"Früher habe ich mit Hans Krankl bei Rapid gespielt, heute besitze ich eine der letzten Videotheken Österreichs. In dieser Branche bin ich jetzt über zwanzig Jahre tätig. Am Anfang waren wir zu zweit, mit einem Partner leitete ich acht Filialen in Wien und Kärnten. Mittlerweile stemme ich den Betrieb hier im letzten Geschäft auf der Favoritenstraße alleine. Geöffnet ist von Montag bis Sonntag. Da komme ich locker auf 100 Stunden in der Woche. Meinen letzten freien Tag hatte ich vor 20 Jahren, und krank war ich in meinem Leben sowieso noch nie.

Paul Pawlek inmitten von 40.000 Filmen in seiner "VTC Videothek" auf der Favoritenstraße in Wien.
Foto: Elena Sterlini

Dabei wäre ich mit meinen 66 Jahren eigentlich schon in Pension. Warum ich trotzdem weitermache? Mir macht meine Arbeit Spaß. Außerdem ist meine Lebensgefährtin ein bisschen jünger und steckt noch ein paar Jahre im Berufsleben. Also bleibe ich einstweilen hier und kümmere mich um meine Filme und die Kundschaft. Viele Leute kommen vorbei, um zu plaudern. Über die Jahre sind durchaus Freundschaften entstanden. Man duzt sich bei mir, und ich kenne alle Stammkunden beim Namen. In den umsatzstarken Phasen hatte ich oft nicht die Zeit, mich in Ruhe mit den Menschen zu unterhalten – da ist laufend wer bei der Tür hereingekommen. Heute sitze ich schon einmal hier und sehe zwei Stunden niemanden. Langweilig wird mir trotzdem nicht. Ich habe mir ein zweites Standbein aufgebaut und digitalisiere alte Videos auf DVDs oder USB-Sticks. Ich biete den Service zu einem günstigen Preis an, das rentiert sich.

40.000 Filme und eine scharfe Ecke für Erwachsene

Dabei kommen mir manchmal amüsante Dinge unter. Erst vor kurzem hat mich ein Herr aufgesucht. Er war der Meinung, was er mir mitbringt, sei ein bisserl eigenartig. Ich habe ihm gesagt, dass ich sowieso ein scharfes Eck in der Videothek habe. Damit meine ich die Abteilung mit Erwachsenenfilmen. Da braucht er sich keine Sorgen machen, dass ich wegen so etwas rot im Gesicht werde. Allgemein ist der Geschmack meiner Kundschaft bunt durchgemischt: Einige mögen am liebsten Actionfilme, dann gibt es die Horror-Fans, und manche suchen nach Liebeskomödien. Andere gehen eben ins scharfe Eck, das durch einen Vorhang von den restlichen Regalen abgetrennt ist. Darüber hängt auch ein gelbes Schild, darauf steht: Zutritt ab 18 Jahren. Nachdem meine Kundinnen und Kunden im Durchschnitt zwischen 40 und 50 Jahre alt sind, muss ich mir allerdings wenig Sorgen machen.

Das "scharfe Eck" darf man erst ab 18 Jahren betreten.
Foto: Elena Sterlini

Junge Leute kommen nur gelegentlich zu mir, meistens wenn ein neuer Blockbuster herauskommt. Die biete ich als Videothek nämlich zwei bis drei Monate früher an als Streamingdienste. Der ORF ist vermutlich ein ganzes Jahr später dran. Dieses Angebot ist auch für die Jugend spannend. Ob ich die Neuerscheinungen alle selbst anschaue? Ich sehe mir viele Filme an, aber natürlich nicht alle. Trotzdem informiere ich mich bei meinem Angebot zumindest immer über den Inhalt und die Bewertungen. Manchmal passiert es schon, dass jemand beim Zurückbringen meint: Das war ein ordentliches Klump. Da lache ich immer und sage: Ich habe den Film nicht gedreht, ich verleihe ihn nur. An der Auswahl scheitert es auf jeden Fall nicht. Ich bin gut aufgestellt und habe ungefähr 40.000 Filme im Programm.

Die lagern aber nicht alle in den langen Regalreihen, das würde sich nicht ausgehen. Viele bewahre ich ohne Cover in kleinen Boxen auf, das spart Platz. Ausborgen kann man sie natürlich trotzdem. Die Qualität von Blu-rays oder DVDs finde ich einfach besser als von Streaminganbietern. Der Besuch in der Videothek weckt bei vielen nostalgische Gefühle, und das Filmerlebnis bekommt dadurch eine höhere Wertigkeit. Das schätzt meine Kundschaft. Manchmal passiert es, dass Leute am Geschäft vorbeigehen und sich freuen: Schau, eine Videothek gibt es auch noch. Die Laufkundschaft hat sich durch den Bau der U-Bahn vor einigen Jahren verringert. Zuerst waren viele Unternehmen auf der Favoritenstraße aufgeregt, dass mehr los sein wird. Das hat sich nicht bewahrheitet. Warum auch? Die Menschen fahren jetzt mit der U1 und passieren die Straße nur unterirdisch.

Pension mit Gurkenglas und Netflix

Wenn ich abends nach Hause gehe, nehme ich mir immer einen Film mit. Außer Horror mag ich fast alles, auch die romantischen Sachen. Ich wohne im 23. Bezirk. Zur Videothek brauche ich höchstens 15 Minuten mit dem Auto oder meiner kleinen 125er-Maschine. Im Sommer stehe ich zeitig auf und lege mich vor dem Dienst noch in meinen Garten. Da habe ich auch einen kleinen Swimmingpool. Also eigentlich ist das ein Gurkenglas mit etwas mehr als vier Metern im Kreis. Stört mich nicht, ich brauche nicht mehr. Wenn ich dann noch ein gutes Fußballspiel ansehen kann, bin ich rundum zufrieden.

Privat spiele ich nicht mehr Fußball, aber mir entgeht kein Match. Meine Lieblingsmannschaft? Natürlich Rapid. Auch der Fußball hat sich verändert: Da ist mehr Dynamik dabei, Forechecking und Pressing gehören zum Standardprogramm. Wir haben damals auch viel trainiert, aber die Mannschaften sind heute athletischer. Früher haben wir uns meistens in die eigene Spielhälfte zurückgezogen und von dort attackiert. So ist ein guter Spielfluss herausgekommen.

Dass sich die Zeiten ändern, ist ganz normal. Für die Fußballspiele habe ich zum Beispiel ein Abo bei Sky. Außerdem besitze ich ein Konto bei Netflix und Amazon Prime. Natürlich bin ich mir bewusst, dass das Videothekensterben mit den Streamingdiensten zu tun hat. Aber warum soll ich raunzen und jemandem die Schuld geben? Das hilft mir nicht. Also habe ich mich im Bereich des Digitalisierens positioniert.

Solange mir die Arbeit Spaß macht, bin ich hier. Wenn mir etwas gefällt, erledige ich es immer mit vollem Einsatz. So ist es auch mit der Videothek. Und ganz ehrlich? Wenn wir in zehn Jahren zurückblicken, dann werden wir von heute als der guten alten Zeit sprechen. Das Aufwachsen meiner Kinder konnte ich wegen der Arbeit nicht so mitverfolgen, wie ich es mir gewünscht hätte. Sonst bin ich mit meinem Leben, wie ich es bisher gelebt habe, sehr zufrieden. Sollte ich morgen beschließen, dass ich nicht mehr im Geschäft stehen will, dann sperre ich einfach zu und verkaufe alle Filme. Die neu gewonnene Freizeit würde ich dann in meinem Garten mit Gurkenglas verbringen." (Elena Sterlini, 10.4.2023)