Eine Illustration des inneren Aufbaus der Erde. Eine besonders extreme Grenzschicht ist der Übergang zwischen dem flüssigen Erdkern und dem zähflüssigen Erdmantel.
Bild: Getty Images/iStockphoto

Dass das Erdinnere aus Schichten aufgebaut ist, ist bekannt. Unser Wissen darüber stammt großteils aus seismischen Beobachtungen. Bohrungen reichen nur bis maximal zwölf Kilometer Tiefe, alles, was darunter liegt, muss auf indirektem Weg erforscht werden.

Zu Hilfe kommt der Forschung hier die Tatsache, dass Erdbeben Wellen ins Innere des Planeten schicken, wo sie, je nach den inneren Gegebenheiten, gestreut und reflektiert werden. Die Geschwindigkeit der Bebenwellen ist dabei nicht überall gleich. Das führt zu Brechungseffekten, ähnlich der Brechung von Licht auf Wasserflächen. Auch der Mond wurde auf diese Weise untersucht, seismische Messgeräte sind Teil etlicher Missionen zur Untersuchung von Planeten des Sonnensystems.

Der Unterschied zwischen den Schichten ist teils extrem: Der Dichteunterschied zwischen Erdmantel und Erdkern ist größer als jener zwischen Luft und Felsgestein. Gerade dort kommt es zu einer Reihe komplexer Phänomene. Doch nicht alle Feinheiten des Aufbaus des Erdinneren sind durch die Beobachtung von Erdbebenwellen sofort erkennbar. Mehr Messpunkte und mehr Daten ermöglichen immer genauere Analysen der komplexen Reflexionsmuster von Erdbebenwellen.

Eine Illustration der Erdbebenwellen, die zur Untersuchung der ULVZ genutzt wurden.
Bild: Drs. Edward Garnero and Mingming Li at Arizona State University.

Erdbebenwellen werden langsam

Vor etwa drei Jahrzehnten wurden die bislang ungewöhnlichsten Strukturen im Erdinneren entdeckt, die sofort die Aufmerksamkeit der Forschenden auf sich zogen. Zwischen dem flüssigen Erdkern und dem zähen Erdmantel gibt es Strukturen, in denen Erdbebenwellen sich besonders langsam fortbewegen. Sie werden ULVZ genannt, eine englische Abkürzung für Zonen mit ultra-langsamer Geschwindigkeit. Sie sind mit nur etwa fünf bis 50 Kilometern Dicke relativ dünn, von höherer Dichte als der darüberliegende Mantel und erstrecken sich nicht über den ganzen Globus, sondern bilden markante Zonen.

Über ihre Zusammensetzung gab es zahlreiche Spekulationen. Ein gängiges Modell geht von teilweise geschmolzenem Material aus, ausgelöst durch thermische Unregelmäßigkeiten aufgrund der Vorgänge an der Kern-Mantel-Grenze. Doch manche der ULVZ befinden sich in großer Entfernung von den heißesten Bereichen der Grenzzone. Das legt nahe, dass andere, für die Region untypische Substanzen im Spiel sind.

Ein seismisches Messgerät, das in der Antarktis im Boden installiert wird.
Foto: Lindsey Kenyon

Eine neue Studie behauptet nun, dass es sich dabei um Material handeln könnte, das von der Erdoberfläche stammt. Die spektakuläre Theorie wurde Anfang April im Fachjournal "Science Advances" präsentiert.

Für die Messung nutzte ein Team unter Leitung von Forschenden der Universität Alabama ein Netzwerk aus 15 Messstationen in der Antarktis. Über 1.000 Erdbebenmessungen wurden so über einen Zeitraum von drei Jahren durchgeführt. "Seismische Untersuchungen wie die unsrige liefern die höchstauflösende Darstellung der inneren Struktur unseres Planeten, und wir stellen fest, dass diese Struktur weitaus komplizierter ist als bisher angenommen", sagt Samantha Hansen von der Universität Alabama.

Reflexion vom Erdkern

Gegenstand der Untersuchung waren Reflexionen – das "Echo" – von Erdbebenwellen vom Erdkern. Damit war es möglich, erstmals ein hochauflösendes Bild der Grenzzone zwischen Erdkern und Erdmantel auf der Südhalbkugel zu erstellen.

"Bei der Analyse von Tausenden von seismischen Aufzeichnungen aus der Antarktis fand unsere hochauflösende Bildgebungsmethode überall dort, wo wir sondierten, dünne, anomale Materialzonen im CMB", berichtet Hansens Kollege Edward Garnero.

Dieses Video illustriert die komplexe Dynamik der Erdbebenwellen im Erdinneren.
IRIS Earthquake Science

Die einfachste Erklärung für die Zusammensetzung der gefundenen Zonen ist laut dem Team Material, das einst den Ozeanboden bildete und entlang der Plattengrenzen in tektonischen Subduktionszonen extrem langsam ins Erdinnere gezogen wurde.

Die Forschenden stellen sich die Zonen aufgrund ihrer variablen Dicke als Berge im Erdinneren vor. "Die Dicke des Materials schwankt zwischen einigen Kilometern und mehreren zig Kilometern. Das deutet darauf hin, dass wir im Kern Berge sehen, die an manchen Stellen bis zu fünfmal so hoch sind wie der Mount Everest", sagt Garnero.

Computermodelle unterstützen die These. Nicht nur das heutige Verhalten der Zonen lasse sich so erklären, sondern auch das Entstehen der heute beobachteten Verteilung. (Reinhard Kleindl, 10.4.2023)