Die Fanszene der Austria muss sich neu aufstellen.

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Am 1. April wurde den Fanatics die Ehre genommen. Nach 22 Jahren verkündete die größte Ultragruppierung der Wiener Austria in einem pathosreichen Schreiben mit "gebrochenen Herzen" ihre Auflösung. Beinahe ließe sich beim Lesen eine Träne verdrücken. Aber nicht allen im Umfeld ist dieser Tage zum Weinen zumute. Manche lassen gar die Korken knallen. Die Fanatics haben im zehnten Hieb mit Choreografien für Stimmung gesorgt. Aber vor allem haben sie den rechten Ruf der Fankurve gefestigt. Und das war dem Verein und vielen Anhängern ein Dorn im Auge.

Aber woher das Drama? Was ist Schlimmes passiert? 2007 hatten die Fanatics mit der Jungen Legion eine Spielwiese für den Fannachwuchs gegründet. Eben diese Junge Legion sollte am vergangenen Sonntag im Heimspiel gegen den LASK ihr 15-jähriges Bestehen zelebrieren. Zu diesem Zweck wurde am Vortag vor der Osttribüne der Generali-Arena von einer Handvoll Fans eine Choreografie vorbereitet. Die Bastelstunde wurde von ungebetenen und zahlenmäßig überlegenen Gästen gestört. Über deren Herkunft wurde Unterschiedliches berichtet, Rapid ist aber wohl kein schlechter Tipp. Die Violetten hatten jedenfalls keine Lust auf blaue Flecken und nahmen die Beine in die Hand.

Aufwendige Choreografien sind Teil der Ultrabewegung. Gegen Rapid mussten zuletzt Marty McFly und der Doc herhalten.
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Für die Fanatics ist diese Episode eine Schmach. Laut dem Ehrenkodex der Ultras verliert ein Fanklub seine Existenzberechtigung, wenn ihm der Fetzen, also der repräsentative Banner, gefladert wird. Muss man nicht verstehen, klingt kindisch, aber Subkulturen haben nun mal eigene Gesetze. Es ist ein Krieg der Knöpfe. Es geht um Ehre, Stolz und Herzblut. Also um Werte, die die Menschheit regelmäßig ins Verderben stürzen. Ist der Klubbanner weg, ist die Ehre dahin. Nun wurden am Samstag zwar nur Bestandteile der Choreografie entwendet, für die Fanatics aber Grund genug, das Handtuch zu werfen. Die nicht vorhandene Gegenwehr sei mit den eigenen Werten "nicht vereinbar".

Unpolitisch, aber nicht wirklich

In den vergangenen Jahren waren die Fanatics sichtlich bemüht, unpolitisch zu wirken. Zumindest in der Außendarstellung konnte man sich vom rechten Rand distanzieren. Eine Fanfreundschaft zu Slovan Bratislava pflegt man allerdings nicht, um einen linken Lesezirkel zu gründen. In früheren Jahren bildeten die Fanatics zudem mit den am rechten Rand situierten Mitgliedern von Unsterblich eine Art Joint Venture. Damals sah man Interpretationen der Reichskriegsflagge und sonstige NS-Symbolik im Fansektor der Austria.

Die Szene der Violetten ist zahlenmäßig im Aufwind. Der Zuschauerschnitt ist mit rund 11.000 Besuchern pro Match höher denn je, für die Osttribüne, also die Fankurve, sind kaum Karten erhältlich. Für das Auswärtsderby am 16. April bei Rapid waren 2200 Tickets für den Auswärtssektor sofort vergriffen, das Kontingent wurde erweitert. Der Zulauf ist riesig, nur die Fanatics konnten davon nicht profitieren. Und womöglich ist das auch der ausschlaggebende Grund für deren plötzliches Ende.

Frage der Nachfolge

In der Kurve der Austria macht sich derzeit ein anderer Fanklub breit: Kai 2000, die Kampfastllln Inzersdorf. Die Gruppe hat, so hört man, die schlaueren Köpfe in ihren Reihen. Kai 2000 ist vielseitig aufgestellt, Politik wird nicht großgeschrieben. Ob Kai 2000 das Machtvakuum in der hierarchisch geführten Kurve füllen will, ist eine andere Frage. Dann gilt man bei den Fanklubs der Rivalen als Freiwild. Dann muss man zwischendurch die Knochen hinhalten. Das ist "part of the game" – und aus gutem Grund nicht jedermanns Sache. (Philip Bauer, 6.4.2023)