Viele Apotheken haben manch leere Lade – derzeit fehlen rund 600 Arzneimittel, wie aus einer Meldeliste hervorgeht. Minister Rauch versprach für nächsten Winter mehr Reserven.
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Dieses Mittel haben wir gerade nicht." Kaum ein Patient, der diesen Satz in den vergangenen Wochen nicht in seiner Apotheke gehört hat. Die Suche nach Alternativen ist oft mühsam. Hausärztinnen und Hausärzte klagen: Patientinnen und Patienten, die seit Jahren das Gleiche einnähmen, müssten sich umstellen, aber manch Alternative wirke nicht so gut oder habe stärkere Nebenwirkungen. Viele Eltern kleiner Kinder sind verzweifelt, weil Antibiotikasäfte seit langem fehlen. Wie steht es um den Bestand an Medikamenten in Österreich? Wird es bald besser?

Frage: Wo ist ersichtlich, welche Medikamente nicht oder derzeit nur eingeschränkt verfügbar sind?

Antwort: In der "Liste der Meldungen zu Vertriebseinschränkungen von Arzneispezialitäten" des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) steht, welche Medikamente nicht oder nur eingeschränkt lieferbar sind. Als "nicht verfügbar" gilt, was der Zulassungsinhaber voraussichtlich über zwei Wochen hinaus nicht liefern kann. Packungen, die noch im Großhandel oder Apotheken sind, werden noch ausgegeben, dann versiegt der Nachschub.

Frage: Wie entsteht diese Liste?

Antwort: Alle Zulassungsinhaber verschreibungspflichtiger Humanarzneimittel sind verpflichtet, Vertriebseinschränkungen einzumelden. Apotheken melden in dieses System übrigens nicht ein.

Frage: Stimmt es, dass die Einmeldung in diese Liste etwas kostet?

Antwort: Ja. Pro Meldung der Arznei ist eine Gebühr zu entrichten. Die Höhe dieser Gebühr beträgt aktuell 767 Euro. Bis inklusive September 2022 wurden so Einnahmen in der Höhe von 1,33 Millionen Euro erzielt. Das geht aus einer Anfragebeantwortung von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hervor. Eingebracht wurde die Anfrage von den Neos. Die Mittel gehen ans BASG.

Frage: Sagt ein Mangel in Wien etwas aus über die Versorgungslage etwa in Vorarlberg?

Antwort: Das Problem der Medikamentenknappheit ist nicht lokal begrenzt, da Apotheken in ganz Österreich von wenigen Großhändlern beliefert werden. Ist ein Medikament über den Großhandel nicht verfügbar, betrifft das in der Regel ganz Österreich.

Frage: Was sind die Gründe für die aktuellen Lieferengpässe? Warum entspannt sich die Situation nicht?

Antwort: Es ist ein Zusammenspiel mehrer Faktoren: von erhöhtem Mehrbedarf (Grippesaison) über Verknappung des Wirkstoffes bis zu Verzögerungen bei der Herstellung oder Lieferung. Die Arzneimittelwirkstoffe werden zunehmend in Billiglohnländern wie China und Indien hergestellt. Dort hat man teils mit Qualitätsmängeln zu kämpfen, teilt das BASG mit, was zu Lieferverzögerungen bis hin zu Produktionsstopps führen kann.

Frage: Hat sich die Anzahl an Medikamenten, die nicht verfügbar sind, stark verändert?

Antwort: Im Jahr 2019 waren in Österreich 323 Arzneimittel betroffen. Mit Inkrafttreten der Verpflichtung zur Meldung von Vertriebseinschränkungen erhöhten sich die Meldungen 2020 auf 1096. Im Jahr 2021 gab es 788 Meldungen, 2022 waren es 1257 Meldungen. Die primäre Verantwortung, die Lieferfähigkeit von Arzneimittel aufrechtzuerhalten, liegt laut BASG bei den Zulassungsinhabern bzw. den Großhändlern. In der Liste kommt es aber auch zu Mehrfachnennungen.

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Frage: Welche Rolle spielt die Preispolitik?

Antwort: Eine große Rolle. Falls Produkte aus Ländern mit niedrigen Arzneimittelpreisen in großen Mengen in Länder mit höheren Preisen exportiert werden, kann es in manchen Fällen zu Lieferengpässen in Ländern mit niedrigeren Preisen kommen. Der Handel von Arzneimitteln durch Parallelhändler unter Ausnutzung von Preisgefällen im freien europäischen Warenverkehr ist grundsätzlich legal und mit EU-Recht vereinbar, jedoch nur dann, wenn ausreichend Ware für den heimischen Markt zur Verfügung steht.

Frage: Was sind Parallelhändler?

Antwort: Jeder Händler – also auch eine Apotheke in Österreich – kann Medikamente weiterverkaufen. Im Falle eines Mangels im Inland spricht das BASG ein Parallelexportverbot aus, dann dürfen Anbieter dieses Medikament nicht mehr ins Ausland exportieren.

Frage: Wer kontrolliert dieses Parallelexportverbot?

Antwort: Das BASG überwacht und kontrolliert im Rahmen der Marktüberwachung die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen. Nicht jede Meldung einer Vertriebseinschränkung führt allerdings zum Parallelexportverbot.

Frage: Gibt es ein bestimmtes Medikament nicht, suchen Apotheken oft nach Ersatz. Dürfen sie das?

Antwort: Für die Apotheken ist das eine Gratwanderung, denn dass nur Wirkstoffe und nicht ein bestimmtes Präparat verschrieben wird, ist in Österreich so nicht gesetzlich geregelt. Rund zehn Stunden pro Woche investiert jede Apotheke im Schnitt derzeit wegen der Lieferprobleme in die Suche nach alternativen Medikamenten, teilt die Apothekenkammer mit. Am einfachsten ist das Ausweichen auf ein Generikum (falls verfügbar). Aufwendiger ist die Beschaffung des Mittels in einer anderen Apotheke oder im Ausland, und sehr aufwendig und meist nicht einmal kostendeckend ist die Zubereitung im apothekeneigenen Labor. In Österreich fehle die Möglichkeit der Wirkstoffverschreibung, kritisiert Gesundheitsminister Rauch, Ärztekammer und Pharmaindustrie sind dagegen. Allerdings seien ohnehin auch bestimmte Wirkstoffe am Markt derzeit nicht erhältlich, wird oft eingewandt.

Frage: Bestimmten die Preise auch, wie viel an ein Land geliefert wird?

Antwort: Ja, die Preispolitik spielt auch bei der Belieferung eine große Rolle. Österreich ist ein Land, in dem ausgewählte Medikamente aktuell um 6,5 Prozent billiger angeboten werden müssen als in den anderen EU-Ländern. Als Lieferland ist Österreich damit nicht für jedes Präparat attraktiv.

Frage: Wie wird in Österreich das Problem zu lösen versucht?

Antwort: 2019 wurde die "Taskforce Lieferengpässe" eingerichtet. In den vergangenen drei Jahren (Daten bis Herbst 2022) gab es 18 Sitzungen. 16 Verbände sitzen in dem Gremium, darunter Ages, Apotheker- und Ärztekammer, Generikaverband, Verband der Pharmaindustrie sowie Wirtschaftskammer. Diese Taskforce wurde wegen der kontinuierlich zunehmenden Liefer- und Versorgungsengpässe etabliert. Orchestriert wird das Team vom BASG. Zu dieser Taskforce haben die Neos Gesundheitsminister Rauch auch um konkrete Daten gebeten. "Es scheint, dass die Abstimmung hier noch nicht wirklich funktioniert", fasst Neos-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler die Ergebnisse zusammen. Im März wurde zudem das Lieferketten-Forschungsinstitut gegründet, geleitet wird es vom Komplexititätsforscher Peter Klimek.

Frage: Gesundheitsminister Johannes Rauch hat kürzlich das Ende der Medikamentenknappheit angekündigt. Wie soll das gehen?

Antwort: Rauch will erreichen, dass nächsten Winter, wenn die Infektionswellen wieder zunehmen, nicht mehr so eine Notlage entsteht. Er will größere Reserven von Medikamenten und Wirkstoffen anlegen. Der Einkauf könnte aber knifflig werden. Denn die benötigten Medikamente lagen in den vergangenen Jahren wegen der Lockdowns immer zehn Prozent unter dem Vorjahr. Heuer wurden aber rund 30 Prozent mehr Medikamente benötigt. Die Belieferung orientiert sich immer an den bisherigen Werten, eine Lageraufstockung könnte also dauern. Hinzu kommt, dass der Bedarf an Medikamenten immer auch für rund ein Jahr im Voraus geplant wir. Kommen wie heuer mehrere Infektionen zusammen – RSV, Corona, Influenza –, kann der Bedarf wieder vorübergehend zu Mängeln führen. (Bettina Pfluger, 4.4.2023)