Violent Femmes live in den 1980ern. Ihr immergrünes Debütalbum wird dieser Tage 40 Jahre alt. Brian Ritchie (li.) Victor DeLorenzo an der Waschmaschine und Gordan Gano (re.).

Foto: Hardy Schiffler / Picture Alliance

Billie Jo Campbell war drei Jahre alt, als sie und ihre Mutter in Los Angeles angesprochen wurden, ob sie bereit wären, ein Fotoshooting für eine unbekannte Band zu machen. Hundert Dollar bekamen sie dafür — und Billie Jo einen Frust. Ihr wurde in Aussicht gestellt, dass sie süße Tiere sehen würde, wenn sie durch die Jalousien einer verwitterten Holztüre schauen würde. Das tat sie wieder und wieder. Aber Tierchen? Fehlanzeige.

Eines der mittels fieser Kindsverarsche entstandenen Fotos wurde zum berühmten Cover des Debütalbums der Violent Femmes, eines epochemachenden Werks. Vierzig Jahre ist dieser Meilenstein der Alternative Music alt, anlässlich des Record Store Day am 22. April erscheint er erstmals als Picture Disc.

Achterbahnfahrt am Xylofon

Die Enttäuschung des jungen Models fand in den Texten der Band ihre Fortsetzung. Sie behandeln die bescheidene Frustrationstoleranz adoleszenter Bewohner der Villa Samenstau. Ziehen in den Lenden wird in unkontrollierbare musikalische Ausbrüche übertragen, in akustische Achterbahnfahrten am Xylofon. Sexuelles Begehren übersetzt sich in gedehnte Noten, dazu ein Gesang, der das Elend beschreibt, weit entfernt vom ersehnten Höhepunkt zu sein.

Violent Femmes - Topic

Die Violent Femmes waren zuerst Brian Ritchie an der akustischen Bassgitarre und Victor DeLorenzo am Standschlagzeug. Gordon Gano, der Songschreiber, Gitarrist und Sänger, stieß später hinzu und vervollständigte das Trio. Akustischer Punk wurde ihre Musik eher hilflos genannt oder, treffender: Folk Punk. Eine radikale Version von Folk mit Unschärfen und Holprigkeiten, die einen Gutteil des Charmes ausmachen.

"Please, please, please ...!"

Die Bedeutung des Bandnamens liegt im Mysteriösen, impliziert aber auf männlicher Seite eine gewisse Waschlappigkeit. Und sobald Gano sein Stimmchen erhebt, ergibt das durchaus Sinn. Sein Tonfall ist quengelig, beleidigt, dabei offenherzig und direkt: "Please, please, please do not go / please, please, please it hurts me so."

Violent Femmes - Topic

Simple Reime aus den Tiefen von Herz und Hose. Alles dreht sich um Girls und wie man an sie rankommt, ohne sich zum Trottel zu machen. Ein aussichtsloses Unterfangen. "Beautiful girl, lovely dress / High school smiles, oh yes / Beautiful girl, lovely dress / Where she is now I can only guess."

Geständnisse und Versprechungen

Gano entstammt einem für diese Thematik perfekten Haushalt. Seine Eltern waren Schauspieler, doch sein Vater beschloss, Kirchenmann zu werden, ein Baptist. Lust plus religiöse Breitseite, die Gano ernster nahm, als es die Kritik sich damals vorstellte, münden in Zeugnisse menschlicher Irrungen: Confessions heißt ein Song, Promise ein anderer oder Good Feeling — eine Ballade über ein gutes Gefühl, das sich allzu schnell wieder verflüchtigt.

Die Femmes in der Frühzeit ihrer Karriere. Von links: DeLorenzo, Gano, Ritchie.
Foto: AP

Gano war noch ein Teenager, als er diese Songs schrieb. Sie erscheinen wie Geständnisse, gespielt in trotziger Eile, abgeliefert zwischen Beichtstuhl und Selbstbefleckung. Das ergibt eine prächtige Außenseitermusik, dargebracht mit dünnen Oberarmen, aber großer Klappe, die sich selbst Mut zuspricht: "They'll hurt me bad, but I won't mind."

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Das Album erschien am 13. April 1983 beim US-Label Slash Records — ein hipper Verlag unter dem Dach von Warner Records, das den weltweiten Vertrieb garantierte. Es schlug ein wie ein Furz im Wald. Zwar gilt es längst als Klassiker, doch es verbrachte keinen Tag seiner Existenz in den Top 200, sondern stets außerhalb dieser kommerziell bedeutsamen Wahrnehmungsgrenze. Die Musik war zu verwegen, um unbemerkt zu bleiben, zu verwegen, um im Mainstream erfolgreich zu sein.

Vier Millionen Mal verkauft

Dennoch hat sich das Album bis heute an die vier Millionen Mal verkauft, findet im Hollywoodkino Einsatz, Gnarls Barkley (mit dem Welthit Crazy) coverten Gone Daddy Gone, man hört die Femmes in Serien und der Werbung. Und das erstaunt durchaus, denn der Masturbationsklassiker Blister in the Sun erzählt – geflüstert bis hysterisch – von der Erkenntnis, dass dem Erzähler zur Befriedigung nur seine Hände blieben: "Big hands I know you’re the one." Zwar behauptete Gano später, diese Interpretation würde ihn wundern, doch das glaubt er selbst nicht, und die Deutungshoheit über den Song war ihm ohnehin längst entzogen worden.

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Die Kritik überschlug sich, die Band wurde berühmt, von Straßenmusikanten zum Headliner und ein Fixstern im College-Radio. Die anhaltende Begeisterung für das Album schreibt Ritchie der immergrünen Themensetzung sowie ihrer Umsetzung zu. Denn wo immer ein Heranwachsender von der Erfüllung seiner amourösen Fantasien träumt, die Violent Femmes stehen ihm zur Seite. Sie und seine Big Hands.

Nachtrag

Ein Jahr nach dem Überraschungserfolg ihres Debüts legte die Band mit Hallowed Ground nach. Das ist so etwas wie der reifere Zwilling des Erstlings, der zeigte, die Femmes sind keine Eintagsfliegen. Stilistisch erweiterte das Trio darauf sein Repertoire um Country, Gospel – und Maultrommel. Bis zum fünften Album Why Do Birds Sing? (1991) hielten sie mehr oder weniger das Niveau, wurden zu Säulen dessen, was bald als Alternative Music in den Mainstream sickerte.

Versuche, konventioneller zu werden, zeitigten konventionellere Ergebnisse: Alben wie New Times, Rock!!! oder Freak Magnet haben ihre Momente, sind aber zum Vergessen.

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2007 verklagte Ritchie Gano wegen der Aufteilung der Rechte an der VF-Musik. Zugleich war er davon angewidert, dass Gano zuließ, dass Blister in the Sun in einer Werbung der Fastfood-Kette Wendy's eingesetzt werden konnte. Die Band trennte sich 2009 im Streit, davor coverten sie noch Gnarls Barkleys Welthit Crazy – eine Art Revenge-Hommage.

2013 erfolgte eine unerwartete Reunion, die die Band auf die größten Festivalbühnen führte. Seither sind zwei neue Alben erschienen, das sehr gute We Can Do Anything und das mediokre Hotel Last Resort. (Karl Fluch, 3.4.2023)