Rubin Okotie schoss Österreich im November 2014 zum 1:0-Sieg gegen Russland und ebnete damit den Weg zur Europameisterschaft 2016 in Frankreich.

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Rubin Okotie ist der Gastgeber im Plain.

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Don't touch Zlatan! So lautet das wichtigste ungeschriebene Gesetz im Fußball. Lass die Klebeln vom schwedischen Fußballgott. Jeder weiß das. Nur nicht Rubin Okotie. Er schiebt Zlatan Ibrahimovic zur Seite, nickt ihm zur Begrüßung zu, fasst ihm nonchalant ans Handgelenk. Wenn Blicke töten könnten, wäre der ehemalige ÖFB-Teamspieler am 8. September 2014 im Happel-Stadion zu Staub zerfallen. Die Bilder gingen schnurstracks durch die sozialen Medien. Okotie kennt die Aufnahme und findet sie nicht weniger unterhaltsam als der Rest der Welt: "Ich denke, das war sein Durchbruch. Das hat Ibrahimovic berühmt gemacht."

Karriere mit Schmerzen

Ibrahimovic (41) kickt noch immer, Okotie (35) hat vor vier Jahren aufgehört. Einfach so, ohne Abschiedsszene, ohne offiziellen Rücktritt. "Wäre ein attraktives Angebot gekommen, hätte ich weitergespielt. Erzwingen wollte ich nichts", sagt der Wiener. Zu jenem Zeitpunkt hatte Okotie bereits eine Familie gegründet und ein Lokal am Alsergrund eröffnet: "Nach den Jahren im Ausland war ich froh, wieder in Wien zu sein. Ich habe meine Karriere in Frieden beendet. Es war eine wunderschöne Zeit – aber sie war auch von Druck, Ängsten und Schmerzen begleitet."

leck mich

Rubin Rafael Okotie wurde in Pakistan geboren, verbrachte die ersten vier Lebensjahre in Barcelona und zog 1991 mit seiner Familie nach Österreich. Er absolvierte die Frank-Stronach-Akademie und galt als eines der größten Offensivtalente des Landes. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er 2007 mit dem österreichischen Nationalteam das Semifinale der U20-Weltmeisterschaft in Kanada erreichte. Just als sich der Goalgetter der Wiener Austria in die Notizbücher etlicher internationaler Scouts geschrieben hatte, folgte 2009 der Tiefschlag: Knorpelschaden im rechten Knie.

Okotie erinnert sich: "Ich war damals am Peak. Wir hatten uns mit der Austria für die Europa League qualifiziert. Eine Gruppe mit Bilbao und Werder, ein Traum. Gleichzeitig erhielt ich diese niederschmetternde Diagnose. Da ist meine Welt zusammengebrochen. Meine Karriere stand an der Kippe." Der Stürmer kämpfte sich in neun Monaten Reha zurück, unterschrieb anschließend in der deutschen Bundesliga beim 1. FC Nürnberg. "Aber mein Knie war nicht mehr so wie vorher. Ich hatte Schmerzen, die Leichtigkeit war dahin. Zu wissen, es kann mit jedem Schritt vorbei sein, ist eine enorme Belastung. Ich bin jeden Tag mit diesem Gedanken aufgewacht. Zum Glück ist das jetzt vorbei."

Okotie sitzt im Außenbereich seines Restaurants Plain im Servitenviertel. Hier treffen sich Hipster und Instagramer, um Bowls und Burger einzuschneiden. Man gönnt sich Soulfood, während man einen Bildband von Jean-Michel Basquiat durchblättert. "Wir waren beim Start definitiv am Puls der Zeit. Wir waren eines der ersten Lokale, die das Vegane cool interpretiert haben", sagt der Chef. Aber keine Sorge, im Plain wird auch Fleisch serviert. Denn als "reines veganes Restaurant wirst du nie die Chance kriegen, Fleischesser mit veganen Gerichten zu überzeugen."

Das Servitenviertel im neunten Bezirk hat es Okotie angetan: "Jeder, der mal hier war, spürt, wie besonders diese Gegend ist, wie vielfältig sie ist." In der Tat ist das Grätzel rund um das Servitenkloster eine der schönsten Ecken von Wien. Hier kennt jeder jeden, und Okotie ist sozusagen eine lokale Größe. Seit kurzem ist der einstige Dribblanski Vorstand des "Vereins Servitenviertel". In dieser Funktion will er Anrainer und Geschäftsleute vernetzen und das Viertel bekannter machen. Und die geplante Fußgängerzone in der Servitengasse? Pro oder contra? "Pro natürlich."

Arbeit mit Troubles

Also wie lebt es sich einfacher? Als Gastronom oder als Fußballer? Okotie steht angesichts dieser Frage kurz vor einem Lachkrampf, antwortet aber dennoch: "Als Fußballer." Und warum? "Als Fußballer bist du nur mit dem beschäftigt, was dir am meisten Spaß macht. Und obendrein verdienst du gutes Geld. In der Gastro hast du ständig irgendwelche Troubles." Das Lokal ist jedenfalls immer gut gefüllt, mittlerweile wurden Zweigstellen am Rudolfsplatz und in der Stadlauer Straße eröffnet. Das altehrwürdige Café Bellaria in der Inneren Stadt hat Okotie ebenfalls übernommen. Der Mann hat das berüchtigte schwarze Loch nach der Karriere nie kennengelernt.

"Fußballer leben in einer Bubble", sagt Okotie, während er sich um Lieferaufträge kümmert. "Ich hatte Scheuklappen, links und rechts gab es für mich nichts. Ich habe dem Sport alles untergeordnet. Ich war ein Besessener. Erst gegen Ende meiner Karriere habe ich mich geöffnet und aktiv mit Kunst beschäftigt. Da habe ich gemerkt, wie schön es ist, sich Museen und Ausstellungen anzusehen. Und ja, jetzt würde ich mich als Kunstliebhaber bezeichnen." Damit ihm nicht langweilig wird, führt Okotie mit "Plain Art" nun auch einen Kunstraum im siebenten Bezirk.

Sternstunden in der erfolgreichen EM-Qualifikation für die Euro 2016.
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Das Geschäft ist schnelllebig, wenige Gäste wissen, wer Okotie früher war. Nichts im Plain lässt die sportliche Vorgeschichte des Besitzers erahnen. Dabei hatte er maßgeblichen Anteil an der erfolgreichen EM-Qualifikation unter Teamchef Marcel Koller. In den Heimspielen gegen Montenegro und Russland erzielte er jeweils das entscheidende Tor und versetzte damit 45.000 Zuseher in kollektive Ekstase: "Das waren zwei wichtige Treffer. Wir haben eine großartige Quali hingelegt, wir hatten einen super Teamspirit." Okotie strahlt, nur beim Gedanken an die Endrunde 2016 verfinstert sich seine Miene.

In der ersten Partie gegen Ungarn wurde der 18-fache Teamspieler beim Stand von 0:1 in der 65. Minute eingewechselt. Eine Minute später sah Aleksandar Dragovic in Bordeaux die Rote Karte. "Da war nicht mehr viel zu machen", sagt Okotie. Das Turnier sei insgesamt eine riesige Enttäuschung gewesen. "Wir hatten nicht den notwendigen Hunger. Das hat mir richtig wehgetan. Zu diesem Zeitpunkt war mir bewusst, dass es womöglich mein letzter Auftritt auf internationaler Bühne gewesen sein könnte." Okotie sollte recht behalten, mit der Euro ging auch seine Teamkarriere zu Ende. Anschließend wechselte er zum chinesischen Zweitligisten Beijing Enterprises Group FC.

Wechsel mit Bauchweh

Natürlich gab es hunderttausende Gründe für den Wechsel nach China. Trotzdem war Okotie auf dem Weg zum Flughafen "richtig traurig", in Europa hatte es "kein sexy Angebot gegeben." Rückblickend sei der Gang nach Asien eine kluge Entscheidung gewesen. Neues Land, neue Kultur. Und mehr denn je verdient. Fazit: "Kann man schon machen." Okotie hat in Österreich, Deutschland, Belgien, Dänemark und China gespielt. Er war bei der EM und mit der Austria in der Champions League. "Es hätte natürlich viel mehr sein können. Aber mit der Verletzung hätte es auch schnell vorbei sein können. Es ist gut, wie es war. Es ist gut, wie es ist. Ich kann mich nicht beschweren." (Philip Bauer, 3.4.2023)