Emmanuel Macron will seine Pensionsreform gegen den Willen des Parlaments durchdrücken.

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Frankreich sackt in eine schwere politische Krise. Der Verfassungskniff mit Artikel 49.3, mit dem Emmanuel Macron seine Pensionsreform gegen den Willen des Parlaments durchdrücken will, brachte die schwelende Wut über den Eigensinn des Präsidenten offen zum Ausbruch. Am Mittwoch versuchte Macron erstmals überhaupt, das umstrittene Vorhaben der Nation offiziell zu erklären. Zu spät: Die gefährlich aufrührerische Stimmung in Frankreich hat sich längst festgesetzt.

Ob das Land das Pensionsalter jemals von 62 auf 64 Jahre erhöhen wird, ist noch nicht sicher: Das Verfassungsgericht, der Conseil constitutionnel, könnte das Unterfangen noch vereiteln, auch wenn das unwahrscheinlich scheint.

Politisch ist der Scherbenhaufen bereits perfekt. Das umstrittene und hart umkämpfte Vorhaben hat seinen Urheber Macron nicht etwa mit dem Glorienschein des mutigen Reformers ausgestattet, wie das der narzisstische Präsident zweifellos geplant hatte. Vielmehr steht Macron nun allein und mit dem Rücken zur Wand da. Wenn die Expertenmeinung stimmt, dass dieser Pensionskonflikt nur mit einem Gewinner und einem Verlierer enden kann, dann ist die Gefahr für Macron groß, dass der Widerstand gegen die an sich sinnvolle Reform zum Schluss stärker ist er als er. Seine einzige Chance ist, dass sich die Bewegung langsam totläuft. Das macht derzeit nicht den Anschein.

Wenig ausgeglichen

Frankreichs Präsident hatte gewiss auch Pech: Seinen ersten Pensionsvorstoß musste er in seiner ersten Amtszeit wegen der Covid-Krise abblasen. Unverständlich bleibt, warum Macron diese Reform, die auf einem gerechteren Punktesystem basierte, so zusammenstrich, dass zum Schluss nur noch das Pensionsalter 64 übrigblieb. Es ist wenig ausgeglichen, trifft es doch die Früheinsteiger und Frauen härter als die anderen.

Heute rächt sich, dass Macron in seiner Selbstverliebtheit seit seiner ersten Wahl 2017 darauf verzichtet hatte, erstens eine starke Partei mit starken Köpfen aufzubauen und zweitens die Sozialpartner in seine Reißbrettprojekte einzubeziehen. Folglich steht der König reichlich nackt da. Die Präsidialverfassung der Fünften Republik schützt zwar den Staatschef: Er kann sich über das Parlament hinwegsetzen und ein Gesetz ohne die Nationalversammlung verabschieden, sofern er seine Regierung – nicht sich selbst! – einer Misstrauensabstimmung ausliefert. Diese hat Macron mit neun Stimmen gewonnen. Über die Klinge wäre ohnehin nicht er gesprungen, sondern seine Premierministerin Elisabeth Borne.

Wenig Verständnis

Dieses politische Kuriosum, das auf Charles de Gaulle zurückgeht und in parlamentarischen Demokratien Kopfschütteln auslöst, wird auch in Frankreich immer weniger verstanden. Denn die Zielscheibe der Proteste ist eben nicht die "première ministre" Borne, sondern der Urheber der Reform, also "le président" selbst. Seine Demission ist in der Verfassung nirgends vorgesehen.

Macrons Zukunft ist dennoch düster. Seine Regierung hat die Misstrauensabstimmung am Montag knapp überstanden. Und vielleicht vermag Macron seine Reform sogar in Kraft zu setzen. Selbst in diesem Fall wäre er aber politisch angeschlagen. Wie er die vier Jahre bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen überstehen und ausfüllen soll, bleibt schleierhaft. Däumchen drehen ist nicht Macrons Ding; doch für wirkliche Reformen in Schlüsselbereichen wie Finanzen, Klima, Energie oder Steuern hätte er kaum mehr die Kraft.

Instabiler Partner

Unabhängig von jeder Pensionsreform drängt sich deshalb der Schluss auf, dass Frankreich für die EU-Partner in den nächsten Jahren ein schwacher, instabiler Partner sein dürfte. Das gibt Anlass zur Sorge in Zeiten, in denen das Umfeld schon bedrohlich genug ist und beherzte deutsch-französische Initiativen gefragt wären. Macron wird weiterhin viel Aktivismus und künstliche Energie an den Tag legen. Wirkliche Kraft hat der rührige Präsident aber schon heute nicht mehr.

Andere Parteien und Politiker werden in Paris in die Bresche springen. Vor allem eine Politikerin namens Marine Le Pen. Macron hat sich immer als Bollwerk gegen die Frau von rechts außen verstanden. Wird er zuletzt noch unfreiwillig zu ihrem Förderer? (Stefan Brändle aus Paris, 23.3.2023)