Die drei Musikfanatiker des Wiener Obskurantenlabels Edition Hawara in der Missionarsstellung – am Plattenspieler. Fabio Wolkenstein, Jonny Nemetz und Julian Horn (von links).

Foto: Patrick Wollner

Es dauert nicht lange, und es fällt jenes Wort, das kommen musste: nerdig. "Total", sagt Jonny Nemetz und trägt die Zuschreibung wie einen Orden. Eben hat er erzählt, wie er in Japan in winzigen Bars mit seinen Freunden Platten aufgelegt hat. Obskure heimische Popmusik aus den 1970ern und 1980ern, oft mit einer Affinität zu Soul, Funk und Synthesizern. Im Publikum 20 andere Nerds, die ergeben lauschen. "Da wird man relativ schnell verlegen, weil die tatsächlich fast alles kennen." Veröffentlichungen österreichischer Kleinstlabels oder gar private Pressungen. In Covern, wie man sie aus den Mistkisten von Flohmärkten kennt.

Nicht selten finden Nemetz, Julian Horn und Fabio Wolkenstein dort ihre Schätze. Die drei Wiener stammen aus der Wiener Club-Szene, in der sie als Deephouse Mafia einschlägig bekannt waren – bis das Leben insofern zuschlug, als dass Schlaf zum nicht zu unterschätzenden Gut aufgewertet wurde und das Studium sich einfach nicht mehr verlängern ließ.

Discus Throwers

Doch der Musikfanatismus hat die drei – zwei Unternehmer und einen Uniprofessor – nicht losgelassen. Alle sind sie "digger", wie man Goldsucher nennt. Nur dass ihre Nuggets rund und schwarz sind. Horn begann seine Funde auf Youtube hochzuladen. Einer davon war der Song Waitin’ der Jazzrock- und Funk-Band Zenit von deren 1983 erschienenem Album Straight Ahead. Die Zugriffe schraubten sich in Millionenhöhe, da fassten die drei einen Plan. Offenbar gab es ein Publikum für derlei Schätze, warum sie nicht neu auflegen? Die Edition Hawara war geboren.

Trash und Charme

Die Edition Hawara ist ein Nischenlabel unter den Nischenlabels. Nicht als Gelddruckmaschine gedacht, verfolgt es einen missionarischen Zweck, der zumindest die Ausgaben deckt. Das Album von Zenit wollten etliche andere Labels ebenfalls neu auflegen, doch keines die Verwertungsgesellschaft Austro Mechana bezahlen. Die Hawara schon, sie erhielten den Zuschlag.

Zenit - Topic

Doch nicht immer läuft es so rund. Oft ist es schwierig, die betreffenden Leute überhaupt zu finden. "Man sucht da in einer Generation, in der soziale Medien eher uninteressant sind", sagt Nemetz. Selbst wenn er einen Kontakt herstellen kann, bedeutet das nicht gleich offene Türen. Manche haben mit dieser Phase ihres Lebens abgeschlossen. "Oft war es wahrscheinlich auch eine Zeit der Enttäuschung."

Ein Plattenspieler als Währung

An die 30 Mal ist ihm das passiert. Manchmal sei es echt bitter gewesen, etwa bei einem Album von Bernie L., einem Linzer Tontechniker, der 1984 die LP Ende der Eiszeit veröffentlicht hatte. Trotz direkten Kontakts kam es zu keiner Wiederveröffentlichung. Ein anderes Mal erhielt Nemetz die Rechte im Tausch für einen neuen Plattenspieler. Die Leute von Zenit freuten sich wiederum über die späte Anerkennung – in Japan wurde ihr Album gar vom Label P-Vine neu aufgelegt.

Die Ausrichtung von Hawara bestimmen zum Teil die Veröffentlichungen selbst. Vieles hat einen gewissen Trashfaktor, was zugleich den speziellen Charme der Musik ausmacht. "Oft wollten die Musiker ja gar nicht Funk oder Reggae produzieren, sondern einfach Pop. Aber das ist halt dabei herausgekommen", sagt Nemetz.

Various Artists - Topic

Wie die Single San Francisco Night von Chris, der auf dem Cover breitbeinig auf der Motorhaube eines Angeberautos posiert. Oder die Dorfdisco-Machos von Magic Sound mit ihrer Single I Like That. Warum da einer auf dem Cover ein Gewehr im Anschlag hält, weiß niemand. Beide Singles erzielen im Original Sammlerpreise, bei Hawara sind sie regulär via Homepage oder der Plattform Bandcamp erhältlich.

"Ein schönes Déjà-vu"

Robert Ponger hat sich zuerst gewundert und dann gefreut. Auch bei ihm wurden die Hawara vorstellig, um sein titelloses Disco-Funk-Debütalbum aus 1979 neu aufzulegen. "Das kam unerwartet, war aber ein schönes Déjà-vu, dass sich da jemand für etwas interessiert, an das man selbst kaum mehr denkt", erzählt der spätere Falco-Produzent.

Various Artists - Topic

Ein besonders obskures Werk im Hawara-Katalog ist der Sampler Youngsters of Vienna, eine Sammlung von Teilnehmern eines Bandwettbewerbs aus 1984, der nur in privater Kleinauflage veröffentlicht wurde. "Ein heiliger Gral des heimischen Undergrounds", wie Nemetz diese Kompilation nennt.

Zwei Songs davon hat er in der Editon Hawara als Single veröffentlicht. Kleine Segelschiffe ist ein Reggae-New-Wave-Verschnitt von Prinz & Prinz, der verdächtig nach dem Lied Offshore Banking Business der britischen Band The Members klingt – aber eben um genau jenen Trashfaktor reicher, bei dem man bei der Edition Hawara die Ohren spitzt. (Karl Fluch, 28.3.2023)