"Liebesverbrechen": die Aufarbeitung einer dunklen Tiroler Geschichte.

Studienverlag

Im September 1984 geriet die Werbefahrt eines Tiroler Dorfkaisers in die USA zum Fiasko. Franz Hausberger war Bürgermeister von Mayrhofen im Zillertal und in Begleitung des "Mayrhofner Trios" nach Miami gereist, um Reklame für die Heimat zu machen. Doch dann flog auf, dass der Tourismusbotschafter aus Tirol der 1. SS-Infanterie-Brigade angehört hatte, die ab 1941 in der Ukraine zehntausende Jüdinnen und Juden erschossen hatte. Vor Hausbergers Hotel skandierten daraufhin Menschen: "Schickt den Nazi jetzt nach Hause", die New York Times berichtete, Hausberger wurde des Landes verwiesen.

Der Innsbrucker Historiker Horst Schreiber rollt den Fall Hausberger im Buch "Liebesverbrechen", Zwangsarbeit und Massenmord auf. Das jähe Ende seines USA-Trips hielt Hausberger nicht davon ab, diesen als Erfolg zu verkaufen. Schützenhilfe erhielt er vom damaligen Tiroler Fremdenverkehrsdirektor Andreas Braun, der vor einer "Überbewertung" des Falles warnte und Hausberger als "sehr tüchtigen Werber für Mayrhofen" bezeichnete.

Die Tiroler Tageszeitung wollte in Mayrhofen gar die Rede von einer "umgekehrten Judenverfolgung" durch Simon Wiesenthal gehört haben. Und Landeshauptmann Eduard Wallnöfer hatte bereits 1980 versucht, die Veröffentlichung eines Profil-Artikels über Hausbergers NS-Vergangenheit zu verhindern.

Ein "schneidiger Soldat" und seine Gräueltaten

Hausberger beharrte auf seiner Unschuld. Als "schneidiger Soldat" hatte er während eines Heimaturlaubs mit Gräueltaten geprahlt und Fotos von Leichen nach Hause geschickt. 1981 flatterte den Mayrhofnern eine Broschüre der Österreichischen Widerstandsbewegung ins Haus. Titel: "Von der Mordbrigade ins Bürgermeisteramt".

Zwei Kapitel im Buch sind Opfern des NS-Terrors in Tirol gewidmet. Sie rühren an ungelöste Fragen des Gedenkens: an Zwangsarbeit in der Geschichte des Tiroler Energieversorgers Tiwag und an das Arbeitserziehungslager Reichenau. Letzteres hat Schreiber als Mitglied einer von der Stadt Innsbruck bestellten Kommission untersucht. Im Buch beleuchtet er das Schicksal sowjetischer Widerstandskämpfer, die im April 1945 im Lager Reichenau hingerichtet wurden. Jan Kosnik und Stefan Widla dagegen starben im Zwangsarbeiterlager des Innkraftwerks Kirchbichl. Die Männer aus Polen waren im Juni 1940 in Begleitung zweier Tirolerinnen gesehen und kurz darauf verhaftet worden.

Auf Beziehungen "Fremdvölkischer" zu "deutschen Frauen" stand die Todesstrafe. Die Frauen wurden in die Konzentrationslager Ravensbrück und Auschwitz deportiert, an Kosnik und Widla wollte die NS-Behörde ein Exempel statuieren. Ohne Tatbeweis wurden sie öffentlich hingerichtet, Lagerinsassen mussten als Henker die Drecksarbeit erledigen. Die Gestapo ließ die Exekution fotografisch dokumentieren. Sie wurde zum Modell für weitere Hinrichtungen wegen sogenannter Liebesverbrechen.

Die beiden Frauen überlebten das KZ. Anfeindungen erfuhren sie noch nach 1945. Annemarie Edenhauser bemühte sich jahrelang um Entschädigung, 1968 wurde ihr eine Rente aus Mitteln der Opferfürsorge zugesprochen. Im selben Jahr wurde Franz Hausberger in Mayrhofen zum Bürgermeister gewählt. Trotz heftiger Proteste aus dem In- und Ausland blieb er bis 1986 im Amt. (Ivona Jelcic, 15.3.2023)