Altwarenhändler Peter Lindenberg.

Foto: Ela Angerer

Die Woche beginnt mit einer Räumung. Um neun Uhr Früh steht Peter Lindenberg im Salon einer verlassenen Altbauwohnung in der Wiener Gußhausstraße. Draußen schwingt sich die Stadt zu einem strahlenden Tag auf. Eine Ahnung von diesem tüchtigen Montagslicht fällt auch durch die Fenster der Wohnung. Wirbelt den Staub zu Flitter auf, der ansonsten wie ein Weichzeichner auf abstrakten Wollteppichen, einer Fifties-Sitzgarnitur, Nierentischen und Aschenbechern liegt.

Lindenberg, 51 Jahre alt und 1,85 Meter groß, ist schwer zu übersehen. Er steht in der Mitte des Raumes und lässt die Szenerie auf sich wirken. Ab und zu dreht er sich um die eigene Achse. Hält wieder still, verschränkt die Arme über der Brust und schaut. Irgendwann sagt er: "Mich fasziniert, wie so eine zeittypische Einrichtung in der Realität gelebt wurde. In den meisten Fällen war das nämlich ganz anders, als wir das aus Katalogen und Design-Magazinen kennen."

Blick fürs große Ganze

Ein Auftrag unter dem Titel Räumung bedeutet in rund sieben von zehn Fällen, eine Hinterlassenschaft zu organisieren. Mit anderen Worten: ein zu Ende gelebtes Leben auseinanderdividieren. Und das ist der zweite Grund, warum sich Lindenberg an diesem Tag in der Gußhausstraße alle Zeit der Welt lässt: "Da trampelt man nicht einfach durch. So einer Aufgabe sollte man sich mit Respekt nähern." — Eine 97-jährige Frau hätte hier bis zum Schluss selbstständig gelebt, erzählt er, inmitten all ihrer Lieblingssachen. "Das ist doch wahnsinnig schön. Das macht Mut."

Konkret geht es jetzt darum, diese ganze Ansammlung von Dingen in die richtigen Kanäle zu steuern: Wir sprechen hier nicht nur von zwei, drei Gustostückerln, die sich zu Geld machen lassen. Wir sprechen vor allem von Recycling. Ältere Semester kannten sie ja noch, die tatkräftigen Tanten oder Opas, die mal eben mit dem Auto "irgendwohin" fuhren. Aber einfach eine Wagenladung voll Zeug bei Nacht und Nebel auf einem Mistplatz abzuladen, das spielt es schon lang nicht mehr. Heute muss so eine Aktion legal, nachhaltig und verantwortungsvoll abgewickelt werden. Ergibt ja auch viel mehr Sinn.

Regisseur für Kramuri

Inzwischen sind zwei Möbelpacker nachgekommen, die Lindenberg an diesem Tag zur Hand gehen. Er selbst ist jetzt nicht mehr Beobachter, sondern Regisseur für das Abwicklungsballett von Wertsachen und Kramuri: Die besseren Einrichtungsgegenstände werden ins Nebenzimmer gestellt. Der große Rest wird in Ecken aufgeteilt: eine Ecke im großen Salon ist für Metall. Das wird gesondert entsorgt, weil wertvoller Rohstoff. Die zweite Ecke ist für Papier und Bücher. – In die nächste Ecke kommen Textilien. Was davon brauchbar ist, kommt in die Altkleidersammlung. – "Wobei das leider eher kein Armani ist, sondern sehr viel Tlapa." – Die letzte Ecke ist für Allgemeines: Was verwertbar, aber nicht wichtig ist. Dinge wie Küchenutensilien und Wecker. Das meiste davon geht auf den Flohmarkt.

Wiener Original

Man kann guten Gewissens behaupten, dass Lindenberg die moderne Version eines Wiener Originals ist — jene Mischung aus Neugierde, ironischer Abgeklärtheit und Gespür für Seelenzustände. Diesen Titel erarbeitet man sich nicht nur durch Charakter. Man braucht dafür auch einen gewissen Vorlauf. Tatsächlich ist Lindenberg Altwarenhändler in dritter Generation, und seine Familiengeschichte klingt wie aus einem DodererRoman: Alles begann mit der Großmutter. "Sie war eine Lebedame und hat irgendwann gemerkt, dass sie gut Sachen von A nach B bringen kann. Auf gut Wienerisch würde man sagen, sie hat getschachert."

Aus diesem Tschachern, also Handeln, Kaufen und Verkaufen, entstand über die Jahre ein gut gehendes Business. Auch der Sohn der Tschacherin, Peters Vater, stieg mit "allem und nix" in das Geschäft mit ein. Dessen Sohn wiederum, Peter, absolvierte die Handelsakademie und studierte Internationale Betriebswirtschaftslehre.

Professioneller Handelsbeauftragter war Peter Lindenberg schon lange davor: Ab dem Volksschulalter stand er mit seinen Eltern auf dem Flohmarkt und betrieb neben deren Verkaufsstand einen eigenen "Kinderstand". – "Da lernt man, die Menschen zu lesen." So richtig Fahrt nahm seine Leidenschaft dann eine Dekade später auf: "Ich begann mit Swatch-Uhren zu handeln, die mir meine damalige Freundin, eine Stewardess, aus Miami mitbrachte."

Das Leben aufräumen

Der Großteil seiner Klientel kennt Lindenberg nicht als Räumer, sondern als Betreiber eines Geschäftslokals für Vintage-Möbel in der Wiener Nelkengasse. Seine "Vintagerie", die er bis Ende vergangenen Jahres noch gemeinsam mit Kompagnon Ali Bechstein betrieb, gilt als eine der Zentralen für originellen und coolen Einrichtungsstil. Wer will, kann hier einen Lesesessel aus den 1950er-Jahren finden, einen Badezimmerspiegel aus den 1960er-Jahren oder ein fahrbares Plexiglasregal aus den 1970er-Jahren.

Was man außerdem findet: eine Idee, wie man Ordnung in das eigene Leben bringen könnte und den angesammelten Ramsch in den Griff. Denn mit etwas Glück ist der Eigentümer selbst vor Ort und weiß über jeden Gegenstand eine Geschichte zu erzählen. Dabei kann man sich abschauen, wie man all die Objekte bei sich zu Hause im Idealfall betrachtet: als Dinge, die kommen und gehen. Man begreift, dass es gut ist, Ballast abzuwerfen. Weil die Liebe zum Guten etwas anderes ist als Sentimentalitäten.

"Nicht alles ist für die Ewigkeit", sagt ein betont unsentimentaler Lindenberg. Ein Sofa, das in einem langjährigen Haushalt schon richtig nervtötend war, könne bei einer jungen Studentin zu neuem Leben erwachen. Auch in seiner eigenen Wohnung seien die meisten Sachen für ihn "tolle Wanderpokale". Will heißen: Damit alles im Fluss bleibt, muss man sich die Freiheit nehmen, alles immer wieder neu und anders zu denken.

Generalist des Lebens

Wer sein Warenlager in Ottakring besucht, könnte im ersten Moment glauben, dass da einer Wasser predigt und in Wirklichkeit Wein trinkt. Teekannen, Stapelstühle, Stoff-Samples, Lampenschirmgestelle, Beistelltische, Schallplatten – das wirkt hoffnungslos verschachtelt und vollgestellt. Aber kurz darauf kommt ein Fotograf vorbei und sagt, dass er für ein Shooting eine flotte Lotte mit Keramikglasur sucht. Und da staunt man nicht schlecht, weil: Zwei Handgriffe und ein paar Sachen zur Seite gestellt, schon hat Lindenberg genau so eine parat.

Einer wie er denkt nicht ans schnelle Geld, sondern langfristig. Hat angeblich alle Posten seines Warenlagers im Kopf. Vor etlichen Jahren etwa hat er mehrere Messing-Türgriffe aus den früheren Filialen der Wäschefirma Gazelle aufgekauft. — "Diese Tierköpfe sind legendär. Hochqualitatives Handwerk, wie man es heute nie wieder in die Hand bekommt", erklärt er. Zu seinen weiteren Schätzen zählen auch zwei Welthalbkugeln von der Aufzugfirma Wertheim, je drei Meter Durchmesser: "Das ist ganz großes Kino. Die sind so schwer, die mussten wir mit einem großen Lkw und einem Flaschenzug abtransportieren."

Peter Lindenberg surft zwischen all diesen Warenposten, Projekten und Aufträgen und wirkt dabei ziemlich tiefenentspannt. Ein Gemütszustand, den er sich eventuell auch deshalb leistet, weil er auf den Weitblick von drei Generationen vertrauen kann. "Ich bin ja eher so ein Generalist des Lebens." – Es gäbe für alles den richtigen Zeitpunkt. Irgendwann käme einer, der genau so etwas braucht. Er weiß, ob so ein Türgriff tatsächlich ein Original von Hagenauer ist oder nur vielleicht. Aber: "Wenn eine Sache geil ist, dann ist sie einfach geil."

Kartografie der Dinge

Interessant ist Peter Lindenbergs Blick auf Wien und Umgebung: Er weiß, wo in der Vergangenheit ästhetisch Relevantes stattfand und wo das gerade jetzt passiert. Er kennt alle neuralgischen Punkte, an denen der Markt für Stilspezialisten möglicherweise demnächst in Bewegung kommt, und war dabei, als Design-Highlights in der Architektenkammer frei wurden, im alten Hotel am Wörthersee oder in der Wiener Stadthalle. Die berühmten Holzstühle von Roland Rainer gab es damals um einen Pappenstiel, sagt er. "Heute ist so ein Sessel mit Armlehnen zwischen 900 und 1200 Euro wert." – Apropos Preisgestaltung: "Entgegen der landläufigen Meinung werden diese nicht gewürfelt, sondern richten sich nach Expertise und Marktbeobachtung."

Krisengewinner

Die Altwarenbranche zählt zu jenen Geschäftszweigen, die von Finanzkrisen und Lockdowns profitieren: "Da kaufen sich die Leute etwas Schönes, weil sie es zu Hause besser haben wollen." – Auch mit privaten Krisen habe man viel zu tun, das verlangt Fingerspitzengefühl: "Wir begleiten auch viele Trennungen und Scheidungen. Da kann es gut sein, dass dasselbe Sofa zum dritten Mal bei uns landet."

Ratschlag vom Profi

Seine Empfehlung für Privatpersonen, was das Aufräumen und Ordnunghalten betrifft: "Ich entsorge bei mir zu Hause jeden Tag ein bis zwei Sachen. Und wenn es nur zwei Kugelschreiber sind. Du testest kurz aus, ob die überhaupt noch einwandfrei gehen. Falls nicht, weg damit!" (Ela Angerer, 19.3.2023)