.

Konfliktlinien

Das Wirken der Grünen war nicht allzu mächtig. Der Kanzler zeigt sich völlig unbeeindruckt. Wenn die Grünen jetzt beteuern, nur auf sie sei in Sachen Klimaschutz Verlass, muss man sich fragen: Wer hat etwas davon, wenn sie nichts umsetzen, sich in der Koalition nicht durchsetzen können? So sind die Grünen nur ein Feigenblättchen für eine eigentlich unverschämte Klientelpolitik der ÖVP, die ihre Interessen über alles andere stellt.

Die in der "Zukunftsrede" zur Schau gestellte Programmatik war ein großer Schritt weg von den Grünen. Diese werden die Koalition deswegen nicht beenden. So können sie in keinen Wahlkampf gehen. Sie stehen zwar nicht gänzlich mit leeren Händen da, haben aber definitiv nicht genug anzubieten, womit sich flott ein Wahlkampf bestreiten ließe. Die neuen Konfliktlinien lassen sich aber auch nützen: Den anderen als böse dastehen zu lassen kann der eigenen Profilierung helfen.

Mit seiner Zukunftsrede hat Nehammer den Wahlkampf eröffnet. Spätestens 2024 wird gewählt, falls es sich noch nicht herumgesprochen hat. Dass sich in der Koalition noch viel Konstruktives ereignen wird, ist nicht zu erwarten. Jetzt geht es darum, das eigene Profil zu schärfen und dem geneigten Publikum zu vermitteln, was man zu bieten hat – und mit wem.

Im Augenblick schaut es so aus, als fänden ÖVP und FPÖ wieder zueinander. Eine Mehrheit rechts der Mitte zeichnet sich ab. Die SPÖ versucht angesichts dieser Entwicklung so rasch wie möglich aus ihrer Misere herauszufinden. Aller Voraussicht nach wird am Mittwoch ein Parteitag beschlossen, auf dem die Führungsfrage geklärt werden soll – um sich ebenfalls in die Auseinandersetzung (mit anderen) zu stürzen. Das wird ein langer Wahlkampf werden. Und nein, das wird kein schöner Wahlkampf werden. (Michael Völker, 14.3.2023)