Das Internet wird durch 6G kleinmaschiger und dezentral organisiert.
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Als der Computerwissenschafter Tim Berners-Lee im Jahr 1989 am Cern die Grundlagen für das heutige World Wide Web legte, hätte sich wohl niemand träumen lassen, wie diese Erfindung die Welt für immer verändern würde. Suchmaschinen, soziale Medien, Musik- und Videostreaming, Onlineshopping, Homeoffice und seit der Pandemie auch Homeschooling sind mittlerweile nicht mehr wegzudenken.

Über fünf Milliarden Menschen im Web

Wie groß die Erfolgsgeschichte des Internets ist, zeigt der Blick zurück. Waren 2003, im ersten Erscheinungsjahr von Forschung Spezial, erst 800 Millionen Menschen oder zwölf Prozent der Weltbevölkerung online, sind es heute zwei Drittel, also über 5,3 Milliarden Menschen, schätzt die Internationale Fernmeldeunion (ITU) der Vereinten Nationen. Wesentlich zum Erfolg beigetragen haben mobile Internettechnologien, die in Generationsschritten von etwa zehn Jahren mehr Bandbreite, schnellere Reaktionszeiten und eine bessere Energieeffizienz mit sich brachten.

Der bis dato letzte Sprung auf den Mobilfunkstandard 5G wurde 2019 von der globalen Schirmorganisation 3GPP offiziell abgesegnet. Die damalige Einführung versprach eine Verzehnfachung der Download-Raten auf zehn Gigabit pro Sekunde, deutlich geringere Latenzzeiten von einer Millisekunde, zusätzlich verwendbare höhere Frequenzbereiche und deutlich mehr Nutzerinnen und Nutzer, die sich gleichzeitig in einer Funkzelle befinden können.

In der Praxis ist es zwar so, dass viele neue Smartphones bereits mit 5G-Funktionalität ausgestattet sind und auch der Netzausbau der Mobilfunker relativ zügig voranschreitet. Bis das Potenzial von 5G auch nur annähernd ausgereizt wird, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Umgesetzt wurde etwa die Technologie Beam-Forming, die über die intelligente Ausrichtung von Antennen eine gezielte Versorgung von Geräten ermöglicht. Das bedeutet, dass mit geringerer Sendeleistung und einem passenden Modulationsverfahren deutlich höhere Bandbreiten erzielt werden können.

5G längst nicht ausgereizt

Andere vorgesehene Möglichkeiten, wie die Nutzung höherer Frequenzbereiche ab 24 Gigahertz, die wenig Reichweite, aber enorme Datenraten versprechen, existieren in Österreich ebenso nur auf dem Papier wie kleine lokale 5G-Netze, die ein Unternehmen für seinen Betrieb errichten könnte. Aber auch bei der Reduktion der Latenzzeit, also der Verzögerung, bis weggeschickte Datenpakete tatsächlich beim Empfänger ankommen, gibt es noch viel Luft nach oben.

Große Funkantennen wird es auch künftig geben. Sie könnten mit 6G aber weniger wichtig werden, wenn kleinere Antennen und Funkrepeater eingesetzt werden.
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"Derzeit liegen wir bei vier bis 30 Millisekunden Latenz für beide Richtungen, Nachrichten zum und vom Mobilfunkgerät", erklärt Hans-Peter Bernhard, Forschungsleiter zum Thema Drahtloskommunikation bei Silicon Austria Labs (SAL) in Linz. Bei der auf Elektronik spezialisierten Forschungseinrichtung, an der das Klimaministerium, drei Bundesländer, aber auch der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI) beteiligt sind, arbeiten über 300 Menschen an den Standorten Graz, Villach und Linz.

Geringere Latenzzeiten sind nicht nur für Gamerinnen und Gamer relevant, die durch die verzögerten Reaktionszeiten etwa bei Action- und Kampfspielen einen entscheidenden Nachteil haben. In der Industrie gelten sie als eine der Voraussetzungen, um die automatisierte und vor allem drahtlose Fabrik der Zukunft inklusive der dafür notwendigen Video- und Maschinenkommunikation in Echtzeit und Mixed-Reality hinzubekommen.

Was hinter 6G steckt

Geforscht wird aber auch an neuartigen Antennenmaterialien, die sich flächig etwa an Gebäudewänden anbringen lassen und so das Konzept eines Funk- und Sendemastes auf den Kopf stellen könnten. Ähnlich revolutionär klingt die Möglichkeit, im Netz befindliche Geräte allein durch ihre Kommunikation auf wenige Zentimeter verorten zu können, wie Thomas Buchegger, Leiter des Forschungsbereichs Intelligent Wireless Systems bei SAL, andeutet. Sensorik und Kommunikation verschmelzen quasi, was gegenseitige Vorteile bringt und deutlich effizienter und genauer ist.

"Bei 5G liegt die erzielbare Positioniergenauigkeit derzeit bei etwa ein bis drei Meter, also deutlich darüber", sagt Buchegger. All diesen Zukunftsvisionen ist gemein, dass sie in der Forschung bereits unter dem Schlagwort 6G – also der angepeilten sechsten Generation der Drahtloskommunikation – laufen.

Selbstfahrende Fahrzeuge sind auf neue Sensorik angewiesen – und die könnten über die Kommunikation bereitgestellt werden.
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Folgt man der bisherigen Standardisierungs- und Vermarktungslogik wird 6G wohl Ende des Jahrzehnts schlagend werden. Als Treiber der Entwicklung sieht Buchegger vor allem die Industrie, aber auch Entwicklungen beim autonomen Verkehr und im Smart-City-Bereich. "Im privaten Anwendungsbereich bedeutet 6G natürlich auch wieder eine höhere Bandbreite und zuverlässigere Verbindungen, etwa beim Videostreaming. Aus Sicht der Forschung ist diese Thematik aber eigentlich schon gelöst", erklärt er.

So ergebnisoffen und in vielerlei Richtungen die aktuelle 6G-Forschung läuft, dürfte eines außer Frage stehen. Das Internet der Zukunft wird viel feinmaschiger, was die Infrastruktur betrifft. Neben den bereits skizzierten lokalen Netzen, die auch eine Innennutzung in Fabriken inklusive der Steuerung von Maschinen, autonom fahrenden Robotern und virtuellen digitalen Zwillingen ermöglichen, könnte jede Hauswand oder auch jedes andere beliebige Objekt in der Umgebung mit winzigen Funk- und Signal-Repeatern ähnlich einem WLAN-Netz zu Hause ausgestattet werden.

Viele Stationen, aber mit geringer Strahlung

Bei wem hier hinsichtlich der Belastung durch elektromagnetische Strahlung die Alarmglocken läuten: Durch die Engmaschigkeit eines derartigen Netzes müssen die einzelnen "Stationen" mit sehr viel weniger Funkstrahlungsenergie betrieben werden, um Geräte mit Mobilfunk versorgen zu können. Die Belastung am Gerät ist folglich deutlich geringer, als wenn sich ein Handy bei schwachem Netzsignal zu einem weit entfernten Masten verbinden muss.

Was die von 5G-Gegnern besonders gefürchteten und bis heute nicht verwendeten höheren Frequenzbänder betrifft, kann Bernhard die Aufregung aber ohnehin nicht ganz nachvollziehen. "Bei all den diskutierten Technologien sprechen wir von Frequenzen, die bereits seit langem genutzt werden. Radarsensoren, die bei allen modernen Autos zu finden sind, senden bei 77 Gigahertz", sagt der Funkexperte, der neben seiner Tätigkeit für das Forschungszentrum SAL auch auf der Johannes Kepler Universität Linz beschäftigt ist.

Netzeinspeisung durch Photovoltaik auf dem Dach als mögliche Vision für den kleinmaschigen, demokratisierten Mobilfunk.
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Was die Nutzung von Frequenzbändern über zehn Gigahertz betrifft, bleibt er für 5G, aber auch für 6G skeptisch. "Technologisch sind wir noch nicht wirklich so weit, dass wir diese hohen Frequenzen energieeffizient und funktional korrekt betreiben können", erklärt Bernhard.

Demokratisiertes Netz und Kreislaufwirtschaft

Auf einen auch gesellschaftlich nicht unspannenden Aspekt weist hingegen sein SAL-Kollege Buchegger hin: "Wenn theoretisch jeder in seinem Schrebergarten ein lokales 6G-Netz aufziehen und dieses potenziell auch an andere vermieten kann, führt das letztlich zu einer Dezentralisierung und quasi Demokratisierung von Infrastruktur, wie wir es derzeit gerade bei der Stromerzeugung über Photovoltaik auf dem eigenen Hausdach erleben."

Diesbezüglich seien rechtlich sicherlich noch einige Fragen offen. Wie ein solches System aber auch mit marktbeherrschenden Akteuren – in dem Fall die Telekommunikationsbetreiber – umsetzbar sei, habe die Energiewirtschaft zuletzt bereits vorgemacht, stellt Buchegger in den Raum.

Auch was die Transformation zu einer nachhaltigen und energieeffizienten Kreislaufwirtschaft betrifft, setzen die beiden Forscher große Hoffnungen in 6G. Denn um Rohstoffe und Produkte über ihren Lebenszyklus hinaus verfolgen und schließlich auch wieder recyceln und so im Kreislauf halten zu können, sei die nächste geplante Funkgeneration unerlässlich.

"Jedes einzelne Gerät, jeder Sensor, jeder Netzwerkknoten mag für sich betrachtet vielleicht nicht allzu viel Energie verbrauchen – aber in diesem Fall macht es einfach die Summe. Je breiter ein derartiges Netz aufgestellt und verteilt ist, desto mehr kann man durch eine effizientere Nutzung erreichen", erklärt Bernhard. (Martin Stepanek, 8.4.2023)