Im Gastblog führt die New Yorkerin Stella Schuhmacher durch eine gerade zu Ende gegangene Ausstellung im Whitney Museum for American Art.

Das New York City der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Star der Gemälde von Edward Hopper (1882 bis 1967). Es sind nicht die berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt wie Brooklyn Bridge, Empire State Building oder die Skyline, die den Künstler inspirierten. Hopper malte menschenleere Straßen, erleuchtete Fenster mit einsamen Gestalten oder Brücken und industrielle Architektur. Über New York sagte er, dass es "die Stadt ist, die ich am besten kenne und am meisten mag".  New York, das sich zu seiner Zeit rasant veränderte, ist zugleich Thema, Schauplatz und Inspiration für sein Schaffen. Eine gerade zu Ende gegangene Ausstellung im Whitney Museum for American Art, "Edward Hopper’s New York", widmete sich seinen Gemälden, darunter einige seiner berühmtesten Werke wie "Early Sunday Morning" und "Automat".

Early Sunday Morning. 1939. Öl auf Leinwand.
Foto: Whitney Museum for American Art
Automat. 1927. Öl auf Leinwand.
Foto: Whitney Museum for American Art

Mit New York von früh an verbunden

Edward Hopper wurde 1882 in der Stadt Nyack am Hudson River in New York geboren und besuchte Manhattan zum ersten Mal auf Tagesausflügen mit der Familie. Nachdem er die High School abgeschlossen hatte, pendelte er mit der Fähre in die Stadt, um Kunstunterricht zu besuchen, und zog schließlich 1908 dorthin. Von 1913 bis zu seinem Tod 1967 lebte und arbeitete er in einer Wohnung am Washington Square Park im Herzen des "Village", wo sich heute die New York University befindet. In zahlreichen Gemälden widmet er sich dieser Gegend und ihrer Dächerlandschaft. 

Skyline Near Washington Square. 1925. Aquarell und Graphit auf Papier.
Foto: Whitney Museum for American Art
Rooftops. 1926. Aquarell und Graphit auf Papier.
Foto: Whitney Museum for American Art

Hoppers New York

Auf häufigen Spaziergängen und Zugfahrten beobachtete Hopper die Stadt, sowohl die Bauten als auch das Leben ihrer Bewohner und Bewohnerinnen. Obwohl die Stadt zu dieser Zeit enorme Entwicklungen durchmachte, Wolkenkratzer in die Höhe schossen und das Bevölkerungswachstum boomte, konzentrierte er sich in seinen Arbeiten auf weniger bekannte, zweckorientierte Strukturen und abgelegene Ecken. Er fing die Gegensätze von neu und alt, von öffentlich und privat, in seinen Werken ein und zeigte so die Widersprüche der sich verändernden Stadt. 

Erste Erfolge mit Illustrationen und Radierungen

Hopper strebte nach Anerkennung als Maler, seine ersten Erfolge jedoch erzielte er im Druck mit seinen Illustrationen und Radierungen. Er war in seiner Studienzeit in kommerzieller Kunst ausgebildet worden und fand nach seinem Schulabschluss 1906 Arbeit als Illustrator. Zu dieser Zeit hatte sich New York als Werbe- und Verlagszentrum der Vereinigten Staaten etabliert. Hopper erhielt in den 1910er und 1920er Jahren eine Vielzahl an Aufträgen, die ihm halfen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Seine Illustrationen zeigten oft urbane Motive, die von New York inspiriert waren: Theater, Restaurants, Büros und Stadtbewohner.

New York and Its Houses. 1906-10. Aquarell-, Tusche- und Graphitstift auf Papier.
Foto: Whitney Museum for American Art
A Theater Entrance. 1906-10. Aquarell-, Tusche- und Graphitstift auf Papier.
Foto: Whitney Museum for American Art

Das Fenster

Hopper fühlte sich besonders von den fließenden Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum angezogen. Alle Aspekte des täglichen Lebens – eine Frau, die sich bei geöffnetem Fenster leicht bekleidet in ihrer Wohnung nach unten beugt; ein Blick aus einem Wohnzimmer über die Dächer Stadt; oder die erleuchtet Auslage einer Apotheke – Sie alle dienen gleichermaßen als künstlerische Objekte. Das Fenster wurde zu einem der beständigsten Symbole von Hopper. Es erlaubte ihm, das Äußere und Innere eines Gebäudes gleichzeitig darzustellen und die Verletzlichkeit des Privatlebens in der dicht besiedelten Metropole zu offenbaren. Nach Einbruch der Dunkelheit werden beleuchtete Räume zu einer Art urbanem Theater für neugierige Passanten, Passantinnen und die Nachbarschaft, sowohl zu Hoppers Zeiten als auch heute. 

Night Windows. 1928. Öl auf Leinwand.
Foto: Whitney Museum for American Art
Room in Brooklyn. 1932. Öl auf Leinwand.
Foto: Whitney Museum for American Art
Drug Store. 1927. Öl auf Leinwand.
Foto: Whitney Museum For American Art

Die horizontale Stadt

Fünf Gemälde, die zwischen 1928 und 1935 entstanden – Manhattan Bridge Loop; Blackwell's Island; Macomb's Dam Bridge; Apartmenthäuser, East River; Early Sunday Morning – haben fast identische Abmessungen und das gleiche Panoramaformat. Zusammen bieten diese Gemälde einen Einblick in Hoppers Vision einer horizontalen Stadt. Alfred H. Barr, erster Direktor des Museum of Modern Art, bemerkte 1933 über Hoppers Kunst: "Seine Gleichgültigkeit gegenüber Wolkenkratzern ist bemerkenswert bei einem Maler der New Yorker Architektur." Hopper witzelte später: "Ich habe mich einfach nie um die Vertikale gekümmert."
Blackwell's Island. 1928. Öl auf Leinwand.
Foto: Whitney Museum for American Art
Manhattan Bridge Loop. 1928. Öl auf Leinwand.
Foto: Whitney Museum for American Art
Apartment Houses East River. c. 1939. Öl auf Leinwand.
Foto: Whitney Museum for American Art

Faszination mit New York

Die Ausstellung im modernen Whitney Museum am Hudson River ist an diesem warmen Spätwintertag außerordentlich gut besucht. Manche der Besucher und Besucherinnen tragen Masken, noch immer ängstlich nach den Schrecken der Pandemie. Andere genießen sichtlich ihre neu gefundene Freiheit und stehen dicht gedrängt vor den Gemälden und unterhalten sich. Die menschenleeren Bilder und Straßenzüge der Hopper Gemälde stehen in starkem Gegensatz zu den hier versammelten Menschenmassen. Sie erinnern auch irgendwie an die schlimmsten Monate der Pandemie, als New York ein Epizentrum war, sich viele kaum auf die Straße wagten und selbst der Times Square unbelebt war. Auch die Isolation der abgebildeten Menschen in Hoppers Innenräumen ruft die Einsamkeit von Home-Office und endlos scheinender Quarantäne ins Gedächtnis. New York hat glücklicherweise nichts von seiner Anziehungskraft verloren. New Yorker stehen heute neben Touristen und Touristinnen dicht an dicht und genießen diese Ausstellung, die deutlich die anhaltende Faszination des Künstlers mit der Stadt zeigt. (Stella Schuhmacher, 17.4.2023)

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