Das Bundesheer rüstet gerade auf. Bald soll auch die heimsche Sicherheitsdoktrin auf zeitgemäßerem Stand sein.

Foto: Bundesheer / Reich

Der Republik soll eine neue Sicherheitsdoktrin verpasst werden. Denn die aktuell gültige ist schon zehn Jahre alt – und liest sich besonders seit Russlands Überfall auf die Ukraine vor über einem Jahr äußerst anachronistisch. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kündigten eine neue Doktrin noch für diese Legislaturperiode an. Die Opposition will in die Pläne dringend eingebunden werden und fordert baldige Debatten im Parlament.

Frage: Was ist überhaupt eine Sicherheitsstrategie?
Antwort: Eine Doktrin, wie man das früher meist nannte, soll zentrale politische Leitlinien und Ziele für das Handeln der Regierung definieren – in diesem Fall zu allem, was Sicherheits- und Verteidigungspolitik angeht. Bindende Wirkung hat sie nicht. Es ist eher eine Erklärung der Regierung, in welche Richtung es gehen soll.

Frage: Warum soll es jetzt eine neue Sicherheitsdoktrin geben?
Antwort:
Die aktuell gültige "Österreichische Sicherheitsstrategie" stammt aus dem Jahr 2013 – und ist spätestens seit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ziemlich veraltet. So wird Russland in dem 27-seitigen Papier noch als "wesentlicher Partner" definiert, mit dem man auch zu "Problemlösungen in internationalen Krisenregionen" weiter verstärkt zusammenarbeiten wolle. Expertinnen und Experten hatten aber auch schon vor Beginn des russischen Angriffskriegs gefordert, die Strategie zu erneuern. Sie galt vielen als Sinnbild für den langjährigen Stillstand in der heimischen Sicherheitspolitik.

Frage: Geht es da nur ums Bundesheer?
Antwort:
Nein. Das Bundesheer hat mit dem vom Verteidigungsressort jährlich neu erstellten "Risikobild" auch ein deutlich aktuelleres Papier zur Verfügung. Für den Einsatzbereich der Armee ist es außerdem wesentlich detaillierter und relevanter. Die Sicherheitsstrategie ist dagegen eine klassische Querschnittmaterie.

Frage: Welche Bereiche und Ressorts betrifft sie dann?
Antwort:
Verteidigungspolitik oder Pläne zur zivil-militärischen Zusammenarbeit betreffen das Heer und damit das Verteidigungsministerium, Strategien bezüglich der inneren Sicherheit vor allem die Polizei und das Innenressort. Auch Leitlinien der heimischen Außenpolitik und Diplomatie sind in dem Papier enthalten – sie ressortieren dementsprechend beim Außenministerium. Auch die Justiz wurde in der noch gültigen Sicherheitsstrategie in einem Unterkapitel kurz angesprochen. Die neue Doktrin wird federführend vom Bundeskanzleramt ausgearbeitet, die Ministerien sind eingebunden.

Frage: Was soll in der neuen Sicherheitsstrategie anders sein als in der alten?
Antwort:
Jedenfalls wird die Rolle Russlands neu definiert werden. Neben dem Ukrainekrieg und der dadurch veränderten geopolitischen Situation werden sich in der neuen Sicherheitsdoktrin vor allem die Erfahrungen der Pandemie und der großen Flucht- und Migrationsbewegungen seit 2015 niederschlagen, heißt es aus dem Bundeskanzleramt zum STANDARD.

Frage: Und was wird sich noch ändern?
Antwort:
Vizekanzler Kogler sprach im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auch von der Frage der "Energie- und Wirtschaftswende", die sich in der Sicherheitsstrategie abbilden solle. Weniger Abhängigkeit von importierten Rohstoffen und den Energiemärkten sei das Ziel und wäre auch ein wesentlicher Beitrag zu mehr Sicherheit. Das Kanzleramt bestätigte auf Nachfrage, dass "Versorgungssicherheit" ein größeres Thema im neuen Papier werden solle. Diese werde auch im Zusammenhang mit Cyberattacken und anderen Gefahren hybrider Kriegsführung – nicht nur durch Russland – gedacht.

Frage: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Sicherheitsdoktrin und einer Sicherheitsstrategie?
Antwort:
Das Wording. In der vorletzten Ausgabe 2001 nannte man das Papier, das grundsätzlich nur unregelmäßig erneuert wird, noch "Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin". Mit der Neuauflage 2013 schwenkte man auf den Namen "Österreichische Sicherheitsstrategie" um, bei dem man für die nächste Auflage offenbar bleiben will.

Frage: Was hat das alles mit der Neutralität zu tun?
Antwort:
Natürlich einiges. Jede sicherheitspolitische Positionierung, die auch die Außenpolitik betrifft, muss im Zusammenhang mit Österreichs Neutralität gedacht werden. Die Regierungsspitze versicherte aber bereits, dass diese zentraler Bestandteil auch der kommenden Sicherheitsdoktrin bleiben wird. Es gelte, diese "weiterzuentwickeln", sagte Kogler. Vor allem außerhalb Europas sei sie weiter wichtig für Österreichs Rolle als "Mittler", sagte Nehammer. Der Kanzler hatte Diskussionen über die Neutralität zudem bereits vor Monaten eine eher harsche Absage erteilt.

Frage: Trägt die Opposition die Regierungspläne mit?
Antwort:
Das wird auch davon abhängen, was genau in der neuen Doktrin stehen soll. Das Bundeskanzleramt will sie in den kommenden Monaten vorlegen. SPÖ, FPÖ und Neos haben die Regierung aber schon aufgefordert, das Parlament bei der Adaptierung einzubinden. Das Kanzleramt hat dem STANDARD bestätigt, das auch zeitnah tun zu wollen. Ohnehin ist die Sicherheitsdoktrin aber kein Gesetz, das vom Nationalrat beschlossen werden müsste. Türkis-Grün ist bei der Adaptierung also nicht auf die anderen Parlamentsparteien angewiesen.

Frage: Warum weiß in Österreich eigentlich kaum jemand, was eine Sicherheitsdoktrin ist?
Antwort:
Nicht zuletzt deshalb, weil das Positions- und Strategiepapier, das zuletzt vor zehn und davor vor 22 Jahren adaptiert wurde, für aktuelle politische Entscheidungen keine gar so große Rolle spielt. Wie der selbst für Militärstrategen überraschende Ukrainekrieg gezeigt hat, können auch relativ junge Grundsatzpapiere sehr schnell nicht mehr aktuell sein. Eine deutlich zentralere Rolle spielte das Format für die US-Präsidenten mehrerer Jahrzehnte, die vor allem folgenreiche außenpolitische Doktrinen setzten. (Martin Tschiderer, 5.4.2023)