Den zwei Herren im Hintergrund möchte man am liebsten zurufen: Geht doch einfach nach Hause, das geht sonst nicht gut aus!

Foto: Murray Close/Lionsgate via AP

John Wick ist ein Hundemensch. Das wissen wir, seit er in seinem ersten Auftritt fürchterliche Rache an den Killern seines Welpen nimmt. Eine minimalistische Prämisse für einen Antihelden, der recht singulär im zeitgenössischen Mainstream-Kino ist. Seit dem ersten Film 2014 entwickelte sich John Wick zusammen mit Darsteller Keanu Reeves zu einer Kultfigur, die ideal in den nihilistisch-ironischen Zeitgeist passt – und nebenbei neue Actionmaßstäbe setzt.

Fokus aufs Wesentliche

Diese Woche kommt nun John Wick: Kapitel 4 in die Kinos, mit fast zweijähriger Pandemie-Verspätung, gegen die nicht einmal John Wick ankämpfen konnte. Der bisher opulenteste Teil der Reihe dehnt die simple Geschichte auf knapp drei Stunden aus – und funktioniert trotzdem. Das liegt daran, dass sich Regisseur Chad Stahelski als Ex-Stuntman erneut auf das Wesentliche fokussiert: die Kinetik der Kampfszenen. Alles andere wird angedeutet oder bleibt überhaupt ungesagt. Es geht schlicht um "Konsequenzen", wie One-Liner verraten. Dieser Mainstream-Minimalismus ist ungewöhnlich in Zeiten von bedeutungsschwangeren Epen und Superhelden, die nur allzu gern große Reden schwingen.

KinoCheck

Er will doch nur seine Ruhe haben...

John Wick ist kein Superheld mit der Mission die Welt zu retten. Er ist nur ein Auftragskiller im Ruhestand, der seinen Frieden will. Aber er ist eine Legende, schon bevor er überhaupt loslegt. John Wick ist John Wick – und trotz Maßanzug eben grade nicht Bond, James Bond. Eine dreiste Behauptung, die er mit so einigen Antihelden der Kinogeschichte gemeinsam hat. Drehbuchautor Derek Kolstad schrieb die Figur ohne Vorlage – weder Comic noch Videospiel standen Pate – , er ließ sich aber vom Film Noir und Italo-Western inspirieren. Das macht Wick zum konsequentesten Actionhelden diesseits von Alain Delons Samouraï und Jean-Louis Trintignants Silenzio.

Die Schweigsamkeit kommt auch seinem Darsteller Keanu Reeves entgegen, umgeben von einem großartigen Ensemble. Nicht gerade für seine emotionale Bandbreite als Schauspieler bekannt, bringt der hawaiianische Kanadier neben vorzüglichen Kampfskills das Understatement und die Coolness aus seiner Filmografie mit. Nicht zu unterschätzen für den Erfolg der Reihe: Keanu und John sind perfektes Meme-Material und liefern auch gleich ihre eigene Parodie mit. Die naive Ernsthaftigkeit seiner Matrix-Figur Neo bricht bei John Wick ebenso wie in seiner Rolle als Johnny Silverhand im Videospiel Cyberpunk 2077. Dort spielte Keanu Reeves einen antikapitalistischen Rockstar, ein eigentlich schon von der Bildfläche verschwundener Wiedergänger, ähnlich seiner Wick-Figur.

Eines von vielen John Wick Memes ...
Foto: Memecenter

In Kapitel 4 ist der fast schon wienerische "Lass mich in Ruhe"-Spirit des Killerpensionisten besonders zu spüren. Auch wenn es für uns so inszeniert ist: auf’s Kämpfen hat er eigentlich gar keine Lust, nicht einmal auf das Leben. Er ist ein Aussteiger und trauernder Witwer. Töten ist für ihn ein effizientes Handwerk, die Martial-Arts-Eleganz verbindet sich mit dem Tötungswillen seines Verteidigungskampfs. Die Ästhetisierung der Gewalt erfolgt dabei nicht übertrieben blutig oder sadistisch.

Stunts wie Musical-Nummern

Irgendwann in der Mitte des vierten Teils prügelt er sich durch den Berghain-artigen Berliner Nachtclub Himmel und Hölle, eine der besten Sequenzen des Films samt Cameo-Auftritt von Berghain-Türsteher Sven Marquardt und Martial-Arts-Star Scott Adkins im Fat-Suit. Wo der unkaputtbare Killer im Todesfall landet, ist ihm aber eigentlich egal. Wie der perfekte Samurai lebt er mit dem Tod. Die Kämpfe sind ein immer wieder neuer, letzter Totentanz. Kein Ballett der Gewalt, eher ein Technotango. Schlagkräftig choreografiert, stehen sie in der Tradition des "Gun Fu", das einst John Woo nach Hollywood brachte. Die Stunts werden zelebriert wie Musical-Nummern. Hier geht' es um die Bewegung an sich. Herz der Filme ist eine Kinetik des Kampfes, die die Essenz des Bewegtbildes berührt wie sonst vielleicht nur eine Slapstick-Komödie.

Die – leider recht männerlastige – John-Wick-Reihe ist handwerklich perfektes Actionkino, das die zynische Ermüdung seiner Motivation und die Ironie der Coolness schon eingepreist hat. Vielleicht darf der schweigsame Rächer nach John Wick: Kapitel 4 endlich eine Pause machen und die anstrengende Tötungsarbeit Ana de Armas im anstehenden Spin-Off Ballerina überlassen. Verdient hätte er sich’s. (Marian Wilhelm, 23.3.2023)