Der Besuch in Switlanas wiederaufgebautem Haus im Nordwesten Kiews war eine Achterbahnfahrt der Gefühle: das nicht aufgearbeitete Trauma, das ihre Stimme immer wieder brechen lässt; die Tränen, die kullern, wenn sie von der Flucht und den Phosphorbomben auf ihr Haus erzählt; die unfassbare Dankbarkeit für die humanitäre Hilfe; der bedingungslose Wille, alles wieder aufzubauen. Und der Blick nach vorn – damit es die Kinder besser haben und nach der Schule in ein echtes Haus zurückkommen können.

Als Journalist vor Ort sind dies Besuche, bei denen es schwerfällt, sich nicht zu sehr von Emotionen leiten zu lassen. Dennoch haben meine drei Branchenkolleginnen und ich allesamt vergessen, eine zentrale Frage zu stellen: "Wie viel Geld habe Sie denn nun aus EU-Mitteln bekommen?"

Es ließ sich zum Glück über die Hilfsorganisationen relativ leicht recherchieren: Es war eine Einmalzahlung von nicht einmal 500 Euro für drei anspruchsberechtigte Personen. Das sind 500 Euro, die einer Familie dauerhaft ein dichtes Dach über dem Kopf garantieren, während sie versucht, so gut es geht in ein normales Leben zurückzufinden.

Vergessene Krisen

Wenn man sieht, was diese 500 Euro ausrichten können, fragt man sich, warum die Weltgemeinschaft nicht noch mehr zu geben bereit ist. Die Ukraine ist heute eine der bestfinanzierten Krisen der Welt – und dennoch fehlt es an jeder Ecke und jedem Ende.

Hilfsorganisationen müssen auch in der Ukraine ein "Worst-of-Ranking" machen, frei nach dem Motto: Wen hat's am schlimmsten erwischt? Das ist mit limitierten Ressourcen die einzig richtige Entscheidung und gleichzeitig traurig, weil eben nie allen geholfen werden kann. Ganz zu schweigen von jenen Krisen, die eben keine transatlantische, wirtschaftlich potente Aufmerksamkeit bekommen oder bei denen das Interesse schlichtweg verloren ging.

Sind wir an der Spitze oder nicht?

Österreich rühmt sich gerne, in der Pro-Kopf-Bilanz die humanitäre Hilfe an die Ukraine anzuführen. Doch nicht immer floss das Geld, das auch versprochen wurde – und nicht jede Berechnungsart bestätigt das Spitzenranking Österreichs. Vor allem darf man nicht vergessen, dass Österreich – abgesehen von den Mitteln aus den EU-Töpfen – bei der militärischen Hilfe eine dicke Null stehen hat. Und ohne Luftabwehrraketen und schützende Panzer helfen leider auch die Stromaggregate nichts, wenn russische Raketen alles zerbomben.

Gerade deshalb sollte Österreich an der humanitären Front noch mehr tun als bisher, und deutlich mehr als die waffenliefernden Staaten. Jede und jeder, die oder der kann, sollte auch persönlich spenden – auch wenn das angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage für viele nicht leicht ist.

Spende als Investment?

Wen rein humanitäre Argumente alleine nicht überzeugen, die oder der kann auch eine egoistische wirtschaftliche Sichtweise einnehmen. Die Ukraine wird sich längerfristig bei ihren größten Unterstützern nicht bloß herzlich bedanken. Wie sich am Beispiel des Besuchs von Wolodymyr Selenskyj bei einem der wichtigsten Verbündeten, nämlich Polen, zuletzt zeigte, will Kiew auch wirtschaftlich viel zurückgeben: Polnischen Betrieben würden privilegierte oder zumindest Vorzugsrechte bei wichtigen Wiederaufbauverträgen eingeräumt, versprach der ukrainische Präsident. Das gilt natürlich auch für die USA. Wer sich heute großzügig zeigt, kann eines Tages in Symbiose mit der ukrainischen Wirtschaft davon profitieren. (Fabian Sommavilla, 10.4.2023)