Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Kumpane aus dem KGB (dem Geheimdienst) hätten einen "hybriden KGB-Kapitalismus" geschaffen, der auf die Anhäufung von Vermögen ausgerichtet war, um damit Amtsträger im Westen zu kaufen und zu korrumpieren, während die Politiker dort die sowjetischen Taktiken der nicht allzu fernen Vergangenheit längst vergessen haben. Das schrieb die britische Autorin Catherine Belton in ihrer präzisen Anatomie des Putin-Regimes (Hamburg 2022) noch vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Sie wie auch der Zeit-Korrespondent Michael Thumann in seinem glänzenden Buch über das "bedrohlichste Regime der Welt" (München 2023) werfen die Frage auf: Warum hat der Westen die Augen geschlossen?

Das war der Fall bei manchen Spitzenpolitikern wie bei dem deutschen Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder aus nacktem persönlichem Interesse. Wohl auch bei einigen früheren Regierungschefs und Ministern, etwa in Frankreich und Österreich. Selbst nach der Krim-Annexion dauerte es acht Jahre, bis der Angriffskrieg gegen die Ukraine die verbliebenen Illusionen westlicher Politiker und Geschäftsleute zerstören konnte. Heute ergreifen nur rechtsextreme Kräfte wie die AfD in Deutschland und die FPÖ in Österreich offen Partei für den russischen Aggressor.

Provokanter Auszug der FPÖ

Der auch in diesem Blatt mehrmals scharf kritisierte provokative Auszug der Abgeordneten der Kickl-Partei vor der zugeschalteten Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus dem österreichischen Parlament war angekündigt und erwartet.

Was aber mich persönlich noch viel mehr schockiert hat, waren die halb leeren Reihen des SPÖ-Klubs während der ergreifenden Rede Präsident Selenskyjs. Das Fernbleiben so vieler SPÖ-Abgeordneter ohne Erklärung, auch der Klubobfrau (krankgemeldet, allerdings ohne Solidaritätsbekundung), ist eine Schande für die österreichische Sozialdemokratie. Es handelt sich um eine Mischung aus Dummheit und Unkenntnis, aus Selbstgefälligkeit und Arroganz.

Leere Reihen auch bei der SPÖ während der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der aus Kiew zugeschaltet war.
Foto: APA / Robert Jäger

Steht etwa die Diktatur des von Revanchegedanken getriebenen Putins "links"? Haben diese SPÖ-Abgeordneten den Unterschied zwischen Täter und Opfer vergessen? Sie sind in der Tat freiwillige Hilfstruppen der FPÖ.

Unsolidarische Haltung

Die SPÖ-Spitze hat bereits vor einem Jahr bei dem Vorschlag der Neos, Selenskyj einzuladen, gezögert. Weder dafür noch dagegen, hieß die Devise der hilflosen Führung, mitverantwortlich für die beschämend späte Einladung Selenskyjs. Sie hat auch das sinnlose Veto der ÖVP gegen den Schengenbeitritt Bulgariens und Rumäniens mitgetragen. Überhaupt zeigt das Schweigen Pamela Rendi-Wagners, der außenpolitischen Sprecherin der SPÖ, in allen brisanten Fragen ihr Versagen, besonders verglichen mit den klaren Aussagen der Neos-Klubchefin Beate Meinl-Reisinger gegen Autokraten.

Die unsolidarische Haltung der SPÖ gegenüber der überfallenen und kämpfenden Ukraine ist ein folgenschwerer Bruch mit den traditionellen Werten der Sozialdemokratie und ein Schlag gegen das internationale Ansehen unseres Landes. (Paul Lendvai, 4.4.2023)