Die meiste Zeit des Tages verbringt Lena Grabher von Lena Kris Jewellery an einem großen, auffällig geschwungenen Goldschmiedetisch. Auf dem Möbelstück liegen Ringe und Edelsteine neben allerlei Gerätschaften. In erster Linie sieht sie sich als Handwerkerin und Künstlerin, dann erst als Unternehmerin. "Für kleine Labels wie mich ist es nicht so leicht, am Markt zu bestehen. Von der Buchhaltung bis zur Fertigung bin ich alleine für alles zuständig. Das ist manchmal sehr fordernd", erzählt die Goldschmiedin. Um ihre Kreationen zu vermarkten, nützt sie Social Media.

Lena Grabher in ihrem Wiener Atelier.
Foto: Elena Sterlini

Die Notwendigkeit von Social Media

Einige der Instagram-Beiträge von Lena Kris Jewellery wirken beinahe wie Stillleben. Eine rote Birne liegt auf einem festen Leinenstoff, ein Ring ist am Stängel drapiert. Das Licht fällt weich auf das runde Obst. Auf einer anderen Aufnahme befindet sich der silberne Ohrstecker in einer Auster. Man merkt: Die Bilder sind von der künstlerischen Vorstellung der Goldschmiedin geprägt. Für kleinere Schmuckunternehmen ist es heute eine Selbstverständlichkeit, sich selbst um den Auftritt in den sozialen Netzwerken zu kümmern. Die eigenen Kreationen werden inszeniert, mit langweiligen Produktfotos lässt sich die Community nicht abspeisen. Um die Kundinnen und Kunden in den Entstehungsprozess einzubinden, veröffentlichen viele Labels Videos mit Einblicken hinter die Kulissen. Bei Epic Jewelry sieht man Models in der Maske, Kleidungsstücke werden zurechtgezupft, und ein Fotograf knipst routiniert, während eine junge Frau mit Glitzeroutfit und Tattoos in die Kamera blickt.

Plattformen wie Instagram ermöglichen eine größere Reichweite und stärken das Image einer Marke. "Social Media bietet einerseits tolle Chancen, andererseits ist es schwierig, sichtbar zu bleiben. Vor allem, wenn man kein großes Werbebudget zur Verfügung hat", erklärt Andrea Ostertag, die Geschäftsführerin von Epic Jewelry. Sie wünscht sich, dass das für kleine Labels leichter wird.

Wie wichtig der Auftritt in den sozialen Netzwerken ist, weiß auch Rana Aktas von Boops Jewelry. Der Name der Marke setzt sich aus "basic" und "hoops", also Kreolen, zusammen. Aktas verkauft goldene Schmuckbasics mit zeitlosem Design. Ihr Instagram-Feed soll durch ästhetische Aufnahmen die Zielgruppe ansprechen und zu ihrem Unternehmen passen. Auf ihren Bildern sind auch Models mit Kopftuch zu sehen, Diversität liegt ihr am Herzen. Bei den Inhalten auf Tiktok hilft die jüngere Schwester. Dafür sei sie selbst nämlich fast zu alt, stellt die Schmuckdesignerin lachend fest. Aktuell folgen dem Label rund 4.000 Menschen auf Instagram. Das sei überschaubar, dennoch werden viele Leute durch die Plattform auf sie aufmerksam.

Nischengründung

Aktas kennt die Schwierigkeiten, mit denen kleine Schmucklabels konfrontiert sind. Sie gründete Boops Jewelry zu Lockdown-Zeiten. "Damit das Angebot leistbar bleibt, habe ich nur kleine Margen. An manchen Tagen denke ich schon über das Aufhören nach", erklärt sie. Am Ende sei die Leidenschaft für ihr Arbeit doch zu groß, diese Gedanken verfliegen deswegen schnell. Die Unternehmensgründung erfolgte aus einer Not heraus: Aktas fand in Wien keinen leistbaren Echtschmuck aus Gold. Sie hat türkische Wurzeln und kannte einen Goldschmied in der Türkei. Während der Pandemie ließ sie sich von ihm ihren eigenen Schmuck anfertigen und per Post schicken. Bald darauf wurde das Unternehmen mit ihren Designs gegründet. Goldketten verkauft sie im Schnitt um 250 bis 400 Euro. Das ist günstiger als bei vielen anderen Juwelieren. Die Nachfrage ist da, mittlerweile greift Aktas eine zweite Person stundenweise bei der Arbeit unter die Arme.

Ähnlich erging es Andrea Ostertag vom Label Epic Jewelry. Sie lernte durch einen ehemaligen Partner einen Silberschmied auf Bali kennen. Als sie das Unternehmen 2010 gründete, war sie in der Surf- und Snowboardszene unterwegs und fuhr mit dem BMX-Rad durch die Gegend. Den gängigen Schmuck fand sie "zu kitschig und mädchenhaft". Also entwarf sie kurzerhand ihre eigenen Designs, die ohne Schnörkel oder Bling-Bling auskommen. Stattdessen denkt man beim Surfer-Chic des Schmucks an Sommer und Urlaub. Die Formen sind organisch, die Farben erinnern ans Meer.

Die strukturierte Oberfläche einiger Stücke soll eine bewegte Wasseroberfläche darstellen. Auf Social Media zieren die Schmuckstücke tätowierte Frauenarme. Ihre Arbeit sei individueller als bei großen Anbietern, das sieht Ostertag als klaren Vorteil. Sie ergänzt: "Wenn mir Leute sagen, dass sie meine Stücke am Look erkennen, dann ist das ein schönes Feedback." Auch sie wird mittlerweile von einem "Helferlein" unterstützt. Der Preis der meisten Halsketten liegt zwischen 60 und 150 Euro. Der günstigste Ring kostet 20 Euro, der teuerste aus 14 Karat Gold und sieben Diamanten kommt auf 490 Euro. Ein Familienbetrieb in Bali und eine Wiener Goldschmiede fertigen den Schmuck nach Ostertags Entwürfen an.

Zweites Standbein

In ihrem Atelier hat es sich Lena Grabher am großen Goldschmiedetisch bequem gemacht. Neben den Ringen und Edelsteinen liegt die Auftragsarbeit einer Kundin vor ihr. Das Design des goldenen Anhängers war davor gemeinsam in Gesprächen festgelegt worden. Dabei redeten sie auch über die persönliche Verbindung zum Schmuckstück. "Mich erfüllen besonders die Geschichten meiner Kundinnen und Kunden. Dieser Austausch ist im kleinen Rahmen möglich, bei großen Marken klappt das nicht", berichtet die Goldschmiedin. Der Preis für Spezialanfertigungen wird je nach Aufwand und verbrauchtem Material berechnet. Unter den Bestellungen sind in letzter Zeit regelmäßig Eheringe, viele davon für Hochzeiten im eigenen Freundeskreis. "Ich bin offenbar in dem Alter, in dem alle heiraten", scherzt die Schmuckdesignerin. Auch ihre eigenen Kollektionen verkauft Grabher in ihrem Atelier. In ihrer "Collection of Fragments" kostet der günstigste Ring 90 Euro. Als Inspiration diente die Textur von Bettlaken, die sich um den Körper wickeln. Das teuerste Stück ist die Halskette "Roots Necklace" um 750 Euro. Der Schmuck wird aus recycelten Materialien hergestellt. Um ihre Bekanntheit zu steigern, verleiht die Goldschmiedin ihren Schmuck für Fotoshootings oder kooperiert mit Influencerinnen und Influencern. Auch Conchita Wurst wurde schon mit Ohrringen von Grabher abgelichtet.

Weil ihr die Arbeit mit Menschen so gut gefällt und sie sich ein zweites Standbein aufbauen möchte, bietet Grabher seit einiger Zeit Workshops an. Aufgezogen hat sie die Schmuckseminare mit Lisa-Marie Zuna-Kratky von Wiener Glanz, die beiden teilen sich das kleine Studio in der Leopoldstadt. Zusammen mit den Teilnehmenden formen sie in den Einheiten von ungefähr vier Stunden Ringe aus Drahtwachs. Vorerfahrung ist dafür keine notwendig. Die Wachsmodelle bleiben im Atelier. Dort werden die individuellen Werke gegossen und können zwei bis drei Wochen später abgeholt werden. Das selbst gefertigte Schmuckstück bleibt dann für immer ein Unikat. (Elena Sterlini, 1.4.2023)