Es wird befürchtet, dass unter anderem Beiträge über gesellschaftlich relevante Themen, darunter der Umweltschutz oder LGBTQ+-Aktivismus, als politische Werbung gekennzeichnet wird.

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Für politische Parteien, die möglichst viele ihrer Wählerinnen und Wähler erreichen möchten, ist das Internet schon längst zu einem der wichtigsten Kommunikationskanäle geworden. Soziale Medien wie Facebook, Instagram, aber auch Youtube und Tiktok ermöglichen eine nie dagewesene Reichweite – und die Schaltung von Anzeigen, die dank Targetings eine auserwählte Zielgruppe erreichen.

Das Problem dabei: Der Online-Werbemarkt ist vielerorts ein intransparentes Pflaster. Für Userinnen und User ist es meist unmöglich herauszufinden, warum ihnen bestimmte Inhalte angezeigt werden und wer für diese bezahlt hat. Gerade im politischen Kontext birgt das eine Reihe von Gefahren, kann man doch nie sicher sein, ob ein Beitrag die Beeinflussung der Betrachterinnen und Betrachter zum Ziel hat oder nicht.

Über das Ziel hinaus

Genau dieses Problem soll ein neues EU-Gesetz zur Regulierung politischer Werbung ins Visier nehmen. Ziel ist, entsprechende Anzeigen im Internet transparent als solche zu kennzeichnen. Klarzumachen, wer sie finanziert hat und anhand welcher Parameter man als Zielgruppe für die Werbebotschaft auserkoren wurde. Ein längst überfälliges Vorhaben also – das über sein eigentliches Ziel hinausschießen und die freie Meinungsäußerung im Internet einschränken könnte, warnen Grundrechtsorganisationen, aber auch potenziell betroffene Plattformen.

In einem ausführlichen Blogbeitrag schreibt Youtube beispielsweise, dass das Gesetz "ein breites Spektrum an politischen Äußerungen und Inhalten im Internet" erfassen und daher Menschen betreffen könnte, "die einfach nur ihre Meinung äußern, ohne dafür bezahlt zu werden". Im schlimmsten Fall könne dies den öffentlichen Diskurs zu gesellschaftlich relevanten Themen wie dem Klimawandel oder LGBTQ+-Rechten einschränken. Auch die Arbeit von NGOs und Aktivistinnen könnten demnach als politische Werbung erfasst werden.

Schwammig formuliert

Grund dafür ist eine relativ weit gefasste Definition dessen, was als "politische Werbung" gilt. In der aktuellen Fassung des Gesetzesentwurfs inkludiert diese alle politischen Inhalte, die "durch, für oder im Namen eines politischen Akteurs" verbreitet werden, "es sei denn, sie sind rein privater oder rein kommerzieller Natur". Außerdem sollen all jene Inhalte als politische Werbung gelten, die geeignet sind, "das Ergebnis einer Wahl oder eines Referendums, eines Gesetzgebungs- oder Regelungsprozesses oder das Wahlverhalten zu beeinflussen".

Unter anderen warnt Youtube vor potenziell schwerwiegenden Folgen ...
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Davon ausgenommen werden davon nur bestimmte gesellschaftliche Akteure und Institutionen. Um eine Einschränkung der Pressefreiheit zu verhindern, sollen zum Beispiel politische Botschaften klassischer Nachrichtenmedien wie dem STANDARD nicht betroffen sein, sofern diese redaktionell entstehen. Dasselbe gilt für offizielle Mitteilungen der EU-Mitgliedsstaaten, die sich mit der Organisation und den Modalitäten von Wahlen befassen – und für die Regierungskommunikation, sofern diese nicht auf Wahlbeeinflussung aus ist.

Nicht (mehr) zu empfehlen!

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Plattformen wie Youtube dazu gezwungen wären, die Reichweite von als politische Werbung klassifizierten Inhalten einzuschränken. Entsprechende Videos und Beiträge könnten dann zwar weiterhin veröffentlicht werden, soziale Medien hätten aber keine legale Möglichkeit mehr, ihre Reichweite mithilfe von Empfehlungsalgorithmen zu multiplizieren. Diese ermöglichen es grundsätzlich, Userinnen und Usern weitere Inhalte anhand ihrer Interessen vorzuschlagen – auch wenn man eigentlich gar nicht nach diesen gesucht hat.

"Die Bedenken hinsichtlich der weit gefassten Definition von politischer Werbung im EU-Verordnungsvorschlag sind in der Tat berechtigt", sagt auch Eliška Pirková von der Grundrechtsorganisation Access Now gegenüber dem STANDARD. Die Definition politischer Werbung sei so weit gefasst, dass sie "die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen und wichtige gesellschaftliche Themen umfassen könnte, die als nicht-kommerzielle politische Äußerung gelten sollten". Das Gesetz, so Pirková, könnte sich also "negativ auf den bereits schrumpfenden zivilgesellschaftlichen Raum in der EU auswirken", vor allem in jenen Ländern, "die ihre Absicht, gegen kritische und oppositionelle Stimmen vorzugehen, nicht verbergen".

Multiple Agenden?

Dass sich gerade Youtube gegen die aktuelle Fassung des EU-Vorhabens engagiert, sieht Pirková jedoch kritisch: "Ich bezweifle, dass Googles Bemühungen allein durch die Sorge um die Zukunft der politischen Meinungsäußerung in Europa motiviert sind." Viel eher würde die Videoplattform die Bemühungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Hintergrund stellen, "um ihre eigenen gewinnorientierten Ziele zu fördern".

... es dürfte aber für alle möglichen Onlineplattformen gelten.
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Grund für diese Annahme ist, dass Google einen Großteil seiner Einnahmen mit personalisierter Werbung lukriert. Allein 2021 setzte der IT-Konzern 210 Milliarden Dollar mit ebendieser um. Relevant ist das im aktuellen Kontext, weil die diskutierte EU-Richtlinie nicht nur eine Neudefinition politischer Werbung anstrebt, sondern das umstrittene Thema des Trackings angeht. Erst die konstante Nachverfolgung des Nutzungsverhaltens aller Menschen im Internet ermöglicht es, dass Anzeigen auf die eigenen Interessen zugeschnitten werden.

Nur ausgewählte Informationen

Im Kontext politischer Werbung soll das Targeting in Zukunft aber eingeschränkt werden. Es soll nicht nur ersichtlich werden, auf Basis welcher Daten man angesprochen wurde. Werbetreibenden soll verboten werden, sensible Informationen wie die sexuelle Orientierung oder die Religionsangehörigkeit für das Targeting zu nutzen, berichtet "Euractiv".

Google selbst hat vergleichbare Sicherheitsvorkehrungen innerhalb der Europäischen Union bereits implementiert. Wer hier Wahlwerbung schalten möchte, muss sich registrieren und sowohl die eigene Identität bestätigen als auch eine gültige Berechtigung vorlegen. Darüber hinaus stellt das Unternehmen klar, dass für die Ausspielung politischer Werbung nur vier Parameter herangezogen werden: der Standort, das Alter, das Geschlecht und kontextbezogene Targeting-Optionen. Außerdem bietet das Unternehmen die Möglichkeit, nach jeder Wahlwerbung zu suchen, die seit dem 21. März 2019 über die eigenen Services veröffentlicht wurde.

Noch nichts verloren

Ein vergleichbares System haben aber bei weitem nicht alle Werbeunternehmen implementiert. Sabine Frank, Policy-Managerin bei Youtube, betont deshalb, dass man das EU-Vorhaben grundsätzlich unterstütze. Die aktuelle Definition politischer Werbung könne aber "zu einer erheblichen Reduktion an politischen Informationen und Debatten im Internet führen". Es sei zu verhindern, "dass Europa unbeabsichtigt in eine Regulierung politischer Meinungsäußerungen einsteigt".

Trotz der naheliegenden Kritik an Googles Engagement gleichen die grundliegenden Bedenken des Unternehmens also durchaus jenen von Grundrechtsorganisationen wie Access Now.

Das Problem ist nur, dass das Gesetzgebungsverfahren relativ weit fortgeschritten ist. Eine mögliche Konkretisierung der Definition von politischer Werbung liegt daher in den Händen des EU-Parlaments. Ende Februar hat sich dieses auf eine gemeinsame Position geeinigt und einen konkreteren Anwendungsbereich definiert – der für Diskussionsstoff in den bevorstehenden Trilogverhandlungen mit EU-Rat und -Kommission sorgen dürfte. (Mickey Manakas, 22.3.2023)