Ein Sprecher von Roman Abramowitsch bestätigte, dass der eine Wohnung für Putins ehemalige Lehrerin gekauft habe – aber nicht in dessen Auftrag

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Glaubt man dem Kreml, dann ist der russische Präsident Wladimir Putin ein bodenständiger Mann: Eine 77 Quadratmeterwohnung, drei Autos, ein Pkw-Anhänger und ein Jahresgehalt von umgerechnet rund 114.000 Euro, recht viel mehr besitzt er nicht. Das jedenfalls gibt die offizielle Webseite als Vermögenswerte an. Andererseits lässt sich Putin immer wieder mit teuren Uhren ablichten, ihm werden Yachten zugeschrieben, auch ein Palast am schwarzen Meer samt Weingut und zwei Hubschrauberlandeplätzen soll angeblich ihm gehören.

Und dann wäre da noch ein etwas untypische Immobilie, für die sich Putin 2005 interessiert haben soll: eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung im südlichen Zentrum von Tel Aviv. Nicht Luxus spielte hier eine Rolle, sondern die Nähe zum Busbahnhof, zum Markt und zu Gesundheitsversorgung. Die Wohnung sollte ein Geschenk für Putins ehemalige Deutschlehrerin sein.

Während eines Staatsbesuchs in Israel traf Putin 2005 die Ukrainerin Mina Yuditskaya-Berliner, die dem russischen Präsidenten in den 1960er Jahren an der Oberschule 281 in St. Petersburg, dem damaligen Leningrad, Deutschunterricht gegeben haben soll. Wie das israelische Nachrichtenportal Ynet 2014 berichtete, wanderte Yuditskaya-Berliner 1973 nach Israel aus, nachdem sie des "Misstrauens, des Terrors und der Angst" der sowjetischen Regierung überdrüssig geworden war. Nach dem kurzen Treffen zwischen Putin und seiner ehemaligen Lehrerin soll der russische Staatschef begonnen haben, der damals 84-Jährigen kleine Geschenke zu machen: Eine Uhr, ein signiertes Exemplar seiner Autobiografie. Einige Wochen später klingelte ein Mann an ihrer Tür und sagte, er wolle ihr Apartments zeigen und sie könne sich eins aussuchen, so jedenfalls erzählte es Yuditskaya-Berliner neun Jahre später.

Putin soll Wohnungskauf arrangiert haben

Laut israelischen Medienberichten, die sich auf Yudiskaya-Berliner berufen, war es Putin, der den Kauf einer Wohnung in Tel Aviv für seine ehemalige Lehrerin arrangierte. Auf der Website des israelischen Finanzamtes findet sich ein Eintrag, der besagt, dass am 29. Juni 2005 eine Wohnung in der Pinkser Street 17, zweiter Stock im Zentrum Tel Avivs, für umgerechnet mehr als 200.000 Dollar gekauft wurde. Einige Monate später war Yudiskaya-Berliner dann laut Grundbuch Eigentümerin der 43,5 Quadratmeter großen Wohnung. "Als ich in diese Wohnung einzog, weinte ich", erinnerte sich Mina Yuditskaya-Berliner fast ein Jahrzehnt später, als sie die Geschichte Ynet erzählte. "Putin ist ein sehr dankbarer und anständiger Mensch."

Das Geld für den Kauf der Wohnung stammte allerdings nicht direkt von Putin. Stattdessen zeigen neu aufgedeckte Finanzunterlagen, dass die wahre Quelle der Gelder ein Konto der auf Zypern ansässigen Briefkastenfirma N.P. Gemini Holdings Limited war, das vom russischen Milliardär Roman Abramowitsch kontrolliert wurde.

Abramowitsch in Wohnungskauf involviert

Abramowitsch gilt seit einem Treffen mit Putin bei seiner Geburtstagsparty im Jahr 1999 als Verbündeter und Profiteur Putins. Abramowitsch soll dem damaligen Premierminister Putin in der Folge eine 50 Millionen-Dollar-Yacht gekauft haben. Mit Beginn von Putins Präsidentschaft im Jahr 2000 begann das Vermögen Abramowitschs rasch zu wachsen: 2005 stimmte Putins Regierung zu, dreizehn Milliarden Dollar für den Rückkauf von Sibneft zu zahlen, das Abramowitsch und ein Partner ein Jahrzehnt zuvor für 200 Millionen Dollar vom russischen Staat gekauft hatten.

Putin und Abramowitsch im Jahr 2005
Foto: Itar/Tass

Seitdem hat Abramowitsch einen Großteil seiner Zeit und seines Reichtums damit verbracht, ein luxuriöses Leben außerhalb Russlands zu führen – teilweise zum Missfallen des Kremls. Abramowitsch hat große Summen in US-Hedgefonds investiert, besitzt eine der größten Yachten der Welt, Immobilien in England, Frankreich und Aspen, Colorado und war bis Mai 2022 Besitzer des britischen Fußballklubs FC Chelsea.

Die Dokumente liefern ungewöhnlich eindeutige Belege für eine Verbindung, die beide Männer lange heruntergespielt und geleugnet haben: Abramowitsch bestreitet die Nähe zu Putin seit Jahren, verklagt Medien und wehrte sich sogar juristisch gegen den Vorwurf Finanzgeschäfte auf Putins Geheiß zu erledigen.

Schenkungsurkunde

Die vorliegenden Informationen sind Teil eines Datenlecks des zypriotischen Offshore-Finanzdienstleistungsunternehmen MeritServus, das intensive Geschäftsbeziehungen zu Abramowitsch pflegte. Über die gemeinnützigen Gruppe Distributed Denial of Secrets bereitgestellt, liegen die Daten dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), der "Washington Post", der israelische Publikation Shomrim und dem STANDARD vor.

Enthalten ist auch eine "Schenkungsurkunde", in der die Überweisung von 245.000 Dollar von einer von Abramowitsch kontrollierten Firma auf Zypern an Yuditskaya-Berliner festgehalten wird. Laut israelischen Grundbuchunterlagen schloss Yuditskaya-Berliner den Kauf der Wohnung am selben Tag ab, an dem das Geld von Gemini auf ihr Tel Aviver Bankkonto floss.

Die Enthüllung untermauert den seit langem gehegten Verdacht, dass Putin großen Einfluss auf Abramowitsch und andere Oligarchen ausübt, sagte Andrew Weiss, Russland-Experte bei der Carnegie Endowment for International Peace dem ICIJ. Die Finanzierung der Wohnung durch Abramowitsch "verdeutlicht perfekt, wie ungeschriebene Absprachen und Augenzwinkern das Herzstück des Systems der Putin-Ära sind", so Weiss.

Abramowitsch kämpft gegen Sanktionen

Die vom STANDARD und seinen Partnern enthüllten Dokumente tauchen zu einer Zeit auf, in der Abramowitsch darum kämpft, sein von westlichen Sanktionen bedrohtes Imperium zu retten. Dabei schwankt er zwischen der Beteuerung, keinen nennenswerten Einfluss auf Putin zu haben, und der Nutzung seines Zugangs zum Kreml, um als Vermittler für die stockenden Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu dienen. Die bisher unveröffentlichten Akten werden diese Bemühungen wahrscheinlich erschweren, da sie seine Leugnung jeglicher finanzieller Abhängigkeit von Putin untergraben.

In einer E-Mail bestätigte ein Sprecher von Abramowitsch das Geschenk an die ehemalige Lehrerin des russischen Präsidenten, sagte aber, dass es nicht auf Putins Geheiß, sondern "in Folge einer Anfrage der jüdischen Gemeinde" gemacht worden sei. Putins Sprecher, Dmitri Peskow, antwortete nicht direkt auf die Frage nach Putins Rolle in der Transaktion und verwies stattdessen auf die Föderation der Jüdischen Gemeinden Russlands, von der "jegliche wohltätige Arbeit in Israel" geleistet werde.

Kurz nachdem Putins Sprecher auf den Geldtransfer angesprochen worden war, erhielten Reporter eine E-Mail von Rabbiner Alexander Boroda, dem Präsidenten der Föderation der jüdischen Gemeinden in Russland. Boroda, der als Vertrauter Putins gilt und den Einmarsch in die Ukraine gutheißt, bestätigte in der E-Mail die Darstellung von Abramowitsch und Putins Sprecher.

Bereits 2010 hatte ein Vertreter Abramowitschs in einer Stellungnahme dem britischen "Guardian" mitgeteilt, dass der Oligarch "keinerlei finanzielle Beziehungen zu ... Putin" habe: "Die Behauptung ist völlig absurd", sagte Abramowitschs Vertreter.

Putins Lehrerin Yuditskaya-Berliner verstarb 2017 im Alter von 96 Jahren. Als ein Reporter die Wohnung vergangenen Monat aufsuchte, schien niemand vor Ort zu sein, aber Medien berichten, dass hin und wieder ein russisches Diplomatenauto bei dem Haus parke. Im israelischen Grundbuch findet sich im Juli 2020 ein neuer Eigentümer der Wohnung: Die russische Föderation. (Uri Blau, Greg Miller, Ruben Schaar, Spencer Woodman, 2.4.2023)