228 Seiten zählt "Tauben im Gras" in der Suhrkamp-Ausgabe.

Foto: Suhrkamp

Ab 2024 sollte Wolfgang Koeppens Roman "Tauben im Gras" Pflichtlektüre für die Abiturprüfung im Fach Deutsch auf erhöhtem Anforderungsniveau an berufsbildenden Gymnasien im deutschen Bundesland Baden-Württemberg werden. Die Gründe dafür scheinen gute: Das 1951 erschienene "Tauben im Gras" ist ein Abrechnungsbuch mit dem deutschen Ungeist der Nachkriegsjahre. Koeppen (1906–1996) setzt sich darin als Vertreter der damaligen literarischen Moderne mit dem Thema auseinander und nutzt dafür auch eine aus der damaligen Atmosphäre gespeiste drastische Sprache in den Figurenperspektiven. Rund einhundert Mal kommt etwa das N-Wort in dem Text vor. Dem noch nazistisch geprägten Volk aufs Maul geschaut hat der Autor ebenso in Passagen über Juden.

Das rief Ende März eine Ulmer Lehrerin auf den Plan, sich gegen das Gebot, den Roman in den Unterrichtsstoff aufzunehmen, zur Wehr zu setzen. Er sei "offensiv rassistisch, sexistisch und antisemitisch", kritisierte sie, es werde darin "ein rassistisches Bild Schwarzer Soldaten vermittelt, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gedient haben". "Abgesehen von der Reproduktion rassistischer Sprache, die bereits alleine ein Ausschlusskriterium bildet, kommt hier auch rassistisches Gedankengut zu neuer Blüte", heißt es in einer von ihr gestarteten Petition weiters. Die Unterschriftenaktion fand schon rund 7.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner. Die Lehrerin hat sich aus Protest zudem vorerst beurlauben lassen.

"Gewalt" durch die Lektüre

Die zuständige grüne baden-württembergische Kultusministerin hat das Ansinnen der Petition hingegen abgelehnt und darauf verwiesen, die Lektüre diene dazu, das Thema Rassismus auch im historischen Kontext dar- sowie Bezüge zum Heute herzustellen. Lehrerinnen und Lehrer seien für das Thema Rassismus geschult worden, und es müsse vor der Lektüre zudem besprochen werden.

Nun streiten in Deutschland zwei Fraktionen: auf der einen Seite die, die glaubt, Rassismus auch drastisch kritisierende Texte seien für Schüler fruchtbar. Immerhin: Von Marcel Reich-Ranicki wurde der Band einst hoch gelobt, er gilt zudem als Klassiker der deutschen Literatur, in den letzten Jahren hat Suhrkamp ihn im Zuge einer 16-bändigen Werkausgabe wiederaufgelegt.

Auf der anderen Seite stehen die, die glauben, das Lesen solcher Texte, und seien sie auch historische Beispiele, setze Schüler wie Lehrerinnen "immer wieder rassistischer Diskriminierung" aus, "indem rassistische Begriffe laut in der Unterrichtssituation vorgelesen werden", wie es in der Petition heißt: Auch die gute Absicht bei der Auswahl des Buches für den Lehrplan "kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass betroffene Bürger*innen durch die Sprache des Romans emotionale Gewalt erleben und ihre Menschenwürde verletzt wird". (wurm, 4.4.2023)