Immer in Bewegung – Sisi (Susanne Wolff) verlangt ihrer Hofdame Irma (Sandra Hüller) einiges ab.

Foto: Bernd Spauke/Walker+Worm Film GmbH

Vorsicht, Sisi blufft nur – lesbisch ist sie nicht (im Gegensatz zu Irma, mittig)

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Dass in letzter Zeit im deutschsprachigen Raum sage und schreibe drei Sisi-Produktionen zeitgleich in Produktion waren, hat offenbar niemand gewusst. Im September kam die Netflix-Serie Die Kaiserin und zeigte eine junge, schwer zähmbare Sisi. Marie Kreutzers Corsage startete letzten Sommer in den Kinos, und nun ist Frauke Finsterwalders Sisi & Ich an der Reihe. Mit einem Jahr Verspätung, so munkelt man, um die Berlinale-Premiere im Februar mitzunehmen und die Doppelung mit Corsage zu vermeiden.

Marie Kreutzer fing mit Corsage den Wurm des frühen Vogels. Premiere in Cannes, frischer, popfeministisch angehauchter Sisi-Hype, Oscar-Nominierung. Der schöne Erfolg wurde erst im Jänner vom Kaiser-Darsteller Florian Teichtmeister überschattet. Vicky Krieps spielt in Corsage eine Kaiserin Mitte vierzig, die versucht, sich ganz und gar dem Hofzeremoniell zu entziehen. Krieps’ Sisi ist eine launische Bohemienne, die ihre ultraschlanke Linie streng im Blick behält, mit dem Kaiser eine distanzierte, aber liebevolle Beziehung führt und doch immer auf der Flucht ist. Am Ende scheint es ihr dann zu gelingen: Auf dem Weg nach Korfu springt Sisi vom Schiff, hinein in den blauen Ozean zu zarter Popmusik. Eine Befreiung, zumindest im Bild.

Susanne Wolffs Sisi übt sich in dekadenter Langeweile mit Schwager Viktor (Georg Friedrich)
Foto: Bernd Spauke / Walker+Worm

Ebenda, auf Korfu, schließt nun Frauke Finsterwalders Sisi & Ich an. Beide Filme folgen nicht nur chronologisch aufeinander, sondern weisen auch erstaunliche Ähnlichkeiten in Ästhetik, Figurenzeichnung und Stil auf. Hier wie da ist eine nicht mehr junge, anstrengend eitle, aber charismatische Sisi in Szene gesetzt, umringt von dekadenten Freigeistern – Ludwig II. alias Manuel Rubey in Corsage, Kaiserbruder Viktor alias Georg Friedrich in Sisi & Ich –, die sie vergeblich bespaßen. Wirkliche Erfüllung finden beide Sisis nicht. Nicht in der ohnehin schon auf Eis gelegten Ehe, nicht im Sport, den Drogen, der Rebellion und auch nicht in Gesellschaft. Einzig das Reisen scheint die Sisis auszufüllen. Die echte ließ sich aus Liebe zum Meer einen Anker auf die Schulter tätowieren.

Die Hofdamen-Perspektive

Es gibt indes auch genug Unterschiede. Finsterwalder tut das, was man bei Kreutzer vermisst: Sie fokussiert auf Sisis Beziehungen zu ihren Hofdamen. Diese kamen immer aus Ungarn, waren teils jahrelang im Dienst der Kaiserin und mussten ihre Sperenzchen mitmachen. Exzessiv Sport treiben, stundenlange Wanderungen im Stechschritt, und auch Sisis karge Diät war an der Tagesordnung. So zumindest erzählt es Sisi & Ich, der nach dem Drehbuch der deutschen Regisseurin und ihres Mannes, des Schriftstellers Christian Kracht, aus der Perspektive der letzten Hofdame der Kaiserin, Irma Sztáray, erzählt.

Irma ist anfangs ganz ungehobelt: Mit Dreck unter den Nägeln und Pickel auf der Nase, wird sie von einer wunderbar komischen Sandra Hüller gespielt. Anfangs noch ein großes Kind, mit vierzig noch unter der Fuchtel der Mutter, wird die Zeit mit der Kaiserin für Irma eine kleine Befreiung. Obwohl ihrer Stellung ein Begutachtungsprozess vorausgeht, der eher an eine Viehschau erinnert. Denn auch Irma muss stark, fit genug sein, um die sportlichen Anstrengungen, die ihr von der Kaiserin aufgezwungen werden, zu ertragen. Irma erträgt’s stoisch, die Diät der Kaiserin tut ihr, nach einer hungrigen Anfangsphase, sogar gut.

DCM

So werden Sisi und Irma ein tolles Team, sie unternehmen Reisen, berauschen sich am Haschisch, baden im Meer, die Gesichter gebräunt, die Körper frei von Korsetts in fließende Gewänder gehüllt, die an frühe Coco-Chanel-Kreationen erinnern. Einfach frei sein, lautet das Credo. Und solange Sisi Irma wohlgesonnen ist, geht das auch gut. Doch das Gemüt der Kaiserin ist wankelmütig, und Irma verliebt sich in die Charismatikerin, was die Lage etwas erschwert und, trotz der tragikomischen Heiterkeit, auch an die unerträgliche Abhängigkeitsbeziehung erinnert, die Rainer Werner Fassbinder einst in Die bitteren Tränen der Petra von Kant in Szene setzte. Spätestens wenn beide gemeinsam ein "zu schweres" Essen auskotzen, wird das klar.

Der Instagram-Effekt?

Warum, so muss man sich fragen, ist (oder war) das Interesse an der alternden Sisi so groß? Blickt man auf ihren Schönheits- und Schlankheitswahn, dann zeigt sich das problematische Bild einer um sich selbst kreisenden Frau, die unglücklicherweise ungemein zeitgemäß wirkt (Stichwort: Gwyneth Paltrow). Eine Frau, die mit kargen "What I Eat in a Day"-Videos, mit Reise-Vlogs, abstrusen Schönheitsritualen und harten Fitnessroutinen in den sozialen Medien eine gigantische Followerzahl erreichen würde. Eine Frau, die ihre Kamerascheu definitiv überwunden hätte und charismatisch, schön und nicht zuletzt wahnsinnig privilegiert ein ungesundes Körperbild und weitgehende innere Leere nach Außen projizieren würde.
Was ist an dieser Frau interessant? Vielleicht nur der Blick, den andere auf sie hatten, haben und haben werden. (Valerie Dirk, 31.3.2023)