Im Podcast "3 Frauen, 3 Religionen, 1 Thema" sprechen Maike Schöfer (Bild), eine Jüdin und eine Muslimin über Religion.
Foto: Isabell Nubel

Sie schreibt über Sexualität und Glauben, hält queer-feministische Predigten und kritisiert die Kirche. Beim Interview trägt sie einen schwarz-grauen Nirvana-Pullover. Wie kam genau sie darauf, evangelische Pfarrerin zu werden?

STANDARD: Was ist Ihr liebster Bibelvers?

Schöfer: Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe. Aber die Liebe ist die Größte.

STANDARD: Wieso gerade dieser?

Schöfer: Ich begleitete heute eine Beerdigung. Dieser Vers war das Herzstück meiner Predigt. Er hat mich sehr gestärkt, denn diese Andachten gehen mir immer sehr nah.

STANDARD: Pfarrerin – ein ungewöhnlicher Beruf. Wie kamen Sie zum Glauben?

Schöfer: Meine Familie ist nicht religiös. Es war eine Freundin, die mich in der Jugend in die Kirche mitnahm. Auf der Kirchenbank sitzend, verspürte ich eine Sehnsucht, die ich damals nicht beschreiben konnte. Dass ich später einmal vorne stehen würde, hätte ich nicht gedacht.

Von Gott wird oft in der männlichen Form gesprochen – das versucht Maike Schöfer im Gottesdienst zu vermeiden.
Foto: Isabell Nubel

STANDARD: Was bewegte Sie nach dem Abitur zu dem Religionsstudium?

Schöfer: Mein Abiturabschnitt war miserabel. Aber alle um mich herum fingen nach dem Abitur an zu studieren. Für Theologie brauchte ich keinen guten Notenschnitt. Also fing ich dort an.

STANDARD: Eine pragmatische Entscheidung. War es die richtige?

Schöfer: Absolut. Es war genau das, was ich brauchte. Die Sehnsucht, die ich hatte, war der Wunsch, mich mit den großen Fragen des Lebens zu beschäftigen: Wer bin ich, wohin will ich, was ist der Sinn des Lebens? Im Nachhinein ärgere ich mich allerdings über den Lehrinhalt.

STANDARD: Inwiefern?

Schöfer: Während des Studiums begegneten mir kaum kritische Betrachtungen der christlichen Lehre. Feministische oder queere Lesarten der Bibel waren nicht fester Bestandteil des Lehrprogramms. Darüber bin ich immer noch schockiert.

STANDARD: Können Sie eine Bibelstelle nennen, die man queer-feministisch lesen könnte?

Schöfer: Da fällt mir spontan ein witziges Beispiel ein. "Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden." Viele heterosexuelle Paare benutzen diesen Vers bei ihrer Hochzeit. Aber in der Bibel sagen das eigentlich zwei Frauen zueinander.

STANDARD: Wie integrieren Sie Ihren Feminismus in den Gottesdienst?

Schöfer: Von Gott wird oft in der männlichen Form gesprochen. Das versuche ich zu vermeiden und stattdessen nur Gott zu sagen. Ich finde es erschütternd, dass es immer noch evangelische Pfarrleute gibt, die queere Menschen ausschließen oder Segnungen verweigern. Ich selbst fühlte mich in keiner Kirchengemeinde ganz wohl, gehörte nie ganz dazu. Ich war zu anders. Genau für diese Leute schaffe ich einen Raum. Ich will die patriarchalen Säulen der Kirche stürzen.

STANDARD: Ihren Protest äußern Sie auch durch Ihre Kleidung.

Schöfer: Ja! Mein Favorit ist meine schwarze Lederjacke. Auf der Rückseite ist ein Bild einer glitzernden Madonna auf Leopardenprint. Ich liebe christlichen Kitsch. Einerseits mag ich es, so meinen Glauben auszudrücken. Andererseits ecke ich an, starte dadurch Diskussionen.

STANDARD: Auf Ihrem Instagram-Account @ja.und.amen schreiben Sie auch über Sex. Wie passt das mit der Religion zusammen?

Schöfer: Die Kirche ist in vielen Teilen körperfeindlich: Keuschheit, kein Sex vor der Ehe, Zölibat im Katholizismus. Aber wir wurden nun einmal als sexuelle Wesen mit Liebe geschaffen. Allein deshalb thematisiere ich es. Gerade um weitere Missbrauchsskandale in der Kirche zu verhindern, wird es Zeit, dieses Tabu zu brechen.

STANDARD: Ich kann mir vorstellen, dass Sie deswegen häufig kritisiert werden.

Schöfer: Mir wurde schon oft vorgeworfen: So sollte sich keine Pfarrerin kleiden und verhalten. Die Kirche ist sehr bürgerlich. Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt, war nicht schon immer gläubig, ich kritisiere die Kirche. Genau deswegen traute ich mich lange nicht, Pfarrerin zu werden oder diesen Wunsch überhaupt auszusprechen. Jetzt weiß ich: Durch meinen Background und meine Ansichten spreche ich Menschen an, die sich nicht mit einer konservativen Kirche identifizieren können. Und davon braucht es mehr! (Natascha Ickert, 9.4.2023)