Oft ist es für Kinder wichtig, sich in der Pause zurückziehen zu können.

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Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner,

bevor ich auf Wesentlicheres zu sprechen komme, erstmal ein kleiner etymologischer Exkurs. Das ursprünglich auf das griechische παυσις zurückgehende, aus dem Lateinischen und Altfranzösischen entlehnte Wort "Pause" (oder mittelhochdeutsch pūse, falls Ihnen das lieber ist) bedeutet "Rast" beziehungsweise "Ruhe" und steht für die Unterbrechung einer Tätigkeit. Die Schulpause ist somit einer Unterbrechung des Unterrichts gleichzusetzen.

Rückzugsort stilles Eck

Erinnern Sie sich noch an das Läuten der Glocke und an die kurze – meist nur fünfminütige – Freiheit, die sie versprach? Vielleicht – bloß eine Vorstellung – haben Sie sich in ein stilles Eck zurückgezogen und haben dort im Kreis Ihrer Freunde und Freundinnen über Ihren "blöden" Deutschlehrer mit seinem "blöden" Goethe gelästert? Und vielleicht – wieder bloß eine Vorstellung – hat es Sie dar über hinaus entspannt, einmal frei von der Leber weg über Ihre Sorgen und Ängste reden zu dürfen?

Dass an österreichischen Schulen Deutsch die Unterrichtssprache ist – klar! Aber halten Sie es darüber hinaus wirklich für notwendig, die wenigen Pausen, die Kindern und Jugendlichen im Laufe eines Schultags zur Verfügung stehen, mit einem Sprachverbot zu belegen? Wo bleiben da die "Rast" und "Ruhe", auf die Schüler und Schülerinnen ein Anrecht haben? Und nimmt man ihnen, indem man ihnen vorschreibt, wie sie ihre Pausen zu verleben haben, mit der "Rast" und der "Ruhe" nicht auch ein großes Stück Würde und Selbstbestimmtheit? Sie beschwichtigen: Es würde sich bei der Deutschpflicht ja "nur" um eine Möglichkeit im Rahmen der Schulautonomie handeln. Und Sie übersehen: Durch die Möglichkeit wird ein Raum geöffnet, in dem Unmögliches immer möglicher werden wird.

Zur "besseren" Mehrheit gehören

Ich bin Niederösterreicherin. Ich bin St. Pöltnerin. Und obwohl ich das noch nie so bestimmt gesagt habe, jetzt sage ich es einmal laut und deutlich. Und wenn Sie wollen, kann ich es Ihnen auch auf Japanisch, meiner ersten Muttersprache, sagen, aber das wollen Sie und Ihr frischgebackener Partner, Herr Landbauer, wahrscheinlich nicht. Es gefährdet die Gemeinschaftlichkeit.

Aufgewachsen in den 1980er-Jahren, als Mehrsprachigkeit noch kein allgemein diskutiertes gesellschaftspolitisches Thema war, teile ich aber – ob Sie das wollen oder nicht – gerne meine persönlichen Erinnerungen mit Ihnen. Für mich war das Japanische eine Art familiärer Zufluchtsort. Da ich es mit niemandem als mit meiner Mutter und meinem Bruder sprach, bildeten wir zu dritt eine überschaubare Sprachinsel. Eine, auf der ich mich sicher fühlte, bis mir bewusst wurde, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung bisweilen weit auseinandergehen können. Was für mich ein Gewinn war, wurde mir von außen nur allzu oft als ein Verlust angerechnet. "Tsching, tschang, tschung", hieß es, wenn uns einer miteinander reden hörte, "Chinese sein nicht dumm" oder es flogen auch mal Steine auf uns "Schlitzaugen". Es waren Kinder, die uns mit Steinen bewarfen. Kinder, denen man wohl beigebracht hatte, dass Anderssein (anders sprechen, anders ausschauen, anders essen ...) als etwas Abweichendes, Verbrecherisches zu bestrafen sei. Es waren Kinder wie mein Bruder und ich, die sich hinter dem Rücken unserer Mutter duckten, um nicht getroffen zu werden.

Wie gesagt: Ich berichte hier aus den 1980er-Jahren. Multikulturalität galt damals noch nicht als schick, und die drei Türken, die mit mir eingeschult wurden, Ali, Ümit und Erkan*, wurden quasi automatisch in die Gastarbeiter- und "Mohammedaner"-Schublade gesteckt, wo sie dann auch den Rest der Schulzeit über gefälligst zu bleiben hatten.

Leise Nuancen

Als Halbösterreicherin/-japanerin ging es mir da schon ein bisschen besser. Immerhin ist "der" Asiate, ist "die" Asiatin von höchst unterwürfiger Natur, und er oder sie neigt nicht zu den sogenannten Anpassungsschwierigkeiten, zu denen solche, die kein Schweinefleisch verzehren, oft geradezu fanatisch neigen. Außerdem konnte ich Deutsch, was die drei Türken zwar auch, aber eben nur brüchig (ohne die damals noch übliche "Förderung") konnten, und da ich zudem nicht "stank", wie sie es taten, gab man mir auch beim Tanzen die Hand, ihnen nicht. Sie fasste man lediglich am Handgelenk. Sonst hätte man sich eventuell "schmutzig" gemacht. Ich – unter dem Druck, zur "besseren" Mehrheit gehören zu wollen – auch. Was ich übrigens heute noch zutiefst bereue: sie nicht bei der Hand genommen zu haben. Alle Hässlichkeit, die mir bis dahin selbst zuteilgeworden war, kulminierte in meinem sowohl gedanken- als auch gefühllosen Entschluss, sie wie alle nur am Handgelenk zu fassen.

Worauf ich hinauswill: Kinder sind empfänglich für noch die leisesten Nuancen von Unterschieden, die getroffen werden. Sie reagieren sensibel auf jedwede Form der Ausgrenzung, und meistens – ich kann das aus oben angeführter eigener Erfahrung berichten – entscheiden sie sich dazu, sich so normal (und das heißt: so unsichtbar) wie möglich zu machen. Wer will schon zu denen gezählt werden, die "anders" (das heißt: im negativen Sinne sichtbar) sind? Dazu gehörten zu meiner Zeit nicht nur diejenigen, die nicht dieselbe Sprache sprachen, sondern zum Beispiel auch die, die zu arm waren, um mit auf Schulausflug zu fahren, oder die, deren Eltern geschieden waren und die aufgrund der Erwerbstätigkeit ihrer Mütter in den unbeliebten Hort gehen mussten. Auch die Tochter eines "Müllmanns", eine Michaela* aus dem Gemeindebau, wurde sekkiert.

Vielstimmigkeit

In den 1980er-Jahren war das. Ich wiederhole mich. Heute schreiben wir das Jahr 2023, und vieles hat sich zum Besseren gewendet. In der Volksschulklasse, die mein Sohn besucht, werden ganze zehn verschiedene Sprachen gesprochen, und noch kein einziges Mal wäre mir zu Ohren gekommen, dass diese Vielstimmigkeit zu einem Misstrauen unter den Kindern geführt hätte. Gut, es gibt nach wie vor dumme Sprüche, die geklopft werden. Aber sie haben längst nicht mehr das Gewicht, das sie anno dazumal hatten. Zu international und zu weltoffen denkt man heutzutage – zumindest in Kinderkreisen – bereits. Messi ist immerhin Argentinier. Ronaldo ist Portugiese. Und Alaba – "unser" Alaba – ist ein waschechter Österreicher mit afroasiatischen Wurzeln.

Das gab es in den 1980er-Jahren auch noch nicht. Will sagen: Das gab es schon, aber es wurde selten mit dem Etikett "Österreicher, Österreicherin" versehen, eher mit dem Etikett "Schoko" (auch eine dieser persönlichen Erinnerungen, die ich mit Ihnen teilen möchte, an einen Nachbarsjungen mit "dunkler Hautfarbe" und "Krauskopf", der immer nur "Schoko" gerufen wurde und der es irgendwann hinnahm, so gerufen zu werden; seinen echten Namen habe ich nie erfahren).

Autorin Milena Michiko Flašar.
Foto: Helmut Wimmer

Herzenssprachen

Ganz ehrlich: Müssen wir dorthin zurück? In die 1980er-Jahre? Modisch ja (ich bin ein großer Fan von Schnurrbärten und Vokuhila-Frisuren). Aber politisch? Sollten wir uns da nicht lieber nach vorn bewegen? Wem nutzt eine mittelalterlich anmutende, von oben verordnete Einsprachigkeit? Sind sprachpolizeiliche Maßnahmen nicht prädestiniert dafür, sich zu Schikanen auszuwachsen, und schaffen wir nicht noch mehr von den "gewissen Brennpunktschulen", indem wir Menschen verbieten, sich in ihren jeweiligen Herzenssprachen miteinander zu unterhalten? Ich bin hier absichtlich kitschig: Die Sprachen (im Plural, wohlgemerkt), mit denen man aufwächst, sind Herzenssprachen.

"Muttersprache: Niederösterreich." Einer Ihrer Wahlslogans, liebe Frau Mikl-Leitner, die, wie ich annehme, "inklusiv" tönen sollten. Wenigstens traue ich Ihnen zu, dass Sie mit "Niederösterreich" nicht nur die "Einheimischen" gemeint haben, sondern auch die, die im Laufe der Jahrhunderte dafür gesorgt haben, dass aus unserem Bundesland einer der offensten und kulturell interessantesten Flecken Österreichs geworden ist. Die Böhmen, die Mährer, die Ungarn – sicher reicht Ihr gesunder und geschichtlich versierter Menschenverstand dazu, sie alle liebevoll zu umfassen. Warum dann nicht auch die mit der vermeintlich "schlechteren" Muttersprache? Denn darum geht es doch letztlich. Wollen Sie denen, die nicht das Glück haben, eine der sogenannten prestigeträchtigen Sprachen zu sprechen, allen Erns tes einen Maulkorb umlegen?

Mein Niederösterreich

Stellen Sie sich vor: Sie sind auf Dienstreise in Brüssel und wollen sich in der wohlverdienten Kaffeepause mit Ihren KollegInnen unterhalten, und einer tritt auf Sie zu und ermahnt Sie, sich doch bitte auf Französisch zu verständigen? Sie würden den Betrieb stören mit Ihrem "Niederösterreichisch"? Würden Sie ihm dann nicht Nachhilfe geben wollen? In Sachen "Grundbedürfnisse"? Würden Sie sich nicht empören über ihn und sich – ihm zum Trotz? und jetzt erst recht? – in dem Dialekt weiterunterhalten, der Ihnen lieb und teuer ist?

Über die Prämie für das Schnitzel, dessen Herkunft übrigens höchst umstritten ist (die Methode des Panierens soll laut einer der Ursprungslegenden aus Nordafrika stammen) – darüber lasse ich mich an der Stelle nicht weiter aus. Beim Thema "Mehrsprachigkeit" allerdings nehme ich mir das einmalige Recht, meine Stimme zu erheben. Ein Sprachverbot auf dem Pausenhof (oder auch nur ein als "Hilfestellung" gedachtes Sprachgebot, was auf dasselbe hinausläuft) ist im übertragenen Sinne nichts anderes als Steine werfen, und abgesehen davon, dass ich nicht glauben möchte, dass sich ein solches Verbot gesetzlich verankern lässt, bitte ich Sie hiermit dringlichst, den Stein, den Sie da im Begriff sind zu werfen, niederzulegen. Glauben Sie mir. Sie und Ihr Partner tun Ihrem, meinem, unserem Niederösterreich nichts Gutes damit. "Unheimlich" wird sie sein, die Freude der SchülerInnen, die seine Zukunft sind.

*Namen geändert