Liebevoller Blick auf eine Wahlfamilie, die die Not zusammenschweißt.

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Hirokazu Kore-eda ist der Familienmensch unter den Arthouse-Regisseuren. Durch die gesamte Karriere des Japaners zieht sich die Frage, was eine Familie ausmacht. Und für die Antwort findet er zutiefst menschliche Szenarien, die die klassischen Familienbilder seiner Charaktere ebenso öffnen wie die von uns Zuschauern. So auch in Beurokeo – Broker. Der Film sei ein Geschwisterfilm zu seinem preisgekrönten Drama Shoplifters, mit dem Kore-eda beim Filmfestival von Cannes 2018 die Goldene Palme gewonnen hat. Er habe beide Geschichten zur gleichen Zeit entwickelt, rund um das Thema einer Familie von Außenseitern.

Getrennt werden die beiden Geschwister nur von einem Abstecher nach Frankreich mit dem starbesetzten La Vérité von 2019, ebenfalls ein Familiendrama. Nun hat sich der 60-jährige Kore-eda ins asiatische Ausland begeben. Broker beginnt im südkoreanischen Busan. Und zwar mit einer Babyklappe: Eine junge Frau legt ein Neugeborenes davor ab. Auf einem Zettel steht, sie werde wiederkehren. Der Drehbuchzufall will es, dass zwei Polizistinnen die Babyklappe observieren. Denn die beiden Mitarbeiter der kirchlichen Organisation stehen unter Verdacht, die Babys illegal zu verkaufen. Menschenhandel also – hier kommt auch der Filmtitel ins Spiel.

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Was brutal klingt, erweist sich, wie schon bei der Diebesbande in Shoplifters, als halb so wild. Die beiden Männer versorgen das Baby liebevoll. Wirklich schlechte Menschen sind die beiden Lebenskünstler nicht, das sieht ihnen die Kamera an der Nasenspitze an. Zusammen mit der tatsächlich zurückgekehrten Mutter des Kleinen machen sie sich in einem klapprigen Lieferwagen auf die Reise, um neue Eltern zu finden. Ermittlerinnen folgen ihnen auf dieser Reise durch Korea und hoffen, sie auf frischer Tat zu ertappen.

Lebenskünstler als Familienoberhaupt

Jede Figur im Spiel von Broker ist auf ihre Art gebrochen, ob als geschiedener Vater, als Waisenkind oder Schlimmeres. Erst zusammen mit den anderen ergeben sie als Wahlfamilie ein vollständiges Bild. Zum Familienoberhaupt wird der Lebenskünstler Ha Sang-hyun. Er wird vom koreanischen Star Song Kang-ho verkörpert, der dafür in Cannes als bester Darsteller ausgezeichnet wurde. Er inspirierte den Japaner Kore-eda, nach Korea zu kommen. Die Mutter, die keine sein will und ein Geheimnis mit sich herumträgt, spielt Lee Ji-eun, in ihrer Heimat unter dem Namen IU ein Superstar des K-Pop. Mit ihrer Figur und den beiden liebevollen Pflegevätern beweist Hirokazu Kore-eda, dass sein in der Tradition des japanischen Kinos stehender Humanismus auch zutiefst feministisch ist. Auch das bricht das klassische Familienbild auf.

Wo andere Regisseure oft genug ihre Filmfamilien zerpflücken, bringt Kore-eda fremde Figuren zusammen. Daraus resultiert durchaus Kitschgefahr, wenn der Exotismusfaktor der westlichen Wahrnehmung abgezogen wird. Doch Kore-eda versteht es meisterlich, das Pathos der universellen Geschichte durch flapsige Dialoge, schräge Szenen und einen Schuss Melancholie zu bannen und nur in wenigen Momenten durchschimmern zu lassen.

Zudem ist das Ziel der filmischen Reiseroute in Broker durchaus nicht absehbar. Wie so oft ist nicht das Ende das Entscheidende, sondern die Menschen, die mit einem unterwegs sind. Und so wird das Zimmer eines Billigmotels zum Ort, an dem für eine kurze Zeit eine neue Familie entsteht. (Marian Wilhelm, 17.3.2023)