Die jüdische Geschichte von Kain, der seinen Bruder Abel erschlägt, ist vielschichtig: Kain muss zwar fortan ein Mal tragen, das ihn brandmarkt, Rache an ihm wird aber bei siebenfacher Strafe verboten.

Courtesy of Adi Nes & Praz-Delavallade Paris, Los Angeles

In der Osterwoche wird die berühmte Szene wieder einmal vor einem Millionenpublikum vorgetragen: Der römische Statthalter Pontius Pilatus lässt sich eine Schale mit Wasser bringen und wäscht seine Hände in Unschuld. Nicht er, nicht die weltliche Macht, sondern die Juden selbst sollen daran schuld sein, dass einer der Ihren, Jesus Christus, der behauptet, der Messias zu sein, ans Kreuz genagelt wird.

Überliefert wird die Szene im Matthäusevangelium. Zugetragen haben dürfte sie sich so aber wohl nicht. Unwahrscheinlich nämlich, dass das rituelle Händewaschen, ein dezidiert jüdischer Brauch, dem römischen Provinzpolitiker in den Sinn gekommen wäre. Wahrscheinlicher ist, dass Matthäus die Szene erfand, um die Absetzbewegung der frühen Judenchristen von ihrer Ursprungsreligion zu befördern. Und Tatsache ist: Die Markierung der Juden als "Mörder Christi" zog deren jahrhundertelange Verfolgung nach sich – und baute der Shoah vor.

Verschiedene Konzepte von Schuld

Die unter dem Titel "Leugnung von Schuld" behandelte Pilatus-Szene ist eines von 20 Kapiteln, die sich in der Ausstellung Schuld des Jüdischen Museums Wien (JMW) dem Thema widmen. So unbewältigbar groß der vielschichtige Begriff wirken mag, gelingt es dem JMW-Team dennoch gut, in der auf nur zwei Räumen umgesetzten Schau am Nebenstandort Museum Judenplatz anhand von 20 Schlüsselobjekten je einen Aspekt verschiedener Schuldkonzepte und den Umgang damit anschaulich zu machen.

"Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt": Der Ablass-Prediger Johann Tetzel trieb das katholische Freikaufen von Schuld auf die Spitze.

Da ist natürlich die Frage, wie die Schuld, mythologisch gedacht, überhaupt in die Welt kam. Die Schlange, die Eva verführte, die wiederum Adam verführte? Auch das ist in ihrer gesellschaftspolitischen Konsequenz eine unheilvolle Erzählung, die so aber nur im Christentum geschildert wird. Im Judentum ist die Szene komplex uneindeutig, im Islam steht Adam im Mittelpunkt und Eva ist nur Mitläuferin. Als "Pars pro toto"-Objekt dient die wunderbare Marmorskulptur einer in deprimierter Haltung zusammengekrümmten Eva der frühfeministisch motivierten Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries von 1909.

Die frühfeministische Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries zeigte ihre Eva 1909 als von der mächtigen Bibelerzählung niedergeschmetterte Figur.
David Bohmann

Von Kain und Abel und einem Einblick in das buddhistische Karma-System kommt man an einem Eisenkasten für den Ablasshandel vorbei oder am jüdischen Brauch, Sünden in Form von Brotkrümeln den Donaukanal hinunterzuspülen.

Wer war Täter? Wer Mitläufer?

An den Epochenbruch des Nationalsozialismus knüpfen sich gleich mehrere Schuldfragen: Wer war Täter? Wer Mitläufer? Und gibt es geerbte Schuld? Erinnert wird auch an das erschütternde Schicksal jener Jüdinnen und Juden, die sich schuldig fühlten, weil sie überlebten und andere nicht. Und welche Last tragen jene, die auf Geheiß der Nazis Deportationslisten für ihr eigenes Volk anfertigen mussten?

Mit seinem Ölbild "Onkel Rudi" von 1965 wollte Gerhard Richter die Schwierigkeit vorführen, Täter von Mitläufern zu unterscheiden. Das Bild schenkte Richter der Gedenkstätte Lidice.
Foto: Památník Lidice / Lidice Memorial

Mit der Idee der "existenziellen Schuld" Fjodor Dostojewskis und des jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas wird eine Ansicht vorgestellt, die tröstend sein kann: Schuld am Zustand der Welt sind wir demnach alle. Aus dieser Verallgemeinerung könne man nun Motivation schöpfen, im Rahmen seiner Möglichkeiten gegenzuhalten. (Stefan Weiss, 5.4.2023)