Detailaufnahme aus einem Hand-Transportbehältnis für Porzellan aus der Zwischenkriegszeit – mit Abbildung "Thames Coach 1913" am Boden und Querverweis auf das National Motor Museum in Beaulieu nahe Southampton.
Foto: Andreas Stockinger

Porzellan und Mobilität – das sind zwei Begriffe, die scheinbar im ewigen Gegensatz stehen. Der Mobilitätstest für Porzellan kommt aber in jeder Familie vor: Geschirr auf dem Tisch, eine unvorsichtige Bewegung, schon liegt das gute Stück in Bruchteilen von Sekunden in Scherbenform am Boden.

Chinesisches Porzellan mit Pfeffer – geborgen aus der 1976 wiederentdeckten und gehobenen Witte Leeuw, einem im 17. Jahrhundert gesunkenen Handelsschiff der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Das Porzellan-Tässchen ist knapp fünf Zentimeter hoch.
Foto: Rijksmuseum Amsterdam

Diese familiären Unglücksfälle sind aber heute nicht unser Thema. Über 300 Jahre Geschichte der Porzellanmanufaktur Augarten in Wien zeigen ein Spiegelbild österreichischer Vergangenheit mit ihren vielen Höhen und Tiefen. Begonnen hat alles 1718, auf 25 Jahre wurde die Manufaktur vom Kaiser persönlich privilegiert, aber die ersten Jahre sollten eher unter dem Kapitel Kriminalfall in die Historie eingehen. Denn um das Wissen der rund acht Jahre älteren Manufaktur Meißen bei Dresden an die Donau zu locken, wurden dort ansässige Experten, vor allem Könner für Porzellanmalerei, mit Bestechungsgeldern und tollen Versprechungen geheim abgeworben, so wie es in unseren Tagen in der Welt des Profifußballs üblich zu sein scheint.

Farbmusterkästchen der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur Wien.
Foto: Porzellanmuseum im Augarten / Bettina Fischer

Ein Vierteljahrhundert lang hatte das Privileg Gültigkeit, dann übernahm Regentin Maria Theresia, kunstsinnig, musisch begabt, die Manufaktur in ihren Privatbesitz, sprich in das Eigentum des Hauses Habsburg. In all diesen Jahren war mit der Manufaktur kein Geld zu verdienen. Hoch talentierte Künstler schufen zwar prachtvolle Meisterwerke der Porzellankunst für die Welt der Reichen und Schönen, doch unterm Strich stand ein Minus.

1867 entschied Kaiser Franz Joseph, schon immer mehr der Uniform als schön gedeckten Tafeln zugetan, den defizitären Betrieb zu schließen. Erst 1923, knapp nach dem Ersten Weltkrieg, besann sich das kleine Österreich, diesen über Jahrzehnte eingemotteten Schatz wieder zu heben, eingedenk der hohen kulturellen Tradition des Landes und als eines der wenigen verfügbaren Assets. Bis heute zählt die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten, inzwischen durch die Hände mehrerer Eigentümer gegangen, zu den Stars am Wiener Kultur- und Kunsthandwerksfirmament, jetzt ist sie in einem sicheren finanziellen Hafen angedockt.

Die Figur mit Holztrage – im Volksmund: Buckelkraxn – zeigt anschaulich, wie man sich den Transport der Büste Maria Theresias von Wien nach Paris zu ihrer Tochter Marie-Antoinette vorstellen kann. Die beiden Boten bewältigten die Strecke zu Fuß!
Foto: MAK (Museum für Angewandte Kunst, Wien)

Wir wollen hier aber eine Brücke vom Thema Porzellan zu der Mobilität dieses zerbrechlichen Produktes bauen: Wie wurde es befördert? Im achtzehnten Jahrhundert gehörten Porzellanmanufakturen für die europäischen Herrscherhäuser zum Prestige. Meißen in Sachsen, Wien, Berlin, Paris, London, St. Petersburg wetteiferten darin, den Königshäusern, aber vor allem den Adel mit repräsentativen Geschirren zu bedienen.

Die Tradition schrieb vor, dass man nach finsteren Wintertagen im Stadtpalais den Sommer auf dem Landsitz oder im Jagdschloss verbrachte. Kolonnen von Pferdekutschen setzten sich dann in Bewegung, und in maßgeschneiderten Kisten, stoßsicher eingebettet in Stroh und Watte, damit jedes Stück bruchsicher sein Ziel erreichte, wurden Unmengen von Geschirr mitgeschleppt.

Vom Zustand der damaligen "Straßen und Wege" kann man sich kaum eine Vorstellung machen, "offroad" vor rund 250 Jahren war kein Honiglecken. Auch Reisende führten eigene Geschirrkisten mit, wie Kaiser Joseph II., als Graf Falkenstein inkognito unterwegs, mit kleiner Entourage. Reisende Künstler wie Wolfgang Amadeus Mozart und Schwester, Franz Liszt oder Joseph Haydn vertrauten nur eigener Essausrüstung, nicht zu vergessen die kleine Klaviertastatur für die Fingerübungen.

Ein wahres Schatzkästchen: Vergoldetes Reiseservice für eine Person im originalen Koffer aus der Zeit um 1819, im originalen Koffer, gepolstert mit Baumwollbällchen und Seide.
Foto: Porzellanmuseum im Augarten / Bettina Fischer

In der Manufaktur Augarten wird als Schatz ein kleiner Reisekoffer mit vergoldetem Geschirrset für eine Person gehütet. Der Tragekoffer, außen Leder, innen mit Seide ausgelegt, Wattestroh in den Zwischenräumen, alles nach Maß geschneidert: ein unverkäuflicher Schatz, Schätzwert rund 15.000 Euro.

Wenn Mitglieder des Kaiserhauses das Land für immer verließen, dann reiste, wohl verpackt in Kisten, ein komplettes Set Wiener Porzellan mit. Per Schiff etwa mit Erzherzogin Leopoldine nach Brasilien, um den dortigen Kaiser zu heiraten, auf dem Landweg 1809 für Erzherzogin Marie Louise als Braut von Kaiser Napoleon.

Bestellt und nicht bezahlt

Apropos großer Korse: Als Besatzer im Schloss Schönbrunn 1805, nach dem Sieg in Austerlitz, bestellte er 300 Teller bei der österreichischen Manufaktur, die Bezahlung scheiterte wohl am Kleingeldmangel oder der fehlenden Kreditkarte.

Der Schiffstransport auf der Donau galt lange Zeit als bruchsicherer Verkehrsweg für Porzellan aus Wien. Daraus erklärt sich, dass der Firmensitz der Manufaktur sich viele Jahre lang am Alsergrund befand, unmittelbar am Ufer des an der Oberfläche fließenden Alserbachs. Warum wohl? Nun, der große Bach mündete in die Donau, die fest verpackte Ware konnte vor dem Haus auf Schiffe verladen werden. Aus Passau kam auch auf dem Wasserweg die wichtige Tonerde Kaolin, der Grundstoff für die Porzellanfertigung, seltene Erden waren also schon damals ein Thema.

Die Donau flussab in Sicherheit gebracht

Als sich die Franzosen 1809 Wien näherten, nach den Schlachten bei Aspern und Wagram, um neuerlich als Besatzer aufzutreten, ging ihnen der schlechte Ruf als Plünderer und Zerstörer voraus. Die wertvollsten Porzellanschätze fuhren rechtzeitig mit zwei Schiffen nach Ofen in Ungarn, die Grande Nation leerte dann in Wien Palais und Sammlungen, noch heute befinden sich in französischen Provinzmuseen Kunstwerke aus Wien.

Verpackungsbeispiel aus der frühen Augarten-Ära, aus den 1920er-Jahren: Dicker Karton soll die kostbare Fracht schützen.
Foto: Porzellanmuseum im Augarten

Schiffe und Kutschen waren die klassischen Transportmittel der damaligen Zeit. Doch in den Bergregionen hatte sich die Zunft der Buttenträger etabliert, starke Alpenbewohner trugen in großen Körben am Rücken, Butten genannt, zerbrechliche Ware über die Alpen. Die "Erfinder" dieses Transportgewerbes hatten ihr Zuhause in Venedig, es galt, Gläser aus Murano ohne Bruch nach Norden Richtung Österreich zu tragen. Was mit Glas funktionierte, wurde auch auf Porzellan übertragen, auf dem Rückweg nach Italien wanderte Wiener Porzellan, in Schmalz eingebettet, Richtung Süden.

Einmalig in der Geschichte rund um Mobilität von Porzellan steht der Bericht über den Transport der lebensgroßen Büste Maria Theresias von Wien nach Paris da, immerhin über zwei Kilo schwer, als Geschenk an ihre Tochter Marie Antoinette.

1770 machte sich zwei kräftige Männer, die Büste am Rücken in einer Holzkiste, von Wien aus auf den Fußweg Richtung Paris. Nach heutiger Messung rund 1200 km, damals eine Wanderung durch eine Mischung aus Urwald, von Räubern und Wegelagerern beherrschten Straßen, ohne Schutz bei jedem Wetter, teilweise durch feindliches Ausland.

Das Wunder: Der österreichische Gesandte am Hof zu Versailles konnte laut historischen Berichten die Büste unbeschädigt der Königin übergeben, wie lange die Männer unterwegs waren und ob/wie sie nach Wien zurückkamen, ist nicht überliefert.

Aber auch sonst ist das Geschichtsbuch der Manufaktur Augarten reich an Episoden. Etwa die: Der russische Zarewitsch Paul, der spätere Zar Paul I., bestellte 1786 ein großes Tafelservice, mit Militäreskorte ging die Lieferung nach St. Petersburg.

Aus der selben Zeit stammt die eben wiederentdeckte Fotografie. Das Augarten-Porzellan wird behutsam mit Holzwolle, Holzkisten und Seidenpapier bruchsicher verpackt und reisefertig gemacht.
Foto: Wiener Porzellanmanufaktur Augarten, Archiv

Diplomatisches Geschenk an Russland

"Das 659 Teile umfassende große Speise- und Dessertservice wurde nach Pauls Besuch 1782 in Wien als diplomatisches Geschenk für den Gast im Jahr 1785 bestellt und dem österreichischen Botschafter Graf Kobenzl im Juli 1786 nach Sankt Petersburg geschickt. Die Kosten beliefen sich auf 9887 Gulden, davon 72 Gulden ,Einpack- und Emballierungs-Spesen‘ für zwölf Kisten", berichtet Claudia Lehner-Jobst, wissenschaftliche Direktorin und Sammlungskuratorin vom Porzellanmuseum im Augarten. Man wisse leider nicht, "wie diese Kisten genau ausgesehen haben, aber sicherlich repräsentative Holzkisten mit Lederbezug und mit Seide ausgefüttert, zusätzlich wohl noch in grobe Holzkisten eingepackt und dadurch geschützt".

Andere Episode: Die brutalen Türkenkriege hatten furchtbare Spuren hinterlassen, doch nach dem Frieden von Belgrad 1739 durften die Osmanen viel Beutegut behalten. Die Hohe Pforte in Konstantinopel bestellte trotzdem eintausend Mokkatassen, sie schipperten auf dem Wasserweg die Donau hinunter. Mozart komponierte später die Sonate alla turca und Die Entführung aus dem Serail, "türkisch" war plötzlich in.

Nach dem Sieg Wellingtons bei Waterloo ehrten alle europäischen Porzellanmanufakturen, auch Wien, den englischen Feldherren mit einem 500-teiligen Service, es ist heute noch im Apsley-House in London zu besichtigen.

Edle Botschafter auf See

Augarten-Porzellan gibt es heute auch zur See. Nachdem praktisch alle wichtigen historischen Dekors nachgebrannt werden können – etwa 2500 Varianten befinden sich im Bestand –, schwimmen sie als nobles Geschirr auf Jachten wohlhabender Kunden aus USA, Großbritannien, Taiwan oder Japan, Russland sei unerwähnt, rund um die Welt. Als edle Botschafter auf den wichtigsten Exportmärkten. (Peter Urbanek, 8.4.2023)